Vor anderthalb Jahren teilte der Wirt eines bekannten Restaurants in der Zürcher Altstadt auf der Karte klar und deutlich mit, dass er zur Hauptessenszeit Gästen, die nur eine Vorspeise konsumierten, einen Zuschlag von 10 Franken verrechnen werde.

Man akzeptierte das. Küche und Keller sind exzellent, die Preise fair und anständig. Und die Begründung plausibel: Oft kämen Leute mit einer Stunde Verspätung zu dritt statt wie reserviert zu sechst, nähmen nur eine Vorspeise, tränken Hahnenwasser und blieben stundenlang hocken.

Der Wirt handelte auch im Interesse seiner fairen und anständigen Gäste: Oft musste er deren Reservationen ablehnen. Und hätte er diesen Malus nicht eingeführt, müsste er alle Preise erhöhen. Womit alle Gäste die magere Konsumation der wenigen subventionieren dürften.

Vor anderthalb Wochen tauchten nun aus dem Facebook-Sumpf Überreste einer von Medienschaffenden erarbeiteten "schwarzen Liste" auf, unter anderem mit missliebigen Restaurants. Man entdeckte da ein fruchtbares Empörungspotential, das es nun aber sofort zu bewirtschaften galt.

Kaum war der schreckliche Skandal als brandheiss-aktuelle News verkündet, doppelten Print, Radio, TV und Online erbarmungslos nach und inszenierten Strasseninterviews. Ein klassischer, immer wieder feststellbarer Domino-Effekt.

Der Wirt, von physisch und psychisch robuster Natur, nahm den auf ihn niederprasselnden Shitstorm übrigens gelassen.

Nachdem vorletztes Jahr ein Grossverteiler auf Weihnachten hin jeden Tag emotional gepushte TV-Spot- Schnulzen mit lieben Menschen und vielen herzigen Kindern über unser Land rieseln lies, tat dies letztes Jahr der andere Grossverteiler auch, was ersteren ziemlich ärgerte.

Das Wort "natürlich" grassiert seit Jahren dutzendfach in der Werbung. Grund: "Natürlich" ist doppelsinnig für einerseits "naturbelassen" und andrerseits „selbstverständlich“. Eignet sich also wunderbar für Lebensmittel und Erlebnisse aller Art. Beispiel Schweiz Tourismus: "Die Schweiz ganz natürlich". Beispiel Käse: "natürli Züri Oberland".

"Mehr ist mehr" sagt ein Tennisspieler in einer Bankenwerbung. Ganz, ganz herzlichen Dank, Roger, für diese überraschende Information. Seither laufen verschiedene Kampagnen mit dem Begriff "mehr".

Und es hört nicht auf: "Wir sind für Sie da." Ja was! "Herzlich willkommen" auf Tafeln und Täfeli vor allen Beizen und Läden. Ja hoffentlich! "Für mich und dich" und "du und ich" – ein pures Glück!

Das ist es: "Pur", das seit etwa 5 Jahren meistgebrauchte Wort in der Werbung. Natur pur. Kultur pur. Geschmack pur. Erlebnis pur. Fahrfreude pur. Genuss pur. Ferien pur. Komfort pur. Entspannung pur.

Journalismus und Werbung sind vielleicht doch wesensverwandt - vereint im beruflichen Selbstverständnis des Domino pur.