Die Wahl in den USA hat bereits stattgefunden. Der Sieger: Donald Trump. Wer hätte das gedacht. Ihr Korrespondent jedenfalls nie und nimmer. Die Medien in den USA, aber auch in Europa, trugen alles dazu bei - oh westliche Pressefreiheit - Trump-Wähler als niveaulos, dumm und als garstigen Plebs darzustellen. Die Eliten, das Establishment, der relativ wohlhabende Mittelstand wurden als demokratische Heilsbringer verklärt. Welche Hybris! Lehren wären jetzt zu ziehen. Vor allem unter Politikern, auch und gerade in der Schweiz. Eines unter vielen Beispielen: Die Masseneinwanderungsinitiative (MEI). Mit müden Buebe-Trickli etwa wollen FDP-Schlaumeier Müller, SP-Schlaumeier Levrat oder CVP-Schlaumeier Pfister die MEI am Volksentscheid vorbeimogeln. Dabei merken sie nicht, dass sie dabei den Schweizer Bonsei-Trumps in die politischen Hände spielen. Nun nämlich kann ungehemmt beispielshalber SVP-Oberschlaumeier Blocher von seinem Misthaufen das politische Gift verzetteln.

Sicher, im Wahlkampf zwischen dem tumben Trump und der ach so gescheiten Clinton ging es vorab um Sex und E-Mails und nur am Rande um solche Lappalien wie Regierungsprogramme. Die drei TV-Debatten zwischen Clinton und Trump verkamen, wen wunderts noch, zur seichten Reality-Show. Danach diskutierten Experten, Kommentatoren, Journalisten und Pundits aller Denominationen ernsthaft über das niveaulose Palaver. Dubiose Meinungsumfragen mit Vorteil Clinton wurden bis zuletzt fast täglich publiziert. Und keiner der sogenannten Experten vorab am Fernsehen widersprach. Ein chinesischer Bekannter, der in Princeton studiert hat, kommentierte das US-Wahljahr mit den Worten: "Demokratie nach amerikanischer Art - nein danke!"

Die chinesische Propaganda traute der amerikanischen Demokratie denn doch nicht so recht. Die Medien wurden angehalten, so knapp wie möglich, zurückhaltend und unaufgeregt über den Wahlkampf zu berichten. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua (Neues China) und das Parteiblatt "Renmin Ribao" (Volkstageszeitung) fällten zuhanden ihrer Leser ein vernichtendes Urteil über die Demokratie à l'Americaine.

Aber immerhin: Die Amerikaner hatten die Auswahl. So gesehen ist die Wahl Donald Trumpfs ein Reifezeugnis der amerikanischen Demokratie. China und den USA gemeinsam allerdings ist der friedliche Machtwechsel. In Amerika seit gut 200 Jahren. In China seit 15 Jahren. Das ist gut für China, für Amerika und die Welt.

Zweites Mandat

In der Volksrepublik China steht im kommenden Jahr ein ähnlich wichtiges Ereignis wie die eben zu Ende gegangenen US-Wahlen an. Nein, natürlich nicht Wahlen, sondern der alle fünf Jahre stattfindende Parteitag, an dem nicht über Sex und E-Mails debattiert wird, sondern über die politische, wirtschaftliche und soziale Zukunft des Landes sowie über das Verhältnis des Reichs der Mitte zur internationalen Gemeinschaft in einer globalisierten Welt. Wichtig bei alle dem sind, wie in den USA, natürlich Personalfragen. Ungleich den USA bei den Präsidentschaftswahlen 2016 weiss man jedoch bereits heute, wer beim 19. Parteitag der KP Chinas im Herbst 2017 Staats-, Partei- und Militärchef sein wird: Xi Jinping. Er wird sein zweites fünfjähriges Mandat antreten.

