"Die grosse Verschwendung" hiess der Titel des damaligen Bestsellers des US-Soziologen Vance Packard. Er schilderte, wie die Konsumenten, vom reichen Angebot überfordert und von den Werbern verführt, viel mehr konsumieren als ihrer Seele und ihrem Körper gut tut. Das ist jetzt mehr als 55 Jahre her und inzwischen hat sich das BIP pro Kopf bei uns und in den USA mehr als verdoppelt und in den westeuropäischen Ländern gar verdreifacht. Die Produktivität hat sich gar vervierfacht.

Dennoch leben wir nicht im Schlaraffenland. Warum? Weil die Gesetze der Ökonomie nicht mehr gelten. Die Vorzeichen haben sich gleichsam umgekehrt. Jenseits der Sättigungsgrenze sind nicht mehr die Güter knapp, sondern die Arbeit. Sie ist vom Produktionsfaktor zum wichtigsten Konsumgut geworden. Der Grund: Wir können längst nicht so viel konsumieren, wie wir (mit einer 40-Stunden-Woche) eigentlich gerne erarbeiten möchten. In diesem Zustand produziert die Wirtschaft zwar jedes Jahr noch immer ein bisschen mehr Zeug, das uns kaum noch freut, aber sie produziert auch sozialen Ausschluss - und der tut weh. Die Glücksforschung vergleicht die Einbusse an Lebensfreude durch Arbeitslosigkeit mit der einer schweren Krankheit. Allein schon die Angst vor Arbeitslosigkeit wiegt schwerer als eine saftige Lohneinbusse.

Für die Unternehmen ist dies eigentlich eine missliche Lage: Wir brauchen ihre Produkte gar nicht. Zumindest brauchen wir nicht mehr davon. Doch obwohl die ihre Nützlichkeit verloren haben, sind die Unternehmen heute mächtiger denn je. Sie verkaufen uns jetzt exklusiv die Eintrittsbillette in die Gesellschaft. Und zwar nicht nur mit den Stellen, die sie schaffen, verschieben oder vernichten, sondern auch durch die Produkte, die sie mit Sozialprestige aufladen, zu Statussymbolen machen und damit dem Preiswettbewerb entziehen. Zu ihren Bittstellern gehören auch Länder, Städte und Kommunen, denen sie den Status des globalen Produktionsstandorts verleihen oder verweigern können.

Stress und sozialer Ausschluss

All das verändert auch die Art des Wettbewerbs. Der Markt tickt nicht mehr so, wie es noch in den Lehrbüchern steht. Statt im Effizienz- funktioniert er heute im Ausbeutungsmodus. Sieger wird nicht mehr, wer die besten Produkte am effizientesten herstellt. Damit kann man die Kosten vielleicht um 3 Prozent senken. Mit einer Verlagerung oder auch nur wenn man damit droht, sind viel grössere Einsparungen möglich. Für die nationale Wirtschaftspolitik wiederum heisst das: Standortwettbewerb. Es geht darum, mit möglichst tiefen Löhnen und Steuern Unternehmen anzulocken. Doch das ist natürlich nicht nur ein Nullsummenspiel sondern gar eine Abwärtsspirale. Per saldo produziert die Wirtschaft dann nur noch Stress und sozialen Ausschluss. Das gilt, wie das Beispiel Deutschland zeigt, nicht nur für die Verlierer, sondern auch für die Sieger im globalen Standortwettbewerb.

Wir stecken in einem dreifachen Teufelskreis: Der Sesseltanz um die schwindenden Jobs drückt die Löhne und lässt somit die Nachfrage und das Jobangebot weiter sinken, was wiederum die Verhandlungsmacht der Unternehmen weiter stärkt. Auch der Steuerwettbewerb wirkt in dieselbe Richtung. Zusätzliche Jobs sind in den letzten Jahrzehnten per saldo nur noch mit persönlichen Dienstleistungen geschaffen worden: Gesundheit, Pflege, Bildung usw. Diese müssen jedoch überwiegend kollektiv finanziert werden. Und der dritte Teufelskreis: Die Flexibilisierung der Arbeit reisst Familien, Nachbarschaften und Bekanntenkreise auseinander, also Gemeinschaften, in denen Menschen produktiv tätig werden und die soziale Integration ermöglicht haben. Deshalb gibt es für immer mehr Leute kein soziales Leben ausserhalb der Arbeit mehr.

Würde Vance Packard noch leben, müsste er darüber einen neuen Bestseller schreiben. Titelvorschlag: The Gate Keepers. Die Türsteher.