Das Marktpotenzial von Online-Apotheken ist gigantisch. Allein in Deutschland werden jährlich rund 54 Milliarden Euro mit rezeptpflichtigen Medikamenten umgesetzt. Doch der Onlineverkauf findet bisher noch kaum statt. Die sogenannte Onlinepenetration liegt gerade einmal bei 1,4 Prozent. Ändern soll sich das, wenn in Deutschland ab dem 1. Januar 2022 das sogenannte E-Rezept verpflichtend eingeführt werden soll. Ab dann müssen Ärzte elektronische Rezepte mit Barcode ausstellen. Dadurch wird es Patienten extrem vereinfacht, Medikamente online zu bestellen.  

Profiteure dieser Neuerung sind vor allem zwei grosse Player: Die Schweizer Versandapotheke Zur Rose und ihr deutscher Konkurrent Shop Apotheke beherrschen zusammen rund zwei Drittel des deutschen Markts. Beide Unternehmen spüren seit Beginn der Corona-Krise bereits ordentlich Rückenwind sowohl im Umsatz als auch an der Börse. 

Zur Rose oder Shop Apotheke: Wer hat die Nase vorn? 

Doch wer hat die Nase vorn im Rennen um die Vorherrschaft im Online-Apothekenmarkt? Um eines vorweg zu nehmen: Die These von "The winner takes it all" muss in diesem Zweikampf nicht unbedingt zutreffen. "Der Markt ist riesig und wächst mit 4,5 Prozent jedes Jahr. Es gibt genug Platz für zwei grosse Player", sagt Alexander Thiel, Analyst bei der US-Investmentbank Jefferies, gegenüber cash.ch. 

Trotzdem stellt sich die Frage, welche Aktie für Anlegerinnen und Anleger die interessantere Alternative ist. Vergleicht man die Unternehmensziele beider Player fällt schnell auf: Zur Rose hat einiges vor und dabei den ganz grossen Wurf im Blick. "Wir wollen den Kunden einen ganzheitlichen Service bieten", sagte CEO Walter Oberhänsli erst kürzlich im Interview mit cash.ch. Heisst: Man will nicht bloss online Medikamente verkaufen, sondern darüber hinaus Dienstleistungen erbringen. Mit dem Kauf der Plattform Teleclinic kaufte man sich erfolgreich in den Markt für Telemedizin ein. "Eine strategisch ganz wichtige Akquisition", sagt Thiel. 

Shop Apotheke hingegen scheint sich mit dem reinem Verkauf von Medikamenten fürs Erste zufrieden zu geben. "Der Apothekenmarkt allein gibt ein so grosses Potenzial her, dass wir uns ganz auf ihn konzentrieren wollen", sagte CEO Stefan Feltens im Frühjahr gegenüber "Finanz und Wirtschaft". Man wolle die beste elektronische Apothekenplattform Europas werden. "Zur Rose schwebt ein ganzes Gesundheitsökosystem vor", sagt Thiel. Die Schweizer wollen dabei einen ganzheitlichen Service bieten. "Shop Apotheke wiederum setzt eher auf Kooperationen", so Thiel.

Zur Rose stellt Profitabilität zunächst hinten an

Klar ist, Wachstumschancen haben beide Firmen allemal. Doch Jefferies-Analyst Thiel hat trotzdem einen klaren Favoriten. "Für jedes eine Prozent mehr Volumen, dass im Handel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten online geht, wird Shop Apotheke 30 bis 35 Prozent gewinnen können", sagt Thiel voraus. Aber: "Zur Rose wird wegen seines höheren Marktanteils 40-50 Prozent abgreifen können."

Hinzu kommt, dass laut Thiel das Geschäftsmodell von Shop Apotheke keine allzu grossen Profitabilitsteigerungen zulässt. "Die Margen im klassischen Reselling, wie es Shop Apotheke betreibt, sind begrenzt." Für Shop Apotheke sagt er eine Marge von 8,5 Prozent voraus, während er bei Zur Rose eine Marge zwischen 12 und 15 Prozent prognostiziert. 

Ein wichtiger Punkt, der für Zur Rose als Langfrist-Anlage spricht, ist die volle Fokussierung auf Wachstum, die an die Anfänge von Amazon erinnert. Während Shop Apotheke 2020 erstmals die Gewinnschwelle erreichen konnte (2021 werden am Ende wieder Verluste stehen), will Zur Rose frühestens 2023 an Gewinne denken. Bis dahin wird ohne Kompromisse alles in Wachstums gesteckt. Zur Rose ist die Nummer 1 und will diese Position festigen. "Bevor man an Profitabilität denkt, will man zuerst den Markt 'zu machen'. Das ist die Wachstumsgeschichte", sagt Thiel. Die Investoren verstünden das. "Die brauchen heute noch keine Profitabilität. Die kann auch später kommen, dann aber richtig." 

«Die Leute werden sehen, dass es funktioniert»

Das grösste Risiko sowohl für Zur Rose als auch Shop Apotheke ist zweifellos eine Verschiebung oder gar ein Scheitern der Einführung des E-Rezeptes in Deutschland. Immer wieder tauchen Gerüchte über Verzögerungen des Zeitplans auf. Dass das E-Rezept gänzlich wieder vom Tisch kommt, daran glaub praktisch niemand mehr. Doch sollte sich der Termin tatsächlich signifikant nach hinten verschieben, wäre das ein harter Schlag für die Aktien beider Unternehmen. 

Die von Bloomberg befragten Analysten sind sowohl für Zur Rose als auch für Shop Apotheke positiv eingestellt. So ähnlich, wie die Aktienkurse verlaufen sind, lesen sich auch die Ratings der Analysten. Bei beiden Aktien stehen 10 Buy-Rating einer Verkaufsempfehlung gegenüber.