Ungleich Amerika allerdings spielt sich alles - sowohl bei inhaltlichen als auch bei personelle Fragen - hinter verschlossenen Türen ab. Die wachsende Mittelklasse, immerhin schon 300 bis 400 Milllionen stark, hat einen ungeschriebenen Contrat Social mit der allmächtigen Kommunistischen Partei Chinas: Solange wirtschaftlich und sozial jedes Jahr Fortschritte erzielt werden, halten wir uns ruhig. Doch auch ohne grössere Probleme wird der Tag kommen, an dem mehr Transparenz gefordert wird. Daran arbeitet die Partei. Einen Blick in die innere Befindlichkeit der allein regierenden Partei geben jeweils die Zusammenkünfte des Zentralkomitees.

Resolut und autoritär

Ende Oktober zum Beispiel haben die rund 200 Vollmitglieder und über 150 ausserordentliche Mitglieder des Zentralkomitees der 88 Millionen Mitglieder starken Kommunistischen Partei Chinas den künftigen Kurs der KP und mithin Chinas weiterentwickelt. Das jährlich in der Regel zweimal stattfindende Plenum gibt die strategische Richtung der chinesischen Politik vor. Doch erst am 19. Parteitag im Herbst 2017 werden die für die Zukunft die entscheidenden Personal- und Strategiefragen verabschiedet.

Kurz vor dem Plenum hat der seit seinem Machtantritt im November 2012 immer resoluter und autoritärer regierende Partei-, Militär- und Staatschef Xi Jinping die Richtung vorgegeben mit einem subtilen Hinweis auf die heroische Geschichte der KP Chinas. "Auf unserem Langen Marsch", so der eloquente Xi, "müssen wir die Führung der Partei verstärken und eine äusserst strikte Disziplin bewahren." Der moralische Bezug auf den legendären "Langen Marsch" Mitte der 1930er Jahre wird seine Wirkung innerhalb und ausserhalb der Partei wohl nicht verfehlen. Denn Mao ist in China trotz seiner utopischen, desaströsen Politik noch immer populär.

Pragmatische Reformpolitik

Xi Jingping freilich bedient sich mit seiner Reformpolitik nicht ideologisch bei den gescheiterten Utopien von KP-Mitbegründer Mao Dsedong. Xi weiss jedoch um die Bedeutung Maos als schon fast mystische daoistische Gottheit beim chinesischen Volk und bringt dies mit viel Energie in seine nicht utopisch-maoistischen sondern sehr pragmatischen, typisch chinesischen Reformpolitik ein. Xi Jinping wurde noch vor vier Jahren im Westen von sogenannten China-Experten, Diplomaten und Medienkommentatoren als Gorbatschow Chinas hochgejubelt. Die letzten Jahre haben dann aber gezeigt, dass er sich fern aller westlicher Interpretationsmuster als eigenständiger Spitzenpolitiker entwickelt hat.

Ein Jahr vor dem Parteitag und dem Ende seiner ersten fünfjährigen Amtszeit scheint der 63 Jahre alte Parteichef Xi alles im Griff zu haben. Nach dem viertägigen geheimen ZK-Konklave in Peking wurde ein Communique von über 6000 Worten veröffentlicht. Viel ist darin von Loyalität und Disziplin vor allem für die oberen Parteikader die Rede, aber auch davon, dass keine "unkontrollierte Macht" in der Parteiarbeit und der chinesischen Politik erlaubt sei. Das kollektive Führungssystem spiele im "demokratischen Zentralismus" eine wichtige Rolle. Dennoch ist jetzt die Partei von der seit über zwei Jahrzehnten üblichen kollektiven Führung etwas abgerückt und hat den neuen starken Mann Chinas zum "Kern des Parteizentrums" erklärt. Diesen Titel hat einst Reformübervater Deng Xiaoping eingeführt, ihn dann Mao und sich selbst verliehen. Der Vor-Vorgänger Xis, Jiang Zemin (1989-2002) war nur vorübergehend "Kern" der Partei. Der unmittelbare Vorgänger Xis dagegen, Hu Jintao (2002-2012), stand als Erster unter Gleichen einer kollektiven Führung vor.

«China ist wieder auferstanden!»

