Marktwirtschaft ist, wenn keiner mehr für den eigenen Bedarf arbeitet und alle nur noch das herstellen, was andere (vielleicht) brauchen und kaufen. Globalisierung ist, wenn sich ganze Regionen und Länder auf einzelne Produkte spezialisieren.

Als Hyperglobalisierung kann man den geistigen Zustand bezeichnen, wenn sich Länder als "Standorte" verstehen, wenn die ganze Wirtschaftspolitik darauf ausgerichtet wird, Kapital anzulocken und Güter und Dienstleistungen für den Export zu produzieren.

Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass diese Mentalität des "Standortwettbewerbs" eine eigenständige, auf die Bedürfnisse der Bürger ausgerichtete Wirtschaftspolitik verunmöglicht. Der wichtigste Grund liegt darin, dass sich die Regierungen ihren Gläubigern (und potentiellen Investoren) noch mehr verpflichtet fühlen als ihren Wählern. Diese können sie erst beim nächsten Wahltermin zur Rechenschaft ziehen, der Markt hingegen straft sofort, etwa mit einem höheren "Spread" (Zinsen auf Staatsanleihen) oder mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen.

Mit dem Markt kann man keine Argumente austauschen

Anders als mit dem Souverän oder dessen Vertreter im Parlament, kann man mit dem Markt keine Argumente austauschen. Im Gegenteil muss man tunlichst auf Argumente und fallweise Erörterungen zum vornherein verzichten. Etwa indem man sich per faktisch unkündbaren Vertrag (Maastricht) auf eine Obergrenze der Verschuldung und des Staatsdefizits festlegt, indem man die Geldpolitik (in Frankfurt) zentralisiert und der Politik entzieht oder indem man sich per Verfassung eine Schuldenbremse auferlegt.

Für den Markt sind damit die Regierungen berechenbar geworden. Doch dies hat einen hohen Preis: den Verlust der Legitimität nicht nur des Staates sondern auch der Marktwirtschaft. Diese beruht nämlich auf einem Deal: Effizienz gegen die Absicherung der mit der Spezialisierung verbundenen existenziellen Risiken. Marktwirtschaft ist nur akzeptabel, wenn die Risiken abgefedert werden. Dazu muss ein starker  Nationalstaat  mit den Mitteln der Fiskal- und der Geldpolitik die konjunkturellen Schwankungen dämpfen. Er muss die Sozialwerke organisieren, die uns gegen die Risiken des Alters, der Krankheit und der Arbeitslosigkeit absichern. Und er muss als allzu ungleich empfundene Primärverteilung korrigieren können. Zudem muss dieses wirtschaftspolitische Instrumentarium demokratisch kontrolliert und angepasst werden können.

Nur noch formell Demokratien

Doch diese Zeiten sind vorbei – insbesondere  gilt dies für die Schuldnerländern der Euro-Zone, wo die Gläubiger (vertreten durch die Troika und die EU-Kommission) die Wirtschaftspolitik ganz alleine bestimmen. Diese Länder sind zwar formell noch Demokratien, doch das ist bloss noch eine Farce, wenn die Gewählten das Volk in den wirklich wichtigen Fragen nicht mehr vertreten können. Kein Wunder, verlieren alle neu gewählten Regierungen schon nach wenigen Monaten das Vertrauen des Volkes.

Ist die Demokratie also am Ende? Können Demokratien im Standortwettbewerb wirtschaftlich überleben? Die Frage ist falsch gestellt. Sie müsste wie folgt lauten: Kann man erfolgreiche Wirtschaftspolitik als Standortpolitik betreiben? Ein nüchterner Blick auf die Ergebnisse dieses Feldversuchs müsste die Frage eigentlich beantworten: Die Euro-Zone hat punkto Wachstum und Arbeitslosigkeit eben die weitaus magersten sieben Jahre der Nachkriegszeit erlebt. Griechenland als Musterbeispiel der "Sanierungspolitik" hat inzwischen 25 Prozent des BIP und 33 Prozent des Binnenkonsums eingebüsst. Das übertrifft die Grosse Rezession der 1920er Jahre bei weitem. Noch nicht einmal der (nichtige) Hauptzweck der Übung, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit, wurde erreicht. Griechenlands Aussenhandelsdefizit ist zwar immerhin stark geschrumpft, doch nicht etwa wegen steigenden Exporten, sondern ausschliesslich weil die Importe um über 40 Prozent geschrumpft sind.

Exporte sind nicht Teil des BIP

Der Grund für diesen Misserfolg liegt auf der Hand: Die Politik des Standortwettbewerbs hat mit ihrem Stellenabbau, Sozialabbau und Lohnkürzungen, die Binnennachfrage zerstört. Diese aber ist mengenmässig viel bedeutender als der Export. Lassen wir uns nicht täuschen von angeblichen "Exportanteilen am BIP" am BIP von etwa 51 Prozent für die Schweiz, 73 Prozent für Belgien oder gar 115 Prozent für Luxemburg. Diese Zahlenspielereien sind unsinnig. Erstens sind die Exporte per Definition gar nicht Teil des BIP. Dazu zählt bloss die Differenz zwischen Exporten und Importen. Zweitens ist ein Land wenn schon nicht von den Ex- sondern von den Importen abhängig – von Rohstoffen, Nahrungsmitteln oder Energieträgern. Ein sinnvolle und empirisch richtige Aussage ist zum Beispiel die: 2012 kam 29 Prozent von allem, was in der Schweiz konsumiert und investiert worden ist, aus dem Ausland (dabei sind die in den Exporten enthaltenen Importe abgezogen).

Dazu kommt, dass unser Wohlstand nicht nur auf der Marktwirtschaft beruht. Mehr als die Hälfte der in der Schweiz geleisteten Arbeitsstunden entfällt auf freiwillige bzw. unbezahlte Arbeit. Rechnet man diese dazu, kann man sagen, dass nur etwa 15 Prozent unseres Wohlstands auf Importen beruht (die wir mit Exporten bezahlen.) In grösseren Ländern dürfte dieser Anteil eher noch grösser sein.

So gesehen ist als also absolut verhältnisblöd und unökonomisch, die Wirtschaftspolitik völlig auf Export und Wettbewerbsfähigkeit auszurichten. Ganz abgesehen davon, dass wir damit auch noch die Grundlage der Demokratie zerstören.


Demnächst in den Buchläden:
Vontobels Abrechnung mit der Globalisierung