Die Preise für Renditeimmobilien, das heisst Mehrfamilienhäuser, sind unter Druck. Was für eine Entwicklung sagen Sie voraus?

Andreas Sorge: Aufgrund mangelnder Investitionsalternativen können wir keinen Preisdruck am Markt erkennen. Der Referenzzinssatz wird in den nächsten Jahren kontinuierlich steigen und die gesetzlich verankerte Erhöhung der Mieten ermöglichen. Fehlender Wohnraum in den Zentren wird Wohnungssuchende zwingen, weitere Pendlerwege in Kauf nehmen. Die Bautätigkeit hält mit dem Bevölkerungswachstum nicht mit. Daher ist mit einer weiteren Verknappung und somit einem Anzug der Mieten zu rechnen, und die Attraktivität von Mehrfamilienhäuser bleibt längerfristig ungebrochen.

Welche Prognose machen Sie für Gewerbeimmobilien?

Wir sehen bei den Gewerbeliegenschaften eine Seitwärtsbewegung. Nur schlecht bewirtschaftete und veraltete Gewerbeimmobilien sind sowohl in der Vermietbarkeit als auch im Verkauf zunehmend unter Druck. Hierbei handelt es sich aber um Versäumnisse aus den goldenen Zeiten. Wir rechnen bei solchen Liegenschaften mit erheblichen Preiskorrekturen, sofern nicht ein Umnutzungskonzept realisiert werden kann.

Und wie lautet Ihre Vorhersage für Luxusimmobilien – bleiben exklusive Liegenschaften gefragt?

Luxusimmobilien bleiben aufgrund des aktuellen Weltgeschehens weiterhin gefragt. Allerdings definiert sich der Begriff Luxus gerade neu. Zwar sind Themen wie Ruhe und Privatsphäre weiterhin wichtig. Aber Faktoren wie Aufenthaltsbewilligung, Sicherheit und Diskretion gewinnen immer stärker die Oberhand.

Und wie werden sich die Preise entwickeln?

Der Preis von Luxusimmobilien ist stark von der Grösse des Grundstücks abhängig. An attraktiven Lagen hat Bauland in den letzten zehn Jahren Preissteigerungen von 8 bis 10 Prozent pro Jahr erfahren. Da Bauland ein knappes Gut ist, wird dieser Trend weiterhin anhalten. Das Wachstum ist jedoch stark von Konjunkturschwankungen und von der Liquidität des Marktes abhängig. Aufgrund der aktuellen Situation rechnen wir mit einer halbierten jährlichen Wertsteigerung in den nächsten zwei bis drei Jahren.

Ein schöner Teil der Bevölkerung kann sich Wohneigentum in den Zentren nicht mehr leisten. In welchen Schweizer Regionen sind Einfamilienhäuser und Stockwerkeigentum noch erschwinglich?

Es sind dies vorwiegend Regionen, die verkehrstechnisch nicht optimal erschlossen sind, lange Pendlerwege erfordern, landwirtschaftlich geprägt sind und nicht zum Einzugsgebiet international bekannter Skigebiete gehören. Hierzu gehören grosse Gebiete des Juras, das Berner Oberland oder das Rhonetal, aber auch Grenzregionen im Baselland, Solothurn, Glarus, Graubünden, das obere Rheintal, Appenzell, Nidwalden oder Uri. Und auch in grossen Teilen des Tessin werden Immobilien noch zu erschwinglichen Preisen angeboten.

Wie lauten Ihre wichtigsten Tipps für Menschen, die sich für Wohneigentum interessieren?

Lassen Sie sich beim Kauf von einer Fachperson beraten. Sprechen Sie Themen wie versteckte Risiken, anstehender Renovationsbedarf und baurechtliche Grundlagen an. Meist gehen Käufer und Käuferinnen an das finanzielle Limit, und es gibt kein Spielraum für Überraschungen. Dann: Lassen Sie sich beim Verhandeln des Kaufpreises von einer Fachperson vertreten. Vorwiegend überschatten Emotionen beim Kauf die Sachlichkeit. Und: Auch wenn der Wiederverkauf zum Zeitpunkt des Kaufes in weiter Ferne ist, so ist dies ein zentrales Thema für die langfristige Zukunft. Überraschungen sind sehr kostspielig. Eine Finanzierung mithilfe von Erbschaft kommt oft zu spät: Die durchschnittliche Lebenserwartung in der Schweiz liegt weit über achtzig Jahre. Sprechen Sie daher offen mit Ihren Familienangehörigen über Möglichkeiten der familieninternen Finanzierung.  

