Die Avenir Suisse will ein Think-Tank sein. Sie ist aber meist mehr Tank als Think - ein mit Geld gut gerüsteter Bulldozer, der den ideologischen Feind mit Schlagworten und mit ausgesuchten Fakten platt walzen will. Zugegeben, die von den Grossunternehmen bezahlten Schreiber haben schon nachdenklichere Papers veröffentlicht und damit zuweilen sogar zur politischen Dikussionskultur beigetragen. Die jetzt vorgelegte Srtreitschrift erfüllt diesen Anspruch nicht. Schon der Titel "Das Märchen vom Tafelsilber" zeigt, dass es hier um Polemik geht und nicht darum, die Vor- und Nachteile von staatlichen Beteiligungen abzuwägen. Stattdessen trägt der Think-Tank ohne Rücksicht auf Widersprüche alles zusammen, was irgendwie gegen Staatsunternehmen spricht.

Beispiel Kantonalbanken. Da wird detailliert aufgezählt, wie viele Verluste seit 1993 aufgelaufen sind. Zählt man alle Pleiten der Berner, Solothurner, der Genfer und der appenzellischen Kantonalbanken zusammen, ergibt sich eine Summe von 5,3 Milliarden Franken. Nicht erwähnt wird erstens, dass dies bloss ein Bruchteil der Dividenden ist, die die Kantonalbank in dieser Zeitspanne an die Kantone ausgeschüttet haben. Zweitens liest man da auch kein Wort von den 30 Milliarden, mit der die Nationalbank und der Bund 2008 die UBS retten mussten. Dass in diesem Zusammenhang auch noch alle Probleme der deutschen Landesbanken haarklein aufgezählt, die Verlust der Deutschen Bank aber nicht erwähnt werden, passt ins Bild: viel Faktenhuberei, null Einordnung.

Der Nachhinein-Dreh

Beispiel Elektrizitätswerke. Jedermann weiss inzwischen, dass wegen der aktuellen Überkapazititäten alle Stromerzeuger europaweit, ob privat oder staatlich, ihre Produkte weit unter den Gestehungskosten verkaufen müssen. Die Avenir Suisse argumentiert nun nicht etwa - wie auch? -, dass private Betreiber dieses Problem nicht haben oder besser meistern. Sie findet einen anderen Dreh. Plötzlich geht es nicht mehr um Privatisieren oder nicht, sondern nur noch um den Zeitpunkt. Zitat: "Auch die Kosten verpasster Privatisierungen an sich sind enorm: Der 52,5%-Anteil des Kantons Bern an der BKW war beispielsweise Ende 2007 noch rund 4 Milliarden Franken wert. Durch den Kurszerfall der Aktie gingen davon 2,9 Milliarden Franken verloren. Ähnlich dramatisch war der Wertverlust anderer Stromkonzerne. So sank etwa die Marktkapitalisierung der Alpiq seit Ende 2010 um 70%, von knapp 10 Milliarden auf 2,9 Milliarden Franken.» Das ist ganz einfach nur billige Polemik. Im Nachhinein weiss jeder Anleger, wann er hätte kaufen oder verkaufen sollen.

Beispiel Swisscom. Dazu heisst es etwa: "Nur schon durch
eine Veräusserung der Swisscom-Beteiligung könnte der Bund seine Schulden folglich um stattliche 12,8% (oder gut 13 Milliarden Franken, Red.) senken." Mit dieser Schuldentilgung könnte der Bund bei den aktuellen Zinsen maximal 50 Millionen Franken Zinsen sparen. Etwas weiter vorne haben wir aber gelesen, dass die Swisscom-Beteiligung dem Bund allein in diesem Jahr eine Dividende von 580 Millionen Franken ausbezahlt hat - die nach er Privatisierung natürlich wegfallen würden. Das wäre nicht gerade ein gutes Geschäft. Doch die Autoren von der Avenir Suisse wenden - gelernt ist gelernt - natürlich auch hier ihren im Nachhinein-Dreh an. Sie gehen im Geiste zurück ins Jahr 1998 als der Aktienkurs der Swisscom seinen Höhepunkt erreicht hatte, verkaufen (immer im Geiste) den Anteil des Bundes und legen den Erlös zum damaligen Zins von 4,25% an und kommen - natürlich - zum Schluss, dass sich die verpasste Vollprivatisierung bitter gerächt hat.

Zur Erinnerung: Der deutsche Staat hat mit seiner Telekom ziemlich genau das gemacht, wozu die Avenir Suisse im Nachhinein rät. Die Telekom-Aktien wurden 2006 bis 2010 als "Volksaktie" an die Börse gebracht, zu Kursen von bis zu 100 Euro. 2002 sank der Kurs auf 8.50 Euro. Für die Anleger bedeutet dies einen Verlust von rund 25 Milliarden Euro. Einverstanden, hier hat nicht der Staat geblutet, sondern Private. Für viele Deutsche heisst das heute Pfandflaschen sammeln, statt Rente beziehen.

Sie kann auch intelligenter

Beispiel SBB. Dazu lesen wir in der Studie: "Die Ticketpreise im Bahnverkehr decken nicht einmal die Hälfte der von den Benutzern verursachten Kosten; die Folge hiervon sind
überfüllte Züge und ein Ausbau der Infrastruktur ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgekosten (Betrieb und Unterhalt)." Gut, aber was nun? Sollen die SBB die Preise verdoppeln, auf den Ausbau der Schienennetzes verzichten. Sind verstopfte Strassen besser als überfüllte Züge? In der Studie steht dazu nichts. Sie hat einfach mal ein Argument aus dem Zusammenhang gerissen, das auch noch gegen eine staatliche Eisenbahn spricht.

An dieser Stelle darf man anmerken, dass die Avenir Suisse auch schon intelligentere Studien zu Verkehrsfragen veröffentlicht hat. So hat sie empfohlen, sowohl den Strassen- als auch den Schienenverkehr deutlich zu verteuern, um so die Zersiedlung der Schweiz zu bremsen. Das war zwar kein sehr realistischer, aber geistig sehr anregender Vorschlag. Die Avenir Suisse kann es also auch besser. Noch ist Hoffnung. Ein Antrag auf Verstaatlichung könnte sich als voreilig erweisen.