Man kann sich ja mal irren. Als Ökonom sowieso. Und bei Prognosen erst recht. Aber im Durchschnitt sollte man doch die richtigen Signale geben. Erschwert wir das Prognosegeschäft sicherlich dadurch, dass sich die Datenbasis durch Revisionen verändern kann, wie dies nun beim Schweizer Bruttoinlandsprodukt (BIP) geschehen ist, das nach neueren Rechnungen im letzten Jahr statt 1,1% plötzlich nun um 1,6% gestiegen ist. Auch die vorherigen beiden Jahre wurden nach oben korrigiert. Dies ist ein Grund weshalb sich Ökonomen niemals nur auf einzelne statistische Zeitreihen verlassen sollten, sondern immer auch auf eine Beurteilung der Gesamtsituation, die beispielsweise qualitative Konjunktursignale mit einbezieht, die aus Unternehmensgesprächen resultieren. All dies tut die Schweizerischen Nationalbank (SNB). Liest man jedoch noch einmal ihre letzte Geldpolitische Lagebeurteilung, so scheint die nur wenig mit den Signalen zu tun zu haben, die man vom Schweizer Arbeitsmarkt, den Finanzmärkten oder der offiziellen BIP-Statistik erhält.

So heisst es bei der SNB, dass der «Franken hoch bewertet» sei, die Lage auf den Devisenmärkten mit Verweis auf die politische Unsicherheit in Italien «fragil» sei und die «Attraktivität von Franken Anlagen tief» gehalten würde. Es kann sein, dass der Franken hoch bewertet ist – seine hohe Kaufkraft im Ausland spricht durchaus dafür, unattraktiv sind Franken Anlagen dennoch nicht gewesen. Seit Jahresbeginn hat der Franken gegenüber den meisten Währungen aufgewertet, gegenüber dem Euro allein um rund 4%, während Schweizer Midcaps die grossen europäischen Aktienindizes geschlagen haben. Gleichzeitig hat sich der Franken in den letzten Tagen, als die Zinsaufschläge für italienische Anleihen wieder massiv gesunken sind, überhaupt nicht verändert. Dies signalisiert, dass die letzte Frankenstärke vielleicht eher die Stärke der Schweizer Wirtschaft reflektiert.

So berichtete das SECO letzte Woche, dass die Wirtschaft nun «zum fünften Quartal in Folge überdurchschnittlich» expandiert sei, wozu vor allem das verarbeitende Gewerbe mit einem seit dem Frühjahr 2017 bemerkenswerten Aufschwung beigetragen habe. Die Warenexporte seien dementsprechend gewachsen. Wie verträgt sich das mit der Einschätzung der Nationalbank, dass der Franken hoch bewertet sei und die Bereitschaft zu Devisenmarktinterventionen nötig bliebe? Die hohe Bewertung des Franken steht zumindest einer florierenden Exporttätigkeit nicht im Wege noch dem vom SECO veröffentlichten BIP-Wachstum von immerhin 3,4% gegenüber Vorjahresquartal. Sicherlich bei dem Vorjahresvergleich könnte man noch die unterschiedliche Anzahl an Arbeitstagen abziehen und dann blieben nur noch 3,2%. Oder man rechnet den Effekt sportlicher Grossereignisse wie der Fussball-Weltmeisterschaft und der Olympischen Spiele heraus, die zusammen einen Wachstumsbeitrag von noch einmal 0,4 % gebracht haben. Aber auch bei einem Wachstum von nur 2,8% liesse sich die Dynamik schlecht mit dem von der SNB in vierteljährlicher Regelmässigkeit immer wieder betonten Abwärtsrisiken für ihr wirtschaftliches Hauptszenario vereinen; und dass obwohl die protektionistischen Tendenzen und politischen Spannungen, die sie anführt, doch wohl als eingetroffen gelten dürften.

Es stellt sich daher die Frage, was die SNB wohl mit Abwärtsrisiken meint. Möglich ist, dass das Hauptszenario der Nationalbank tatsächlich ihre durchschnittlich erwartete, unverzerrte Erwartung ist, ein Prognosekorridor (wie der von anderen Zentralbanken verwendete Fan-Chart) aber kein symmetrisches Bild zeigen würde. Wenn das über die Jahre so zuträfe, wäre es aber wohl verständlicher, dann auch solch einen Chart zu zeigen. Eine zweite Interpretation der Risikoeinschätzung der SNB wäre, dass sich das Risiko eher auf ihre eigenen geldpolitischen Möglichkeiten bezieht, die ihr im Risikofall effektiv zur Verfügung stehen. Diese mögen tatsächlich grösser sein, wenn Wachstum und Inflation nach oben überschiessen. Die SNB könnte dann einfach die Zinsen deutlicher erhöhen und den Wechselkurs aufwerten lassen. Bei Deflation und stagnierendem Wachstum blieben ihr nur die aktuell angewandten Politikoptionen. Diese Interpretation würde für die Erhöhung des Inflationsziels sprechen, das ihr im Krisenfall einen grösseren Zinssenkungsspielraum gäbe. Schliesslich besteht noch die Möglichkeit, dass man vielleicht gar nicht zu viel in die Risikoeinschätzung der Nationalbank reininterpretieren sollte. Der Ökonomenzunft in Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der OECD, vielen nationalen Zentralbanken, Universitäten sowie Ökonomen im Privatsektor, wurde vorgeworfen, dass sie die Grosse Finanzkrise nicht vorhergesehen und davor gewarnt hätten. Seitdem ist zu beobachten, dass die meisten Institutionen nun mögliche Risiken immer intensiv diskutieren. Vor der nächsten Krise nicht gewarnt zu haben, wird sich daher kaum ein Ökonom mehr vorwerfen lassen müssen. Und irgendwann wird auch sicherlich wieder eine Krise eintreffen. Ob permanentes Warnen davor, dann aber die notwendige Aufmerksamkeit gefunden hat, ist fraglich.

Zunächst einmal wird sich beim Quartalstreffen am 20. September zeigen, ob die Nationalbank angesichts der sehr positiven Wirtschaftsentwicklungen in ihrer Lageeinschätzung zu optimistischeren Formulierungen findet. Ihrer Glaubwürdigkeit würde das nicht schaden.