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Der cash Insider hat drei Wochen lang Kalifornien, Colorado und Nevada bereist. Wie hat er die Stimmung im Westen der USA erlebt?

Die Stimmung ist überraschend gut. Ich hatte während unserer Rundreise mehrfach die Gelegenheit, mich mit den Menschen vor Ort über ihre Situation und die Wirtschaft zu unterhalten. Von Nachwehen der Immobilien- oder der Finanzkrise will kaum noch jemand etwas wissen. Optimismus und Zuversicht wo man auch hinhört – und es wird wieder im grossen Stil konsumiert. Die in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossenen riesigen Einkaufszentren sind gut besucht.

Wie sieht es mit der Bautätigkeit aus?

Grössere Baustellen gab es nur gerade in und um San Diego. Wie mir berichtet wurde, erfreut sich diese beliebte Metropole eines gewaltigen Zustroms neuer Einwohner. Die Stadt platze mittlerweile aus allen Nähten, so hiess es. Ähnliches gilt für Las Vegas. Dort gehört das vermutlich aber zum "courant normal". Ansonsten beschränkt sich die Bautätigkeit auf das Strassennetz, was dieses aus meiner eigenen Erfahrung auch dringend nötig hat.

Lassen diese Eindrücke positive Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Situation in anderen Landesteilen zu?

Von Kalifornien, Colorado und Nevada auf die ganze USA zu schliessen, ist natürlich gefährlich. Schliesslich gibt es noch 47 weitere Bundesstaaten. Allerdings traf ich auf unserer Reise auch auf zahlreiche Touristen aus anderen Landesteilen. Diese äusserten sich ebenfalls zuversichtlich, was die Situation bei ihnen zu Hause anbetrifft. Ich glaube, die amerikanische Wirtschaft steht mittlerweile auf recht stabilen Beinen.

An der Börse in New York gabs in den vergangenen Wochen erneut eine Rekordjagd. Ist nach dem Rücksetzer von Ende letzter Woche nun alles anders?

Am Donnerstag und Freitag brach erstmals seit Monaten eine grössere Abgabewelle über den amerikanischen Aktienmarkt herein. Zuvor näherte sich der viel beachtete S&P-500-Index bis auf wenige Punkte der psychologisch wichtigen Marke von 2000 Punkten. Selbst die immer zahlreicheren geopolitischen Krisenherden hielten Anleger nicht davon ab, in Rückschläge hinein Aktien zu kaufen. Ich wage es zu bezweifeln, dass der sich abzeichnende Staatsbankrott Argentiniens zu einem grundlegenden Stimmungsumschwung führt. Vermutlich steht dem breit gefassten S&P-500-Index in den kommenden Wochen zumindest ein vorübergehender Ausflug auf über 2000 Punkte bevor. Am späten Freitag trafen jedenfalls bereits wieder Berichte von Gelegenheitskäufen durch grosse Marktakteure bei mir ein.

Sollten hiesige Anleger dasselbe tun und jetzt noch einsteigen?

Jetzt noch einzusteigen, bedarf schon einer gehörigen Portion Mut. Immerhin hat sich der S&P-500-Index seit März 2009 mehr als verdreifacht. Interessant ist, dass das Börsenbarometer in dieser Zeit nie mehr als 15 Prozent korrigiert hat. Man muss schon sehr weit in die Vergangenheit zurückgehen, um auch nur einen annähernd vergleichbaren Höhenflug zu finden. Obschon Trends immer länger als allgemein angenommen dauern, ist nach über fünf Jahren ein grösserer Rückschlag wahrscheinlicher denn je.

Weshalb so vorsichtig?

Es gibt zahlreiche Gründe. Zum einen befinden wir uns noch immer in einer liquiditäts- und nicht in einer gewinngetriebenen Hausse. Und das obschon die US-Notenbank schon vor Monaten einen geldpolitischen Kurswechsel vollzogen hat und ein solcher ab Mitte nächsten Jahres auch bei den Zinsen ein Thema wird. Rechnet man die bisher in den USA veröffentlichten Quartalsergebnisse hoch, dann beträgt das Wachstum bei den Unternehmensgewinnen im Vergleich zum Vorjahr gerade mal 6 Prozent. Der S&P-500-Index hat in dieser Zeit um gut 20 Prozent zugelegt. Zum anderen häufen sich die Anzeichen dafür, dass sich die Aktien-Hausse in einer weit fortgeschrittenen Phase befindet. Wenn selbst die Aktien grosser Unternehmen wie beispielsweise Twitter Tagesschwankungen von 20 oder mehr Prozent aufweisen, dann ist das nicht unbedingt ein Zeichen für den Gesamtmarkt. Ausserdem wurde noch nie in der Geschichte auf Kredit mit Aktien spekuliert wie zur Zeit, und das selbst ins Verhältnis zum amerikanischen Bruttoinlandprodukt gesetzt.

