Der Schweizer Aktienmarkt verdeutlicht, dass die Schweiz wirtschaftlich sehr vernetzt ist. Ein grosser Teil der börsenkotierten Unternehmen ist weltweit tätig und erzielt nur einen kleinen Teil des Umsatzes im eigenen Land. Die Workforce von Schweizer Firmen ist global.

Im KOF-Globalisierungsindex der ETH Zürich ist die Schweiz nach den Niederlanden das zweit-globalisierteste Land der Welt. Wer in Schweizer Firmen investiert, investiert eigentlich in den Weltmarkt. Und dieser ist von eng geknüpften Handelsbeziehungen, einer globalen Arbeitsteilung und über die sieben Weltmeere reichenden Lieferketten abhängig.  

«Invasion hat Globalisierung ein Ende gesetzt»

Die Störung der Lieferketten wegen der Corona-Pandemie hat bereits einen Schatten über das System geworfen. Mit dem Ukraine-Krieg wird nun noch klarer, dass weltweite Abhängigkeiten einerseits und ein Konflikt zwischen offenen westlichen und kontrolliert-autoritären Staaten und Wirtschaftssystemen anderseits zum Problem werden. Die Folge: Es sind wieder Stimmen aufgekommen, die ein "Ende der Globalisierung" voraussagen.

Larry Fink, CEO des amerikanischen Finanzkonzerns Blackrock, hat sich diesen Stimmen im März angeschlossen. So sagte der Chef des grössten Vermögensverwalters der Welt: "Die russische Invasion der Ukraine hat der Globalisierung, die wir in den vergangenen drei Jahrzehnten erlebt haben, ein Ende gesetzt." Der Blick richte sich wieder mehr nach innen. Fink argumentiert schon länger in diese Richtung. Er erwartet, dass viele Unternehmen Teile ihrer Geschäftstätigkeit in ihre angestammten Märkte zurückholen werden.  

Auch gut die Hälfte der Leserinnen und Leser von cash.ch ist der Meinung, dass die Vernetzung der Welt zurückgehen wird. Dies ist zwar das Resultat einer nicht-repräsentativen Umfrage mit rund 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern: Gegeben allerdings, dass die Globalisierung eine zwar nicht unumstrittene, aber wenig bestrittene Tatsache ist, sind 53 Prozent "Ja" zur Einschätzung, dass sie zu Ende gehe, eine hohe Zahl. 

Die Welt ist schon in den 1970er und 1980er Jahren deutlich vernetzter geworden. Was Blackrock-CEO Fink mit seiner Drei-Jahrzehnte-Aussage aber meinte: Der eigentliche Schub für die Globalisierung kam in den 1990er Jahren. Erst in den vergangenen zehn Jahren flachte die Kurve ab. Manche Experten schätzen, dass eine Umkehr des Trend etwa 2015 erfolgt ist. Die Finanzkrise, die America-First-Wirtschaftspolitik des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump (2017 bis 2021), dessen Handelsstreit mit China und die Coronapandemie sind als Ursachen für diese Umkehr genannt worden.

Das starke Wachstum vieler börsenkotierter Firmen in den vergangenen 20 bis 30 Jahren ist eng mit weltweiten Übernahmen, Marktanteilsgewinnen und einer Auslagerung von Arbeitskräften begründet. Und doch: Eine unmittelbare Korrelation zwischen Globalisierung und Aktienmärkten lässt sich zumindest direkt nicht feststellen. So waren die 1970er und 1980er bereits eine sehr gute Zeit für den Aktienmarkt der USA, auch wenn die Globalisierung im Vergleich zu heute noch wenig ausgeprägt war. In den 1990er Jahren wuchs der Aktienmarkt ungefähr gleich stark - doch die Globalisierung beschleunigte sich deutlich. 

Die Globalisierung die Welt (rot) und die Schweiz (blau) im KOF-Index seit 1970 grafisch dargestellt (Quelle: Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich KOF). 

Auch in den vergangenen zehn Jahren, in denen die Dauerhaftigkeit der Globalisierung wieder vermehrt angezweifelt worden ist, sind die Aktienkurse immer noch deutlich gestiegen. In den vier Jahren Trump-Präsidentschaft reagierte der Markt zwar immer wieder empfindlich auf die Eskalationen im Handelskonflikt mit China. Doch der Markt, misst man ihn am S&P 500, steigerte seinen Wert in den Trump-Jahren, in die auch die ersten Monate der Corona-Pandemie fielen, um zwei Drittel. 

