Kürzlich brachte der NZZ wieder einmal eine tiefe Genugtuung. Sie hatte es wider allen ideologischen Ungeist schon immer gesagt und konnte jetzt ihr Triumphgeheul gleich schon in den Lead verpacken: «Die Mär ist unausrottbar: In der Schweiz würden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Manche Phrasen werden durch gebetsmühlenartiges Wiederholen nicht wahrer.»

In der Tat zeigt der vom Bundesamt für Statistik veröffentlichte Bericht über die Entwicklung der Einkommen der privaten Haushalte von 1998 bis 2011, dass die Verteilung auf die fünf Quintile ziemlich stabil geblieben ist. Der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit insgesamt misst, weist in dieser Periode keinen klaren Trend auf und auch das Verhältnis der verfügbaren Einkommen zwischen den reichsten und den ärmsten 20 Prozent der Haushalte ist in etwa stabil geblieben.

Bei den  Markteinkommen (vor Steuern) zeigen die Zahlen des Bundesamts allerdings schon einen klaren Trend zu mehr Ungleichheit. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist dieser stärker ausgeprägt als bei den Erwerbshaushalten. Das lässt darauf schliessen, dass die Ungleichheit bei den Kapitaleinkommen stärker zugenommen hat als bei den Löhnen. Doch geschenkt: Unter dem Strich, also nach Steuern und Subventionen, zeigt diese Statistik des Bundesamtes keinen Trend zu mehr Ungleichheit.

Auch dass die Armen in der Schweiz nicht ärmer geworden sind, trifft zu. Gemäss einer detaillierten Statistik im Anhang, die der NZZ offenbar entgangen ist, hat das ärmste Fünftel seinen Anteil am Gesamteinkommen seit 1998 sogar deutlich steigern können. Es gibt wohl kaum ein anderes Land auf der Welt, das dies von sich behaupten kann. Doch zumindest in der Schweiz hat dies auch kaum jemand bestritten, auch die Linke nicht. Die Gewerkschaften und Sozialdemokraten betrachten es im Gegenteil als ihren Verdienst, dass die tiefen Einkommen bei uns nicht gesunken sind. Insofern rennt die NZZ also offene Türen.

Richtig ist hingegen, dass «gewisse Kreise» noch immer «gebetsmühlenartig» die Phrase wiederholen, dass die Reichen immer reicher werden. Dazu ist nun allerdings zu sagen, dass diese Aussage durch die neue Statistik keineswegs unwahrer wird. Das Problem liegt in der Frage, wer denn die Reichen sind. Sind es die obersten 20, 10 oder bloss 1 Prozent? Die Erfahrung aus anderen Ländern insbesondere aus den USA, wo es dazu die besten Statistiken gibt, sagt ganz klar, dass sich das Problem auf das reichste Prozent oder gar das reichste Promille konzentriert.

Doch dazu sagt die neue Erhebung des Bundesamts für Statistik gar nichts. Sie beruht nämlich auf einer Umfrage, die vor allem den Zweck hat, genau zu eruieren, dass die Schweizer zum Beispiel monatlich 1,51 Kilogramm Bananen konsumieren und dafür 4.09 Franken ausgeben. Sich an dieser Umfrage zu beteiligen, ist äusserst zeitaufwändig und gerade für das reichste Prozent ist Zeit Geld – das sie nicht vergeuden, um an einer Umfrage teilzunehmen.

Wenn man deshalb wissen will, ob die Reichen reicher geworden sind, braucht man andere Quellen, zum Beispiel Steuerdaten. Diese zeigen ein klares Bild: Von 1993 bis 2008 ist der Anteil der reichsten Zehntels an den Gesamteinkommen von knapp unter 30 auf 34 Prozent gestiegen. Gut zwei Drittel dieses zusätzlichen Kuchenstücks hat allein das reichste Prozent gegessen. Ein Abflauen des Trends war nicht zu beachten. Neuere Zahlen gibt es nicht.

Dass es auch in der Schweiz eine Umverteilung nach ganz oben geben muss, zeigen übrigens auch die volkswirtschaftlichen Grössenordnungen. Von 1998 bis 2011 (dem Zeitraum der BfS-Studie) ist die Produktivität pro Arbeitsstunde um 26 Prozent, das mittlere Einkommen aber bloss um rund 9 Prozent gestiegen. Die beiden Grössen sind zwar nicht eins zu eins vergleichbar, aber es ist klar, dass hier eine beträchtliche Lücke, bzw. ein grosses Umverteilungspotential klafft.

Doch all dies wird die NZZ kaum daran hindern, immer wieder selbst zur Gebetsmühle zu werden.