cash.ch: Sie geben den wichtigsten Aktienbörsen ein Kurspotenzial von rund 5 Prozent im nächsten Jahr. Wieso derart bescheiden?
Karsten Junius: Viele Aktienmärkten sind einfach hoch bewertet und preisen eine perfekte Welt ein, in der die US-Wirtschaft in keine Rezession fällt. Das ist zwar möglich, aber dafür darf nichts schief gehen. Deshalb wären wir im nächsten Jahr mit 5 Prozent zufrieden. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass wir in diesem Jahr eine Sonderentwicklung mit dem Hype um die amerikanischen Technologie-Aktien mit der Künstlichen Intelligenz hatten. Wir sind sehr vorsichtig mit der Einschätzung, dass sich dies wiederholt. Zudem gilt es zu bedenken, dass die Gewinnrenditen von Aktien im Vergleich zu Obligationenrenditen historisch niedrig sind. Die Aktienmärkte sind im Vergleich zu den Anleihemärkten sehr, sehr teuer.
Das Risiko einer Rezession in den USA ist also nicht gebannt?
Bisher hat sich der S&P 500 Index sehr gut gehalten, weil die Konjunkturentwicklung positiv überrascht hat. Die fiskalischen Impulse waren in diesem Jahr deutlich stärker als erwartet. Wir haben in der Zwischenzeit aber ein hohes Zinsniveau erreicht, das die US-Wirtschaft abschwächen sollte. Dies würde auch mit einer Abschwächung der Unternehmensgewinne einhergehen. In dieser Phase, während die amerikanische Notenbank die Zinsen nicht schwächen dürfte, wird das für den US-Aktienmärkte kurzfristig schwierig zu verdauen sein. Insofern ist es durchaus denkbar, dass der S&P 500 Index (aktueller Stand 4381 Punkte) einen Rücksetzer auf 4000 Punkte vollzieht, ehe es dann im Laufe des nächsten Jahres auf 4600 Punkte hochgeht.
Wohin bewegt sich der Schweizer Aktienmarkt?
Schweizer Aktien bieten das attraktivste Kurspotenzial. Wir sehen den SMI bis Ende 2024 auf 11'700 Punkte steigen. Das ergibt ein Potenzial von 11 Prozent. Wir sind überzeugt, dass der Schweizer Aktienmarkt seine defensiven Qualitäten im nächsten Jahr ausspielen kann. Auch weil sich das Zinsumfeld wieder drehen sollte. Deshalb sind wir stark im Gesundheitsbereich engagiert, der in der aktuell schwierigen, konjunkturellen Lage übergewichtet werden sollte.
Der Zinspeak scheint also erreicht. Werden die Aktien- und Obligationenmärkte damit weniger starken Schwankungen unterworfen sein?
Die Schwankungsanfälligkeit der Märkte dürfte nächstes Jahr tatsächlich abnehmen, weil unserer Meinung nach alle grossen Zentralbanken ihr Zinshoch erreicht haben. Es dürfte nun ein Plateau mit anhaltend hohen Leitzinsen über die nächsten zwei Quartale vor uns liegen. Die Frage ist dann, wann und wie schnell es zu den ersten Leitzinssenkungen kommen wird. In jedem Fall werden die Notenbanken vorsichtig und graduell vorgehen und damit weniger stark zur Volatilität an den Bondmärkten beitragen.
Gilt an den Anleihenmärkten das Mantra «höher für länger» auch nächstes Jahr?
Die Zentralbanken werden auf jeden Fall darauf beharren, nicht über Zinssenkungen nachzudenken, bevor die Inflationsentwicklung in trockenen Tüchern ist. Das können sie in den nächsten Monaten noch gar nicht feststellen. Die Arbeitsmärkte leiden immer noch unter einer Angebotsknappheit, was sich in hohen Lohnabschlüssen widerspiegelt. Dies dürfte weiterhin Druck auf die Kerninflation ausüben. Die Teuerung wird deswegen nur schrittweise fallen, womit es von den Notenbanken verfrüht wäre, eine Zinswende zu signalisieren.