"Die Renditen von Aktien, Anleihen und Devisen zeigen oft unterscheidliche Reaktionen auf die Globalisierung", schrieben Ökonomen der New Yorker Columbia Business School um Geert Bekaert 2016 in einer Studie. Eine Verbindung zwischen Performance von Vermögensklassen und der Globalisierung widerlegen die Wissenschaftler zwar nicht. Sie betonen aber, dass weitere wirtschaftliche Faktoren eine Rolle spielen. 

Isoliertere Märkte reagieren besser

Die Schocks Pandemie und Ukraine-Krieg zeigen derzeit Auswirkungen auf die Finanzmärkte im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren: Hohe Rohstoffpreise, Inflation und steigende Zinsen. "Etwas, wobei wir uns relativ sicher sind, ist, dass wir dabei sind, das Anlageregime zu verlassen, das seit der weltweiten Finanzkrise von 2008 bestanden hat", schrieb vor wenigen Tagen Tony DeSpirito, ebenfalls von Blackrock, und dort Chief Investment Officer, in einem Kommentar.

Für DeSpirito wartet ein schwierigeres Umfeld für Aktien, aber dies weniger in seinem eigenen Land: "Es wirkt verdreht, aber diese Situation könnte gut sein für US-Aktien, denn sie sind weniger anfällig auf Preissprünge bei Energieträgern und die direkten Auswirkungen von Krieg und dessen wirtschaftlichen Folgen." Da US-Unternehmen mehr auf den Heimmarkt ausgerichtet sind als etwa Unternehmen in der Schweiz oder Deutschland, wird der US-Aktienmarkt als weniger anfällig auf Globalisierungsthemen gesehen. 

Schwellenländer profitieren von Globalisierung

Ein Deglobalisierung-Aspekt ist, dass Unternehmen "Resilienz vor Effizenz" stellen werden: Lieber sichere als billige Lieferketten etwa. Dies verteuert Produkte und könnte sich auch als besonderer Nachteil für Schwellenländer werden: Diese waren die grössten Gewinner der Globalisierung. Sie steuerten 1990 rund 40 Prozent zum globalen Wachstum bei, zuletzt waren es 60 Prozent. Hunderte von Millionen Menschen wurden durch die Globalisierung aus der Armut gehoben. 

Die "Repatriierung" von Produktivitätskapazitäten respektive eine grössere Vorsicht bei Handelsbeziehungen mit autoritären Ländern dürfte für indivuelle Firmen aber auch zum Vorteil werden. Europäische Technologiefirmen werden davon profieren, dass Regierungen in mehr digitale Eigenständigkeit und höhere Energiesicherheit investierten, wie Agnès Belaisch, Marktstrategin beim Vermögensverwalter Barings, im Interview mit cash.ch sagte: "Die langfristigen Trends für europäische Unternehmen sind durch den Krieg in der Ukraine nicht geschwächt, sondern gestärkt worden."

Chance für Wettbewerbsfähigkeit

Aber wie stellt sich dies für die Schweiz mit ihren sehr exportlastigen Unternehmen heraus? Wenn, dann werde ein Rückgang der Globalisierung ein relativ langsamer Prozess sein, sagt Daniel Kalt, Chefökonom und Chief Investment Officer Schweiz bei der UBS. Die Schweizer Unternehmenslandschaft könne sich problemlos darauf einstellen: "Sie musste schliesslich auch schon mit einem schockartigen Ereignis wie der Frankenaufwertung zurechtkommen." 

Eine Rückkehr von Produktion oder Lagerhaltung in der Schweiz sei zwar teuer. Doch auch steigende Energiepreise, sei es durch höhere Rohstoffpreise oder durch eine mögliche Klima-Steuer, würden Handelsströme mit der Zeit verteuern. Eine Deglobalisierung würde sich vor allem im Rückgang von Güterströmen zeigen: "Bei den Dienstleistungen wird die Globalisierung, zum Teil auch gefördert durch den Pandemie-bedingten Digitalisierungsschub, wohl eher noch zunehmen", sagt Kalt.

Kalt sieht neben den beiden Schocks Pandemie und Ukraine-Krieg noch einen dritten Grund, der gewisse Aspekte der Globalisierung dämpfen könnte: den Wunsch nach Klimaschutz und mehr Nachhaltigkeit. Dies könne aber für die Schweizer Unternehmen gar eine Chance sein: "Wenn beispielsweise Produktionsstandorte in Asien weniger gefragt sind, erhöht dies die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz."

Noch kein Trading-Konto?

  • Nur 29 Franken Courtage pro Online-Trade
    • ob Aktien, Fonds, Anleihen oder Strukturierte Produkte
    • Zugang zu allen wichtigen Börsenplätzen weltweit
  • Gratis Realtime-Kurse im Wert von 1'298 Franken pro Jahr (ab Depotwert 20'000 Franken)
  • Auf Wunsch telefonische Beratung

Mehr erfahren...