Nach den jüngsten Äusserungen des künftigen US-Präsidenten Donald Trump sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel schwierige Zeiten auf das transatlantische Verhältnis zukommen. Der Auftritt Trumps habe gezeigt, dass dieser seinen Stil auch nach seinem offiziellen Amtsantritt am 20. Januar nicht wesentlich ändern werde, hiess es aus dem Umfeld der Kanzlerin. Trump reagiere auf Kritik offenbar extrem dünnhäutig und teile gegen seine Kritiker ohne Rücksicht auf Verluste aus.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), zeigte sich angesichts von Trumps Äusserungen irritiert und forderte Merkel zu einer schnellen Kontaktaufnahme mit dem künftigen US-Präsidenten auf. "Trump ist Trump geblieben. Der Trump aus dem Wahlkampf ist immer noch der gleiche", sagte Röttgen am Dienstag in einem Telefoninterview. "Der Westen mit seinen Werten und Institutionen scheint für ihn keine Rolle zu spielen."

Trump hatte die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin in einem Interview mit der Bild-Zeitung erneut scharf kritisiert, weitere Austritte von EU-Staaten vorhergesagt und die Nato als "obsolet" bezeichnet.

Merkel soll die Wogen glätten

Deutschland dürfe sich mit der Haltung Trumps nicht abfinden, sondern müsse "um die Einheit und politische Rolle des Westens kämpfen", sagte Röttgen. Dazu müsse die Bundesregierung jetzt "proaktiv und offensiv" auftreten und möglichst schnell "neue Beziehungen zu Trumps Team knüpfen und unsere Sache vertreten". 

Der transatlantische Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt (CDU), zeigte sich optimistisch, dass Merkel Trumps kritische Sichtweise auf die EU bei einem persönlichen Treffen zumindest teilweise korrigieren könne. Die Kanzlerin wäre in der Lage, "das Deutschland- und Europabild des künftigen US-Präsidenten zu schärfen und positiv zu beeinflussen”, sagte Hardt in einem Telefoninterview.

Nach Angaben aus Regierungskreisen ist das Kanzleramt derzeit bemüht, bereits im Frühling ein Treffen Merkels mit Trump in Washington zu organisieren. Andernfalls würden die beiden Regierungschefs voraussichtlich erst Ende Mai beim G7-Gipfel auf Sizilien erstmals aufeinander treffen.

Merkel hat sich bislang im Gegensatz zu Aussenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit Kritik an Trump zurückgehalten. Aber neben der Flüchtlingspolitik liegen die Positionen von Merkel und Trump auch in der Klima- und Russlandpolitik weit auseinander. Im Kanzleramt herrscht insbesondere die Sorge, dass Trump die wegen der Ukrainekrise verhängten Sanktionen gegen Russland unterlaufen könnte und damit die gemeinsame Haltung des Westens aufbricht.

Professionelles Verhältnis

Trump und Merkel sind sich nach Aussage von Regierungssprecher Steffen Seibert bislang noch nie begegnet. Auch sämtliche andere Mitglieder des Bundeskabinetts hatten nach eigener Aussage bislang noch keinen Kontakt zu dem US-Milliardär. Ende des vergangenen Jahres schickte Merkel ihren aussenpolitischen Berater Christoph Heusgen nach New York, damit dieser sich vor Ort einen ersten Eindruck von den Plänen des Teams um den künftigen Präsidenten machen konnte.

"Wir wollen mit der neuen amerikanischen Regierung zusammenarbeiten", sagte Heusgen am Mittwoch bei einer Veranstaltung der Unionsfraktion in Berlin. Seine Gespräche in Washington hätten ergeben, dass innerhalb des Trump-Teams eine Reihe von Missverständnissen über die EU vorhanden seien, sagte Merkels Sicherheitsberater. Die Bundesregierung werde versuchen, dem neuen US-Präsidenten ihre Auffassung zu vermitteln.

Beobachter rechnen damit, dass die Kanzlerin trotz der Misstöne um ein professionelles Verhältnis mit Trump bemüht sein wird. "Ich glaube, Frau Merkel wird im Umgang so professionell sein, dass sie auf Trumps frühere Äusserungen gar nicht mehr eingehen wird", sagte Jan Kallmorgen, Chef des Beratungsunternehmens Berlin Global Advisors, in einem Telefoninterview. "Wahrscheinlich ignoriert sie es einfach."

Tatsächlich könnte Merkel im Bundestagswahlkampf sogar von Trumps Präsidentschaft profitieren. Trump, die Brexit-Entscheidung und die Chefin des französischen Front National Marine Le Pen würden wie ein "warnendes Dreieck gegen Populismus" fungieren, sagte Kallmorgen. In dieser Situation könnte vor allem die Union mit ihrer Kernkompetenz in Sicherheitsfragen im Wahlkampf punkten.

Positiver Trump-Effekt

Auch der CDU-Politiker Röttgen sieht einen möglichen positiven Effekt für seine Partei bei der Bundestagswahl. Die Präsidentschaft Trumps werde dazu führen, "dass den deutschen Wählern der Ernst der Lage und auch die Gefahren für unsere Sicherheit noch deutlicher werden", sagte er. Die Wähler würden sich in dieser Situation nach einer Partei orientieren, "von der sie glauben, dass sie dieser neuen fundamentalen ernsten Herausforderung am besten gewachsen ist", sagte Röttgen. "Im Ergebnis wird das nicht die AfD und auch nicht eine der anderen Parteien sein."

Merkel betonte bei einer Rede vor Wirtschaftsvertretern am Montagabend in Köln die Notwendigkeit, für die Errungenschaften einer liberalen Gesellschaftsordnung einzutreten. "Ich bin da sehr entschieden, aber die Zahl derer, die Zweifel anmelden, wird grösser", sagte Merkel, ohne Trump direkt beim Namen zu nennen. Sie sei zutiefst überzeugt davon, dass der freie Wettbewerb "insgesamt für die Entwicklung der Menschheit das Beste ist und für den Wohlstand in Deutschland auch", sagte Merkel.

Mit ihrer Skepsis gegenüber Trump liegt Merkel auf einer Linie mit den meisten Deutschen. Laut einer Umfrage des ZDF-Politbarometer fürchten 55 Prozent, dass sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen unter Trump verschlechtern werden, lediglich zwei Prozent gehen von einer Verbesserung aus.

(Bloomberg)