Es ist noch nicht lange her, da foutierten sich viele Firmen und die Märkte um das Kürzel ESG. Doch um die drei Buchstaben (sie stehen für "Environment, Social, Governance" - oder deutsch: "Umwelt, Soziales und Unternehmensführung") kommt die Unternehmenswelt heute nicht mehr herum. Politische, gesetzliche und gesellschaftliche Entwicklungen in den letzten Jahren führten zu erhöhten ethischen und nachhaltigen Wertvorstellungen. 

Eine Nicht-Beachtung der ESG-Grundsätze kann zu Reputationsproblemen für Unternehmen führen. Und nicht bloss dies. Solche Firmen laufen zunehmend in Gefahr, als mögliche Börsen-Verlierer abgestraft zu werden. Denn es fliesst mehr und mehr Investorengeld in Unternehmen, welche die ESG-Grundsätze beachten - auch in Zukunft. Laut dem Beratungsunternehmen PwC werden bis 2025 geschätzte 57 Prozent (oder 7,6 Billionen Euro) des Investmentfondsvermögens in Europa in Fonds gehalten werden, welche ESG-Faktoren ausdrücklich berücksichtigen. Zum Vergleich: 2019 waren das erst 15 Prozent.

Auch die börsenkotierten Schweizer Firmen haben gemerkt, woher der Wind weht. Immer mehr Unternehmen schliessen ESG-Kriterien in das Unternehmensleitbild ein. Das zeigt nun ein Update einer Studie der Bank Vontobel, die erstmals 2020 veröffentlicht wurde. Das Analysten-Team "Aktien Schweiz" des Zürcher Vermögensverwalters untersuchte erneut 101 an der Schweizer Börse kotierte Firmen. 15 Parameter wie ESG-Bewusstsein, Lohngleichheit, Diversität oder Bestrebungen zu Emissionsreduktionen wurden analysiert. 

Givaudan das Mass aller «ESG-Dinge»

Das Resultat: 70 Prozent (im letzten Oktober: 65 Prozent) der untersuchten börsenkotierten Schweizer Firmen verfügen über eine aussagekräftige Dokumentation bezüglich ESG-Firmenpolitik. 61 Prozent der Firmen messen ESG zudem mit entsprechenden Kennzahlen. Vor einem Jahr waren dies erst 51 Prozent.

Ob nachhaltig gewirtschaftet wird, geht auch immer mehr ans Portemonnaie: Bei 24 Prozent der untersuchten Firmen sind die ESG-Leistungskennzahlen für das Management nämlich bonusrelevant. Das ist eine Steigerung gegenüber einem Messwert von 16 Prozent vor einem Jahr. Insgesamt haben sich 20 Unternehmen von den 101 untersuchten Firmen verbessert, neun verschlechtert.

So deutlich diese Steigerungen auch sind: Auf den Top-Fünf-Positionen im ESG-Ranking von Vontobel haben sich nur wenige Änderungen ergeben. Es sind insgesamt elf Firmen. Das Mass aller "ESG-Dinge" in der Schweiz ist nach wie vor Givaudan. Der Genfer Aromen- und Duftstoffhersteller erreichte wie letztes Jahr 42 von 60 möglichen Punkten. Die Durchschnittspunktzahl beträgt 32,8.

Quelle: Vontobel Equity Research.

Platz zwei teilen sich Geberit, Logitech und Nestlé, während Belimo, Zurich und Swiss Re gemeinsam den dritten Platz belegen. Rang vier nehmen ABB, Barry Callebaut und SGS ein. Swisscom belegt in der ESG-Tabelle von Vontobel Platz fünf. Positiv hervorgehoben werden punkto ESG-Verbesserungen auch Sonova, Aryzta und Alcon.

Nestlé hat sich im Ranking leicht verbessert. ESG stelle derzeit eine der obersten Prioritäten des Managements dar, schreiben die Vontobel-Analysten. Angesichts der Grösse und der Diversifikation stehe das Unternehmen zwar regelmässig im Rampenlicht wegen mutmasslicher Verstösse bezüglich Umweltverschmutzung oder Plastik. In den letzten Jahren sei Nestlé das ESG-Thema aber mit einer "echten Dringlichkeit" und ehrgeizigen Zielen angegangen, so Vontobel. 

Die Aktie von Nestlé hat in den letzten drei Jahren laut cash-Daten rund 47 Prozent zugelegt. Insbesondere in diesem Jahr ist der Anstieg markant, was in einem Rekordhoch mündete.

Kursentwicklung der Aktie von Nestlé in den letzten drei Jahren (Quelle: cash.ch)

Ebenfalls verbessert hat sich ABB. Das Unternehmen verfolgt laut Vontobel eine umfassende Nachhaltigkeitspolitik. Die ESG-Ziele seien vollständig integriert in die Unternehmensprozesse und basierten seit 2021 auf wissenschaftsbasierten Richtlinien. Die Erreichung der ESG-Ziele sind Teil der variablen Vergütung des Managements.

Die ABB-Aktie ist im letzten Jahr aus einem langjährigen Dornröschen-Schlaf aufgewacht. Seit März 2020 hat sie gemäss cash-Daten über 110 Prozent zugelegt. 

Kursentwicklung der Aktie von ABB in den letzten drei Jahren (Quelle: cash.ch)

Temenos war im letzten Jahr noch nicht auf den ersten fünf Plätzen beim Vontobel-ESG-Ranking zu finden. Das Unternehmen hat laut Vontobel eine sehr detaillierte Nachhaltigkeitsberichterstattung und erhalte von jüngeren Arbeitskräften positive Noten beim Thema Diversität. Ein gewisses Problem stelle aber die Bindung von Schlüsselmitarbeitern dar. Die Kursentwicklung der Aktie in den letzten drei Jahren ist eher durchzogen, wie ein Blick auf den cash-Chart offenbart. Immerhin resultiert in den letzten zwölf Monaten wieder ein Plus von rund 25 Prozent.

Vontobel betont im ESG-Update erneut, dass es gerade im Bankenbereich grosse Unterschiede bei den Nachhaltigkeitszielen gebe. ESG-Defizite weisen hier vor allem die kleineren Institute auf, nicht die grösseren Player. Ähnlich sieht es im Pharmabereich aus. Die Small- und Mid-Cap-Unternehmen seien aber auf guten Weg, ihre Transparenz bezüglich ESG kontinuierlich zu verbessern.