Die Partei gibt wie schon Ende 1978 unter Deng Xiaoping auch jetzt unter Xi Jinping langfristige Ziele vor. Die Bildung der zentralen Parteiführung mit "Xi als Kern" werde laut Kommentar im Sprachrohr "Renimin Ribao" Chinas Bemühungen erleichtern, "seine für den 100. Geburtstag der Partei gesetzten Ziele zu erreichen". Zu diesen Zielen gehört in Anlehnung an Richtlinien, die Reformer Deng Xiaoping bereits vor über 30 Jahren formuliert hat, der "Aufbau einer moderat wohlhabende Gesellschaft bis 2021 und eine moderne sozialistische Nation bis 2049". Die Jahreszahlen kommen nicht von ungefähr. 2021 jährt sich zum 100. Mal die Gründung der KP Chinas in Shanghai und im Jahre 2049 ist es 100 Jahre her, seit Mao in Peking auf dem Tor des Himmlischen Friedens am Tiananmen-Platz in Peking die Gründung der Volksrepublik verkündete mit den Worten: "China ist wiederauferstanden!". Der inzwischen mächtige Xi Jinping hat Maos und Dengs Vision eine eigene, auf die Chinesinnen und Chinesen des 21. Jahrhunderts gemünzte Vision hinzugefügt, jene von der "Realisierung des grossen chinesischen Traums von der Erneuerung und Verjüngung der chinesischen Nation".

Der Weg freilich zur Erreichung der gesetzten Ziele wird, wie sich die Parteiführung wohl bewusst ist, lang und beschwerlich sein. Die Partei, so die "Volkszeitung", "befindet sich an einem Scheideweg". Dringend seien mehr Reformen sowohl wirtschaftlich als auch politisch nötig. Innerhalb der Partei nämlich gab und gibt es auch heute unterschiedliche Meinungen und Strömungen. Die Reformbemühungen Xi Jinpings der letzten Jahre sind auf Widerstand gestossen. Mächtige Interessen beispielsweise in den Provinzen und in den Staatsbetrieben werden durch die Reformen tangiert.

Seilschaften

Wie in jeder grossen Organisation gibt es auch innerhalb der KP Seilschaften. Die Fraktion der Princelings, der kleinen Prinzen etwa, vereinigt informell all jene, die von alten Revolutionären abstammen. Auch Xi Jinping ist ein Princeling, war doch sein Vater ein enger Mitstreiter von Mao. Dann gibt es eine Shanghai-Fraktion, die dem ehemaligen Staats- und Parteichef Jiang Zemin verpflichtet ist, sowie die Fraktion der Kommunistischen Jugendliga, die heute vom ehemaligen Staats- und Parteichef Hu Jintao angeführt wird. Nach Ansicht von China-Experten ist jetzt die Zhejiang-Fujian-Fraktion am Drücker, weil Xi Xinping in diesen Regionen einst Parteichef war und jetzt seine Vertrauten in führende Stellungen des Zentrums befördert hat oder befördern will. Der Anti-Korruptionskampf von Xi Jinping wird zwar nach Meinung von unabhängigen Beobachtern effizient und gerecht verfolgt, dass dabei auch politische Rechnungen beglichen werden, ist aber ebenso klar.

Dass der Kampf noch nicht zu Ende ist, wird im ZK-Communique in bestem Partei-Chinesisch in einem Aufruf an alle Parteimitglieder so formuliert: "Zusammen müssen wir ein sauberes und korrektes politischen Umfeld schaffen, um sicherzustellen, dass die Partei vereinigt ist und das Volk anführt zur ständigen Schaffung neuer Möglichkeiten für den Sozialismus chinesischer Prägung". Aus Parteisicht ist klar, dass sich alle Parteimitglieder loyal und diszipliniert "eng um das ZK mit Genosse Xi Jinping als Kern zusammenschliessen". Gleichzeitig aber wird unterstrichen, dass "keine Parteiorganisation und kein Individuum die innerparteiliche Demokratie unterdrücken und unterminieren darf". Mit andern Worten: Kern der Macht ja, aber etwas von der einstigen kollektiven Führung darf bleiben.

