Beide Industriekonzerne blicken auf eine beachtliche Historie zurück. Heute bearbeiten sie mit ihren Produkten und Dienstleistungen zentrale Zukunftsthemen wie Energieeffizienz, Mobilität oder Digitalisierung.

Für ABB geht an Silvester ein bewegtes Jahr zu Ende. Der Industriekonzern feierte 2016 sein 125-jähriges Bestehen. Auf mehreren Events trug das Unternehmen dem Jubiläum Rechnung. Zu den Höhepunkten zählte die Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels. Mit Blick auf diesen historischen Anlass wurde bereits im Januar eine Lok im ABB-Design im Schweizer Schienennetz aufgegleist. Bei der Eröffnung selbst war ABB - das Unternehmen hat den längsten Eisenbahntunnel der Welt mit den unterschiedlichsten Technologien ausgestattet - mit einem eigenen Pavillon präsent. Im Oktober tourte diese Ausstellung quer durch die Schweiz. Auf einer Fläche von rund 200 Quadratmetern konnten die Besucher in Zürich, Lugano und Baden in zentrale ABB-Themen wie urbane Mobilität, Energieeffizienz oder Automation eintauchen.

Im neuen Jahr steht bereits das nächste runde Jubiläum eines namhaften europäischen Industriekonzerns an. Siemens kann 2017 auf eine 170-jährige Geschichte zurückblicken. Noch ist nicht bekannt, wie die Münchner ihren Geburtstag angehen. Allerdings dürften sie dem Schweizer Rivalen dabei kaum nachstehen. Siemens und ABB - seit jeher verbindet dieses Paar ein harter Konkurrenzkampf. Grund genug, die aktuelle Situation der beiden Rivalen und ihre Perspektiven etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.

Herber Dämpfer

An der Börse liegt Siemens im Performancevergleich auf Sicht von fünf Jahren vorne (siehe Grafik). Bis zum 27. Oktober sah es ganz danach aus, als könne die ABB-Aktie 2016 deutlich Boden gutmachen - der SMI-Titel zeigte gegenüber dem DAX-Schwergewicht eine Outperformance von knapp 9 Prozentpunkten. Doch dann sorgten enttäuschende Quartalszahlen für einen herben Dämpfer und liessen den Vorsprung zusammenschmelzen. ABB verbuchte von Juli bis September beim Auftragseingang ein Minus von 14 Prozent. Umsatz und operatives Ergebnis nahmen jeweils um 3 Prozent ab. »Im dritten Quartal kam alles zusammen«, kommentierte CEO Ulrich Spiesshofer den Zwischenbericht. Er spielte damit auf das schwache Marktumfeld, die Brexit-Entscheidung in Grossbritannien sowie den US-Wahlkampf an.

ABB vs. Siemens - DAX-Konzern hat die Nase vorn

Stand: 27. Oktober 2016; Quelle: Reuters

Darüber hinaus bekam die Stromnetzsparte eine Investitionsscheu der Kunden zu spüren. Monatelang hatte sich das Management die Köpfe über die Zukunft dieses Geschäftszweigs zerbrochen. Die mit knapp 6 Prozent an ABB beteiligte Investmentgesellschaft Cevian Capital fordert eine Aufspaltung des Industriekonzerns. Dazu soll die Stromnetzsparte ausgegliedert und selbst an die Börse gebracht werden. Auf diese Weise könnte nach Ansicht der Cevian-Manager ein enormes Kurspotenzial gehoben werden. Allerdings blitzten die Schweden mit ihrem Vorstoss bei Spiesshofer ab. Vielmehr kündigte dieser Anfang Oktober im Rahmen des Capital Market Day an, am Netzbereich festhalten zu wollen. »Es ist die beste Option, wenn wir das Geschäft in unserem Eigentum transformieren«, begründete der CEO diesen Entscheid.

Er argumentiert mit dem Synergiepotenzial gegenüber den anderen Konzernsegmenten. »Wir sind der einzige Hersteller, der die komplette Technik für den Stromtransfer vom Solarpanel bis zur Steckdose anbietet«, sagte Spiesshofer. Lediglich der Teilbereich Kabel soll abgestossen werden. Zudem kündigte der CEO Kooperationen auf dem Gebiet Umspannwerke und Offshore-Windanlagen an. Die geplanten Massnahmen sollen den im Mittelpunkt der Diskussionen stehenden Geschäftsbereich auf Wachstum und Profitabilität trimmen: ABB schraubte den Zielkorridor für die operative EBITA-Marge ab 2018 um 200 Basispunkte auf 10 Prozent bis 14 Prozent nach oben.

