Ohne Zweifel betreibt Peking die billigste, längste, sicherste, schönste und sauberste U-Bahn der Welt. Täglich benutzt mit Gusto Ihr Korrespondent die Vorbild-Metro. Um sich in der 20-Millionen-Megalopolis den Autostaus zu entziehen und relativ schnell zu bewegen, ist die Pekinger Röhre das Öffentliche Verkehrsmittel par excellence. Seit 2007 ist das Einzelfahrtticket auf zwei Yuan festgelegt, umgerechnet dreissig Räppli, unabhägig von der Distanz. Die Stadtväter spekulierten ein Jahr vor der Durchführung der Olympischen Spiele damit, dass immer mehr Passagiere die U-Bahn benützten und so das oberirdischen Verkehrschaos entlasteten.

Was die Passagierzahlen angeht, ging die Rechnung auf. Die Zahl der U-Bahn-Benützer stieg zwischen 2007 und 2013 um 350 Prozent. Mit andern Worten: im vergangenen Jahr nutzten täglich über 10 Millionen Pekinger die heute insgesamt 16 Linien des Pekinger U-Bahn-Netzes. Das sind 3,2 Milliarden Passagiere in einem Jahr. Das oberirdische Verkehrschaos indes nahm trotz U-Bahn und ultraschnellem Strassenbau weiter zu.

Die mit einem Streckennetz von derzeit 527 Kilometern verteilt auf 16 Linien längste U-Bahn der Welt kostet Geld, viel Geld, zumal weitere 11 Linien mit einer Länge von 206 Kilometern im Bau und nochmals rund 250 Kilometer bis ins Jahr 2022 in Planung sind. Die Subventionen der Stadtregierung für U-Bahn- und Bus-Verkehr stiegen von 13,5 Milliarden Yuan (umgerechnet 1,95 Mrd. Franken) im Jahre 2010 auf 20 Milliarden Yuan im Jahre 2013.

Die Pekinger Metro kann dank den Zuschüssen weltweit als Vorbild gelten. Zum Beispiel für New York oder für die Londoner Röhre (the Tube), der ältesten U-Bahn (1863) der Welt. Angefangen bei der Sicherheit über das moderne Rollmaterial, die Sauberkeit, die Frequenz, die Disziplin der Benützer. Zu Stosszeiten kann das schnell ausgebaute Röhrensystem trotzdem nicht den ganzen Ansturm locker bewältigen. Im Gegenteil. Zwischen sieben und neun Uhr morgens und zwischen fünf und sieben Uhr abends platzt das System mit einer Nutzung von 144% aus allen Nähten.

Nach gut einem Jahrzehnt des massiven Ausbaus stösst Pekings Stadtregierung auch an finanzielle Grenzen. Nur ein Viertel der tatsächlichen Kosten, so rechnet die Metro-Administration vor, könne durch Ticket-Verkauf wieder hereingehohlt werden. Bereits vor einem Jahr deutete die Entwicklungs- und Reformkommission der Hauptstadt deshalb eine baldige Preiserhöhung an. Die pendelnden Massen waren schokiert und stinksauer. Sina Weibo, das chinesisichen Pendant zu Twitter, wurde von einem Shitstorm  erschüttert. Der Suchbegriff „Preiserhöhung“ wurde alsogleich von den Zensurbehörden aus dem Verkehr gezogen. Kein Wunder, denn Preiserhöhungen sind politisch in China ein heisses Eisen. Unruhen und Aufbegehren sollen verhindert werden. 2014 wurden dann repräsentative Umfragen in Auftrag gegeben sowie Versammlungen an der Basis abgehalten, so etwas wie eine breite Vernehmlassung auf  Chinesisch.

Das Resultat: Der Preis eines Einzeltickets wurde ab Ende Jahr von zwei auf drei Yuan angehoben. Doch es kommt noch schlimmer. Konnte man seit 2007 für zwei Yuan (30 Rappen) unlimitiert das ganze Netz befahren, wird neu die Distanz berechnet. Für drei Yuan reicht es bis zu sechs Kilometern bis hin zu neun Yuan oder über 70 Kilometer bis ans Ende der Röhre. Natürlich gibt es für Kinder, Studenten, Alte, Soldaten und Behinderte Rabatte zwischen 20 und 75 Prozent. Doch selbst nach der Preiserhöhung ist Peking verglichen etwa mit Shanghai, Kanton oder gar Hong Kong immer noch spottbillig.

Verbraucher und Stadtverwaltung betrachten das komplexe Thema der Finanzierung des Öffentlichen Verkehrs natürlich aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Die Hauptbenutzer der U-Bahn ist der mittlere und untere Mittelstand. Sie leben in Schlafstädten wie etwa dem über 20 Kilometer entfernten Tongzhou im Osten Pekings und pendeln jeden Tag in die Innenstadt an ihre Arbeitsplätze. Bei meinen Bekannten, dem Ehepaar Cheng, addierte sich das bei einem Ticketpreis von bislang zwei Yuan bei 22 Arbeitstagen zu zweit auf insgesamt 176 Yuan pro Monat. Nach dem neuen Tarif wird das erklecklich teuerer, nämlich 440 Yuan pro Monat. Bei einem gemeinsamen Einkommen von knapp über 10‘000 pro Monat mag das nicht viel erscheinen, doch die Chengs sind wie so viele wegen der tieferen Wohnungspreise in die Schlafstädte gezogen. Das tägliche Pendeln von insgesamt drei bis vier Stunden ist eine zusätzliche Belastung und lange nicht so bequem wie zur ärgsten Stosszeit in einem Schweizer Trämli, Vororts- oder S-Bahn-Zug. Die Entwicklungs- und Reform-Kommission der Stadt kommt zum Schluss, dass mit den 2-Yuan-Billets bislang 2,6% des durchschnittlichen verfügbaren Einkommens aufgewendet werden mussten. Nach der Preiserhöhung werden es 5,4% sein.

Für Pekings Stadtverwaltung wiederum ist die Preisherhöhung überfällig, weil andere Aufgaben wie Erziehung, Gesundheit oder Pensionen schwer auf dem städtischen Budget lasten. Anders ausgedrückt: der Abstand zwischen der U-Bahn-fahrenden Mittelklasse und den weniger Begüterten dürfe nicht noch grösser werden. Auch mit der nun erfolgten Preiserhöhung werden die Betriebskosten der Pekinger U-Bahn nur zu 50 Prozent und der Busbetrieb zu 62 Prozent gedeckt. Massive Zuschüsse sind so auch für die kommenden Jahre zu erwarten. Aber nicht ad infinitum. Nach dem Prinzip der „sozialistischen Marktwirtschaft Chinesischer Prägung“ behalten sich die Stadtväter eine Überprüfung der Ticket-Preise vor. Jährlich.