Das Angebot an Mietwohnungen ist besonders in den Zentren klein. Wird dieser Wohnungsmangel lange anhalten?

Dieser Trend wird ungebrochen weitergehen. Das Bevölkerungswachstum wird weiterhin grösser als die Bautätigkeit sein. Das Angebot ist viel zu klein. Sofern Städte nicht die Umnutzung von Büro-, Gewerbe- und Industrieflächen zu Wohnflächen ermöglichen, wird es keine Trendwende geben. Eine Erhöhung der Ausnutzung in bestehenden Wohnquartieren führt mehrheitlich erst beim Abbruch und Neubau zu mehr Wohnraum. Dieser Neubau wird aber aufgrund der Vernichtung von bestehender Substanz, wegen hoher Landpreise und hoher Baukosten nicht zu erschwinglichem Wohnraum. Kurzum: Wohnungsmangel wird uns mit Sicherheit noch einige Jahre begleiten.

Die Schweizer Bevölkerung wird älter. Wie wirkt sich dieser demografische Trend auf den Immobilienmarkt aus – und ergeben sich daraus Chancen für Investorinnen und Investoren?

Ein Grossteil der älteren Generation möchte keine betreute Wohnform. Einerseits aus finanziellen Überlegungen, anderseits aus Bequemlichkeit und mangels alternativer altersgerechter Lösungen. Die Folge: Wohnflächen von ausgezogenen Familienmitgliedern werden längst nicht mehr genutzt. So wird Potenzial in Form von bereits gebautem Wohnraum über Jahrzehnte blockiert.

Können Sie dies noch weiter ausführen?

Um diesen Wohnraum von älteren Personen dem Markt zugänglich zu machen, sind meist bauliche Massnahmen an der Liegenschaft notwendig. Solche Projekte scheitern vornehmlich an den Finanzierungsmöglichkeiten im Alter. Obwohl die Projekte Mehreinnahmen versprechen, fehlt es an geeigneten Finanzierungsprodukten. Effektive Bautätigkeiten für altersgerechtes Wohnen beschränken sich deshalb auf betreutes Wohnen. Alternative Wohnformen, die gemeinschaftliches Wohnen und gegenseitige Unterstützung fördern, werden gänzlich vernachlässigt. Dabei ist es gerade diese Generation, die bereits in Jugendjahren von alternativen Wohnformen wie WG, Backpacker, Kibbuz und Ähnlichem geträumt hat.

Sie sind mit Ihrem Unternehmen auch im Tessin tätig. Wie unterscheidet sich der Markt im Südkanton von den Verhältnissen im Rest der Schweiz?

Der Tessiner Markt ist stark segmentiert. In den attraktivsten Regionen wird er durch ausserkantonale und ausländische Käuferinnen und Käufer dominiert. In den restlichen Gebieten ist der Markt in einer stetigen Seitwärtsbewegung. Die Finanzierungsmöglichkeiten sind aufgrund des kantonalen Lohnniveaus sehr eingeschränkt. Lokale Interessenten und Interessentinnen suchen meist Einfamilienhäuser. Die Bautätigkeit im Wohnungsbereich ist mehr als genügend. Somit ist das Preisniveau immer noch moderat. 

Andreas Sorge ist Geschäftsleiter der schweizweit tätigen Zürcher Immobilienfirma Oswald & Sorge. Der Betriebsökonom und Immobilientreuhänder war in seiner Karriere auch für Raiffeisen, Swiss Life und Engel & Völkers tätig. Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit ist Sorge auch Dozent für Bewertung an der WISS Schulen für Wirtschaft Informatik Immobilien.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Handelszeitung unter dem Titel: "In grossen Teilen des Tessins sind Immobilien noch erschwinglich"