«Transparenteres Vorgehen»

Es wird deshalb nicht überraschend zu "Konsultationen bei der Entscheidungsfindung innerhalb der Partei" aufgerufen. Das betrifft offenbar besonders die Personalfragen. Hier soll gemäss ZK-Communique "transparenteres Vorgehen" und "weniger undurchsichtige Mechanismen bei der Ernennung von Kadern" die Regel werden. Will Xi Jinping seine durchgreifenden Reformvorhaben und seinen beim Volk populären Anti-Korruptionskampf erfolgreich fortsetzen, muss er am Parteitag in einem Jahr seine eigenen Leute in die entscheidenden Gremien - das 200-köpfige Zentralkomitee, das 21-köpfige Politbüro und den 7-köpfigen Ständigen Politbüro-Ausschuss - bringen. Im Politbüro müssen 11 der 21 Mitglieder aus Altersgründen zurücktreten, im Ständigen Politbüro-Ausschuss sind es gar 5 von 7.

Der Ständige Politbüro-Ausschuss steht unter Beobachtern, weil das mächtigste und entscheidende Organ der Volksrepublik, besonders im Fokus. Xi Jinping (63) und Premier Li Kejiang (63) sind gesetzt, die andern jedoch werden im nächsten Jahr 68 Jahre alt oder älter und müssen zurücktreten. Alle Augen richten sich deshalb auf Wang Qishan. Er ist Xi Jinpings engster Vertrauter, Vorsitzender der mächtigen Disziplinarkommission, Anti-Korruptionschef und Wirtschaftsspezialist. Sollte Wang trotz seines Alters nochmals für fünf Jahre im obersten Organ der Volksrepublik Einsitz nehmen, gehen auch chinesische Beobachter davon aus, das Xi Jinping 2022 nach seiner zweiten fünfjährigen Amtszeit mit 68 Jahren eventuell eine dritte Amtszeit anstreben will. Das würde ihm helfen, eigene Leute für die neue Führung der 6. Generation ins Machtzentrum zu bringen (Mao 1., Deng 2., Jiang Zemin 3. Hu Jintao 4. und Xi Jingping 5. Generation).

Baden in Beidaihe

Möglicherweise wird Xi den Ständigen Politbüro-Ausschuss auch von jetzt sieben auf fünf Mitglieder reduzieren . Das bedeutet für Xi mehr Macht. Doch die Reduzierung wäre nicht ungewöhnlich. Bereits 2012, als Xi Jinping seinen Vorgänger Hu Jintao abgelöst hatte, wurde der Ständige Politbüro-Ausschuss von neun auf sieben Mitglieder verkleinert.

Xi Jinping war beim eben zu Ende gegangenen Plenum, alles in allem, gewiss erfolgreich in der Durchsetzung seiner Ziele. Wie erfolgreich indes wird sich erst bei den Personalentscheiden zeigen. Diese werden jeweils aber erst kurz vor dem Parteitag getroffen, üblicherweise in der Sommerfrische im Juli oder August 2017 in Beidaihe am Ostchinesischen Meer.

Xi bleibt Xi

Der nächste Parteitag im Herbst 2017 jedenfalls wird zeigen, in welcher Richtung sich China politisch und wirtschaftlich bewegen wird. Für westliche Begriffe sind natürlich chinesische Parteiangelegenheiten langweilig, ideologisch, zum Gähnen. Man sollte aber ein chinesisches ZK-Plenum auf eigene Gefahr hin nicht unterschätzen.

Xi Jinping hat in seiner Zeit als Parteichef in den Küstenprovinzen Fujian und Zhejiag sowie seit 2012 an der Spitze Chinas bewiesen, dass er ein pragmatischer, durchsetzungsfähiger und realistischer Politiker ist. Das verspricht viel für China und die Welt. Dass jetzt von westlichen Medien bereits suggeriert wird, Xi sei der neue Mao oder strebe jedenfalls Ähnliches an, ist so falsch und wirklichkeitsfremd wie die Einschätzung der gleichen Medien vor vier, fünf Jahren, Xi sei der Gorbatschow Chinas. Bei genauerem Hinsehen ist Xi Jinping nicht mehr aber auch nicht weniger als Xi Jinping.