Wann kommt es zu den ersten Zinssenkungen?
Wir gehen davon aus, dass dies im dritten Quartal 2024 geschehen wird.
Auf welchem Pfad wird sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) bewegen?
Den Zinspeak haben wir auch in der Schweiz gesehen, selbst wenn Präsident Thomas Jordan jüngst noch einmal bekräftigt hat, dass die SNB die Zinsen falls nötig erneut erhöhen würde. Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass dies nicht der Fall sein wird. Hier in der Schweiz beobachten wir einen klaren, konjunkturellen Abschwung. Die Inflation bewegt sich im Zielkorridor der Notenbank von 0 bis 2 Prozent. Die anstehenden Preiserhöhungen der Mieten, Krankenkassenprämien, Strompreise und Mehrwertsteuer-Erhöhung sind bereits voll in den Inflationserwartungen antizipiert.
Sollte die Inflation wie von Ihnen prognostiziert über zwei Prozent im kommenden Jahr liegen, wäre der reale Zins in der Schweiz immer noch negativ. Ist das ein Problem für die SNB?
Der Markt wird durch diese administrativen Preiserhöhungen hindurchschauen müssen. All diese Preise sind reglementiert und es ist damit kein nachfrageinduzierter Preisdruck. Wir meinen deshalb, dass diese Preiserhöhungen keine anhaltenden Effekte auf die Inflationsentwicklung haben. Steigen die Löhne nicht zu stark, kann die Nationalbank das Thema gelassen angehen.
Bleibt bei dieser Ausgangslage der Schweizer Franken stark?
Der Schweizer Franken wird unserer Meinung nach auch im kommenden Jahr weiter zulegen und der Euro bis Ende 2024 auf 93 Rappen nachgeben. Das ergibt sich aus dem Inflationsunterschied zur Eurozone, welcher enorm ist und auch hoch bleiben wird. Die Schweizer Unternehmen sollten das aber abfedern können. Wir erwarten nicht, dass die Wettbewerbsfähigkeit dadurch beeinträchtigt wird.
Die Zinsdifferenz zum Dollar ist hoch. Sind US-Anleihen für Schweizer Anleger attraktiv?
Insgesamt ist der Dollar relativ hoch bewertet. Er reflektiert die Stärke der US-Wirtschaft, welche sich im Vergleich zu allen anderen Ländern im vergangenen Jahr als überraschend robust erwiesen hat. Die expansive Fiskalpolitik hat dazu beigetragen, dass der Dollar für den Moment stark geblieben ist. Mit der erwarteten konjunkturellen Abschwächung in den USA sollte auch der Rückenwind für die US-Valuta abnehmen. Heisst: Ich wäre sehr vorsichtig mit diesen 'Carry Trades' - sprich US-Bondkäufen mit dem tieferen rentierenden Schweizer Franken zu refinanzieren. Diese Trades sind in der Vergangenheit oft nicht aufgegangen, weil die Investoren immer wieder das Aufwertungspotenzial des Frankens unterschätzt haben.
Bundesobligationen geben eine bescheidene Rendite von 1,12 Prozent her. Gibt es überhaupt sinnvolle Obligationenanlagen für Schweizer Investoren?
Die Eidgenossen haben sehr niedrige Renditen. Ich denke aber, dass Anleihen von Schweizer Unternehmen eine attraktive Rendite anbieten. Diese sind sicherlich nicht so hoch wie im Euroraum oder in den USA. Da aber kein Währungsrisiko besteht, sollte sich dies für Anlegerinnen und Anleger auszahlen.
1 Kommentar
Interessantes Interview. Allerdings sind solche präzisen Kursvoraussagen immer wieder befremdlich. Und dass Nestlé, Roche und Novartis den S&P 500 um 5% schlagen, ist zumindest ziemlich unwahrscheinlich. Aber ich drücke die Daumen für alle, die auf diese Möglichkeit wetten 👍