Die Kolumne «Gopfried Stutz» erschien zuerst im 

Das erste Semester 2020 sei nichts für Zartbesaitete gewesen, habe ich in einem Anlagekommentar gelesen. In der Tat: Die ersten Monate waren durch ein grosses Auf und Ab gezeichnet – eine hohe Volatilität, wie Fachleute sagen.

Hohe Volatilität ist schlecht. Kursstürze sind schlecht. Turbulenzen sind schlecht. Stimmt das überhaupt? Für institutionelle Investoren stimmt es definitiv. Denn Pensionskassenchefs, Fondsmanager oder Finanzchefs können an Kursverlusten keine Freude haben. Ihre Arbeit wird an der Rendite gemessen. Ende Jahr oder unter Umständen nach jedem Quartal müssen sie Rechenschaft ablegen. Schon mancher musste sein Pult räumen, wenn die Performance nicht stimmte. CEOs und Verwaltungsräte sehen es ungern, wenn mit roter Tinte saldiert wird. Sagen wir es so: Der Job eines Finanz- oder Pensionskassenchefs ist eh nichts für Zartbesaitete. (Mir gefällt dieses Wort offensichtlich).

Dürfen private Investoren dagegen zartbesaitet sein? Ja. Ihnen können vorübergehende Kursverluste egal sein. Sie haben zwar mit Dividendenkürzungen zu rechnen. Doch die Dividenden kamen nicht derart unter Druck wie die Kurse. Vor allem müssen private Anleger allfällige Verluste vor niemandem rechtfertigen. Es sei denn, sie verjubeln das Geld des Partners oder der Partnerin. Diese Fälle wollen wir hier mal ausblenden.

Viele halten Wertschriften nicht zum Spekulieren, das heisst zum Verkaufen und Kaufen, sondern zum Halten. Man freut sich über die Dividenden. Deshalb können einem Kursrückgänge wurst sein, solange nicht ein Totalschaden à la Swissair oder ein totaler Ausfall der Dividenden droht. Im Gegenteil: Kursstürze bieten die Gelegenheit, günstig nachzukaufen. Kaufe tief; verkaufe hoch.

Institutionelle Investoren haben also ganz andere Bedürfnisse und Risikoneigungen als private Anleger. Dem wird jedoch in Anlagebriefen, Newslettern und Börsenkommentaren meist kaum Rechnung getragen. Das gilt ebenfalls für die zahlreichen Medienkonferenzen, an welchen Banken und andere Geldhäuser ihre Einschätzung zum Besten geben. Ihre Empfehlungen richten sich an institutionelle Investoren.

Das ist insofern nicht ohne Brisanz, weil kein Publikumsmedium von sich behaupten würde, für Finanzchefs, Pensionskassenmanager und andere institutionelle Anleger zu schreiben. Alle nehmen sie für sich in Anspruch, Leute wie Sie und mich im Fokus zu haben. Also Leserinnen und Leser, die etwas Geld auf der Seite haben und dieses mit einer vernünftigen Rendite und ohne allzu hohes Risiko angelegt haben möchten.

Also, liebe Anlegerinnen und Anleger, lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen, wenn Publikumsmedien die Situation an der Börse dramatisieren. Ihre Botschaft richtet sich an professionelle Investoren – wenn auch ungewollt.