cash: Herr Goldberg, wie würden Sie die derzeitige Stimmung an den Börsen beschreiben?

Goldberg: Die Anleger sind recht vorsichtig geworden. Wie unsere Umfrage mit der Börse Frankfurt von vergangener Woche zeigt, haben wir absolut gesehen nur noch einen winzigen Optimismus. Im Vergleich zu den letzten drei und sechs Monaten ist das ein niedriger Wert. Wir müssen daher von einem relativen Pessimismus sprechen.

An der Börse spielen Emotionen und Gefühle eine starke Rolle. Momentan bekommt man das Gefühl, dieses Sentiment könnte auf beide Seiten kippen. Sehen Sie das auch so?

Die Stimmung ist aktuell zwar relativ schlecht, aber sie ist nicht panisch. Weiterhin dominiert der Gedanke unter Anlegern: 'Wann kann ich endlich einsteigen, damit mir der Markt nicht nach oben davonläuft?' Und solange dieses Denkmuster vorherrscht, ist Panik fehl am Platz. Aber das kann sich bei noch stärkeren Kursverlusten natürlich ändern.

Sie beschäftigen sich seit über 30 Jahren mit dem Zusammenspiel von Menschen und Märkten. Wenn Sie das jetzige Umfeld mit ähnlichen Entwicklung der Vergangenheit vergleichen, wie stufen Sie die jetzige Situation ein?

Wenn man sich vergleichbare Marktphasen anschaut, dann sieht das hier nicht nach einem Crash aus, sondern nach einem Dümpeln nach unten. Natürlich nimmt man das, was Anfang Februar oder vergangene Woche passierte als crashähnlich wahr, aber es ist kein Crash. Es ist eine Abwärtsbewegung. Wir müssen uns nach Zeiten geringer Volatilität wieder daran gewöhnen, Rücksetzer hinnehmen zu müssen.

Welches ist der Hauptgrund für die Eintrübung der Stimmung. Ist es der sich abzeichnende Handelsstreit der USA mit dem Rest der Welt?

Der Auslöser ist vielleicht der mögliche Handelskrieg, aber dieser Börsenrückschlag wäre meiner Meinung nach so oder so gekommen. Denn eines ist offenkundig, und das wird oft unterschätzt:  Die Notenbanken machen ernst mit der Normalisierung ihrer Geldpolitik. Wir bekommen es hier zwar mit kleinen Leitzinserhöhungen zu tun. Aber es geht gar nicht so sehr um die Geschwindigkeit der Zinserhöhung, sondern es hat sich grundsätzlich etwas am Umfeld geändert.

Aber der Zinsanstieg der US-Notenbank kommt nicht aus heiterem Himmel, das hätten die Marktteilnehmer doch antizipieren können?

Man denkt sich halt bei einem viertelprozentigen Anstieg, dass dies nicht so dramatisch ist. Aber dem Markt wird etwas entzogen. Nicht nur die Zinsen steigen an, auch die Anleihenkäufe werden zurückgefahren. Ausserdem werden die Zinserhöhungen noch immer schöngeredet: 'Ach, die werden die Zinsen doch nicht erhöhen, wenn die Börse in die Knie geht', ist eine gängige Meinung. Und vielleicht ist an dieser Einschätzung sogar etwas Wahres dran.

Können Sie das genauer erläutern?

Wenn der US-Index nun plötzlich 20 Prozent verlieren würde, dann würde auch das Wirtschaftswachstum darunter leiden. Deswegen dürfte es eine Notenbank schwer haben, die Zinsen weiter zu erhöhen, wenn der Aktienmärkt tatsächlich massiv leiden würde.

Trotz dem negativen Börsen-Sentiment haben wir in der Schweiz, in Europa und anderswo eigentlich positive Fundamentaldaten, sprich gutes Wirtschaftswachstum und gute Firmenresultate.

Wir befinden uns eher am Ende des ökonomischen Zyklus. Die Einkaufsmanagerindizes in der Eurozone von vergangenem Donnerstag fielen schlechter aus als erwartet. Das ist zwar noch kein Beinbruch, da wir noch immer im positiven Bereich sind. Aber es gibt inzwischen das eine oder andere Anzeichen, dass es nicht mehr ganz so rund laufen wird wie bisher.

Und die Anleger an den Aktienmärkten nehmen nun diese sich abzeichnende Eintrübung bereits vorneweg?

Ja, wobei so richtig verabschiedet haben sich die Anleger von der Börse nicht. Sie handeln mit der Absicht, auf tieferem Niveau wieder zurückzukommen.

Sind die Börsen bereits wieder auf ein attraktives Einstiegsniveau gefallen?

Nehmen wir als Beispiel den deutschen Leitindex Dax. Dieser ist am vergangenen Freitag wieder unter 12'000 Punkte gefallen, nachdem er Ende Januar noch bei über 13'500 Punkten war. Das sieht optisch nach einem guten Kaufniveau aus, da der Fall relativ tief war. Aber tatsächlich weiss niemand, wann tief auch wirklich tief ist. Man orientiert sich da immer an Tiefpunkten aus der Vergangenheit.

Wie weit runter kann es denn ihrer Meinung nach noch gehen?

Wir haben diverse Modelle, mit denen kann man eine Idee bekommen kann, wann ein Einstiegszeitpunkt gekommen sein könnte. Beim Dax wäre das bei ungefähr 11'750 Punkten (Anm. der Redaktion: Das ist 1,2 Prozent weniger als der Schlussstand vom 23. März bei 11'886 Punkten).

Könnten wir uns gar am Anfang eines Bärenmarktes befinden, also einer anhaltenden Phase mit fallenden Aktienkursen?

Schwierig zu sagen. Ich sehe momentan nur eine Korrektur am Aktienmarkt. Über einen möglichen Übergang von der Korrektur zu einem Bärenmarkt würde ich mir erst Gedanken machen, wenn der Dax unter 11'500 Punkte fällt. Aber man muss die aktuelle Korrektur schon ernst nehmen. Das liegt auch daran, dass einige Marktteilnehmer in diesem fallenden Markt bereits wieder eingekauft haben und sie jetzt auf ihren Engagements sitzen. Die Frage ist, wieviel Munition sie überhaupt noch haben, um zuzukaufen.

Eine Börsenrallye wie etwa im Jahr 2017 darf man in diesem Umfeld nicht mehr erwarten?

Wir sind erst in den Anfängen der Zinserhöhungen. Es hat sich zwar etwas geändert, aber es ist nicht so, dass es jetzt von den Rahmenbedingungen her brutal bedrohlich wäre. Ende Januar waren wir uns noch alle einig, die Märkte müssen korrigieren. Alles bis 10 Prozent nach unten wurde als gesund gewertet. Der Aktienmarkt ist jetzt nicht über Nacht krank geworden.

Der Deutsche Joachim Goldberg (61) arbeitete nach einer Banklehre 25 Jahre bei der Deutschen Bank. In den 90er-Jahren begann er sich mit «Behavioral Finance» (verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie) zu beschäftigen und schrieb Bücher wie etwa «Genial einfach entscheiden» (2013). Er gilt als Deutschlands führender Experte auf dem Gebiet der "Börsenpsychologie".