Unternehmen wie Twitter oder Facebook gelten schon seit ihrem Börsengang als aussichtsreiche Wachstumsaktien. Wie ist dieses Marktsegment einzuschätzen?

Während sich der S&P-500-Index seit März 2009 verdreifacht hat, kletterte der für Wachstumsaktien wichtige Nasdaq Composite Index sogar vier Mal so stark. Es ist in all den Jahren ganz schön viel Geld in dieses Marktsegment geflossen. Nehmen wir Facebook anstatt Twitter als Anschauungsbeispiel. Wider anders lautenden Erwartungen hat sich das soziale Netzwerk zu einer recht ordentlichen Geldmaschine entwickelt. Anleger sind heute bereit, das 12-fache des nächstjährigen Umsatzes und sogar das 36-fache des nächstjährigen Gewinns zu bezahlen. Wo bleibt da für mich als Anleger die Fantasie, wenn ich schon heute für die hochgejubelten Aussichten bezahlen muss?

Gibt es auch in der Schweiz Aktien, die in dieses Schema passen?

Ja, solche gibt es auch in der Schweiz. Zum Beispiel das Technologieunternehmen U-blox oder der Finanzdienstleister Leonteq. Beide Firmen waren in der jüngeren Vergangenheit sehr erfolgreich und verfügen über weiterhin gute Aussichten. Diese Aktien haben sich über die letzten Jahre allerdings vervielfacht. Obschon sie von ihren kürzlichen Höchstständen bereits etwas zurückgefallen sind, wird den Aussichten mittlerweile weitestgehend Rechnung getragen.

Zurückgefallen sind zuletzt nicht nur U-blox und Leonteq. Auch der Schweizer Aktienmarkt notiert unter seinen historischen Höchstständen von Mitte Juni. Wie ist unser Heimmarkt zu beurteilen?

Anders als in Übersee hat die Gewinnentwicklung hiesiger Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren stagniert. Allerdings hat der Schweizer Aktienmarkt auch deutlich weniger stark zugelegt als jener in New York. In beiden Fällen hat sich die Börsenentwicklung substanziell von der Gewinnentwicklung abgekoppelt. Schuld ist die exzessiv lockere Zins- und Geldpolitik der Zentralbanken führender Wirtschaftsnationen. Mir scheint unser Heimmarkt etwas weniger korrekturgefährdet als der amerikanische Aktienmarkt. Dennoch werden sich die hiesigen Aktien einer von New York ausgehenden Korrektur nicht entziehen können. Wie sagt man doch so schön: Wenn die Börse in New York hustet, verschlägt es uns mit einer Grippe ins Bett.

Sollten Anleger jetzt demnach Kasse machen und verkaufen?

Nimmt man die Aktien der beiden hiesigen Grossbanken als Gradmesser, dann droht wohl tatsächlich eine einschneidende Korrektur. Die Papiere der UBS notieren mittlerweile 7,5 Prozent unter dem Stand von Anfang Jahr, jene der Erzrivalin Credit Suisse knapp 10 Prozent. Und das obschon der Swiss Performance Index in dieser Zeit um 6,3 Prozent gestiegen ist. In der Vergangenheit erwiesen sich die Aktien der beiden Grossbanken oft als zuverlässiger Frühindikator für den breiten Markt. Es ist allerdings zu früh, um in Panik zu verfallen. Noch ist möglich, dass sich die Aktienmärkte nach dem Ausverkauf vom Donnerstag und Freitag wieder fangen. Jetzt schon von einer grundsätzlichen Trendumkehr zu sprechen, wäre wohl verfrüht. Trotzdem behalte ich die Entwicklungen der nächsten Tage genauestens im Auge. Das gilt ganz besonders für die in Übersee. Falls sich an den Märkten etwas grundsätzlich verändert, werde ich das in meiner täglichen Kolumne wie gewohnt unverzüglich aufgreifen und abhandeln.