Grosszügige Ausschüttungspolitik

Das Gesamtunternehmen fokussiert Spiesshofer seit längerem auf wachstumsstarke Sektoren. Gleichzeitig ist er dabei, ABB schlanker und agiler aufzustellen. Eine Strategie, die sich zusammen mit dem eingeschlagenen Sparkurs bei der Rentabilität langsam bezahlt macht: Trotz des unsicheren Geschäftsumfelds verbuchte der Konzern im dritten Quartal 2016 eine EBITA-Marge von 12,6 Prozent - 10 Basispunkte mehr als im Vorjahreszeitraum. Diese Verbesserung reichte den Investoren offenbar nicht. Am Tag der Zahlenvorlage stürzte die ABB-Aktie zwischenzeitlich um mehr als 7 Prozent ab.

Spiesshofer verbreitete dennoch Optimismus: »Ich kann nicht vorhersagen, in welchem Quartal wir wieder Wachstum haben werden, aber wir werden dahin zurückkehren.« In der Übergangszeit versucht er, die Anteilseigner mit einer grosszügigen Ausschüttungspolitik bei Laune zu halten. Am Kapitalmarkttag kündigte ABB ein weiteres Aktienrückkaufprogramm an. Von 2017 bis 2019 sollen 3 Milliarden US-Dollar dafür ausgegeben werden. Ob der CEO die mitunter aufmüpfigen Investoren damit besänftigen kann, muss sich allerdings noch zeigen.

Neue Visionen

Im Vergleich zu den jüngsten Turbulenzen in Zürich Oerlikon dürfte in der nagelneuen Siemens-Zentrale am Münchner Wittelsbacherplatz eine geradezu idyllische Stimmung herrschen. Nach einer dreijährigen Bauzeit konnte CEO Joe Kaeser das hochmoderne Gebäude im Herzen der bayrischen Landeshauptstadt im Juni eröffnen. Zum Zeitpunkt der Grundsteinlegung war der Industriekonzern nicht gerade in Feierlaune. Ende Juli 2013 musste der damalige Unternehmenschef, Peter Löscher, seinen Hut nehmen. Zuvor hatte der Österreicher die Märkte innerhalb kurzer Zeit mit zwei Gewinnwarnungen geschockt.

Nachfolger Joe Kaeser präsentierte knapp ein Jahr nach seinem Amtsantritt die »Vision 2020«. Darin skizziert das Management drei globale Megatrends, auf welche Siemens konsequent ausgerichtet werden soll: Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung. Kaeser hat die neue Strategie in drei zeitliche Phasen unterteilt. Kurzfristig möchte er die Leistungsfähigkeit des Unternehmens steigern. Anschliessend soll das Kerngeschäft gestärkt werden, um langfristig weiter wachsen zu können.

Auch die Ziele sind klar definiert. Siemens möchte beim Wachstum die wichtigsten Konkurrenten, dazu zählen unter anderem ABB und der US-Konzern GE, übertreffen. Zudem sollen die Kapitaleffizienz und -struktur sowie die Produktivität gesteigert werden. Für die einzelnen Segmente gibt der CEO Bandbreiten vor, innerhalb derer sich die operative Marge bewegen soll. Zu guter Letzt schreiben sich die Münchner bei der Dividende eine Ausschüttungsquote von 40 bis 60 Prozent auf die Fahnen.

Starker Zwischenbericht

Die jüngsten Zahlen zeigen, dass Siemens auf einem guten Weg ist. Im dritten Quartal des Geschäftsjahres 2015/2016 (per 30. September) steigerte der Konzern den Umsatz um 5 Prozent auf 19,8 Milliarden Euro. Beim Auftragseingang verzeichnete das Unternehmen ein Plus von 6 Prozent. Damit standen per Mitte 2016 Orders in einem Rekordvolumen von 116 Milliarden Euro in den Büchern. Aufhorchen lässt insbesondere die Entwicklung in der Kernsparte »Power & Gas«. Grosse Vertragsabschlüsse, darunter ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in den USA, sorgten dafür, dass der Auftragseingang in dem Segment von April bis Juni 2016 um mehr als ein Viertel zunahm. Mit 11,2 Prozent bewegte sich die Marge hier knapp im angepeilten Korridor (11 bis 15 Prozent). Insgesamt landeten acht der neun Konzernbereiche innerhalb der vorgegebenen Spanne.

»Wir kommen mit der Umsetzung unserer Vision 2020 gut voran und haben auch im dritten Quartal vor allem im Marktvergleich überzeugt«, kommentierte Kaeser den Zwischenbericht. Gleichzeitig hob der Top-Manager die Prognose für das Gesamtjahr an. Insofern überrascht es nicht, dass die Siemens-Aktie nach der Zahlenvorlage in den dreistelligen Kursbereich zurückkehrte. Anschliessend ging der Large Cap in eine Seitwärtsbewegung über. Möglicherweise löst er diese Konstellation am 10. November (nach Redaktionsschluss) auf. Zu diesem Termin präsentiert Siemens die Zahlen für das vierte Quartal sowie vorläufige Resultate für die Periode 2015/2016. Dann wird sich zeigen, inwieweit die Bayern dem schwierigen Umfeld besser trotzen können als der Schweizer Rivale. Wie auch immer: Für Spannung ist beim Konkurrenzkampf zwischen ABB und Siemens weiterhin gesorgt.