In dem mehrseitigen Dokument wird unter anderem vor Protesten und Störungen der öffentlichen Ordnung gewarnt. Dies könnte eine "erhebliche Menge" der Polizeikräfte in Anspruch nehmen. Ausserdem dürfte es aufgrund tagelanger Wartezeiten für Lastwagen am Ärmelkanal zu Lieferengpässen bei Medikamenten kommen. In der Folge könnten Krankheiten bei Tieren ausbrechen, die wiederum die menschliche Gesundheit beeinträchtigen könnten. Urlauber müssten sich auf Flughäfen, bei Fahrten mit Fähren über den Ärmelkanal und bei Nutzung des Eurotunnels den Prognosen zufolge in Geduld üben.

Auch bestimmte Lebensmittel dürften dem Dokument zufolge knapp werden. Hamsterkäufe könnten das Problem verschlimmern - schon jetzt decken sich viele Briten vorsichtshalber mit bestimmten Waren ein. In Teilen des Landes könnte es auch zu Kraftstoffengpässen kommen. Im britischen Nordirland dürften die Strompreise erheblich steigen. Ausserdem rechnen die Experten bei einem No Deal mit Auseinandersetzungen zwischen britischen Fischern und Kollegen aus EU-Ländern. Sie fürchten zudem, dass die britische Exklave Gibraltar nicht genügend auf den ungeregelten Austritt vorbereitet ist.

Der "Sunday Times"-Journalistin Rosamund Urwin waren schon vor Wochen inhaltlich identische Dokumente mit der Überschrift "Grundlegendes Szenario" zugespielt worden, wie sie auf Twitter schrieb. Die von der Regierung am Mittwoch veröffentlichten Papiere tragen den Titel "Planungsannahmen für den schlimmsten Fall".

Durch die geänderte Überschrift sieht sich die Opposition in ihrer Vermutung bestätigt, dass die Regierung die möglichen Folgen eines ungeregelten EU-Austritts am 31. Oktober herunterspielt. Labour-Politiker Andy McDonald forderte, dass Premierminister Boris Johnson umgehend zu den Dokumenten Stellung nehmen müsste. Die Planungen erinnerten an einen "Krieg oder an eine Naturkatastrophe". "Operation Yellowhammer" (Goldammer) ist der Code-Name für die No-Deal-Planung der britischen Regierung.

Mit den Veröffentlichungen bleibt die Regierung weit hinter den Forderungen des Parlaments zurück. Die Abgeordneten hatten am Montag, kurz vor dem Beginn einer von Johnson auferlegten fünfwöchigen Zwangspause, die Herausgabe aller Dokumente zu den No-Deal-Planungen verlangt. Zudem forderten sie die komplette Korrespondenz dazu an, inklusive E-Mails und Kurznachrichten wichtiger Regierungsmitarbeiter und Berater. Staatsminister Michael Gove wies die Forderung als "unangemessen und unverhältnismässig" zurück. Die Regierung müsse die Privatsphäre ihrer Mitarbeiter schützen.

Hintergrund der Forderung nach der Korrespondenz war die Vermutung, Johnson wolle das Parlament mit der Zwangspause schlicht kaltstellen, um einen No-Deal-Brexit durchziehen zu können. Der Premier droht offen damit, sein Land ohne Abkommen aus der EU zu führen, sollte sich Brüssel nicht auf seine Forderungen nach Änderungen am Austrittsabkommen einlassen. Dabei hat das Parlament inzwischen ein Gesetz verabschiedet, das ihn zum Beantragen einer Verlängerung zwingt, sollte nicht rechtzeitig ein Deal mit der EU zustande kommen.

Am Mittwoch schloss sich ein schottisches Gericht der Auffassung der Johnson-Kritiker an und erklärte die Zwangspause für unrechtmässig. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass Johnson tatsächlich der Kontrolle durch das Parlament entgehen wollte. Das Gericht kündigte an, die Zwangspause - die eigentlich erst am 14. Oktober enden soll - für "null und nichtig" zu erklären.

Oppositionsabgeordnete riefen die Regierung dazu auf, das Parlament umgehend wieder einzuberufen. "Sie sollten uns zurückrufen, damit wir unsere Arbeit machen können", sagte der Labour-Abgeordnete Hilary Benn dem britischen Sender Sky News. Doch die Regierung wies die Forderungen zurück und kündigte an, zunächst Berufung einzulegen beim obersten britischen Gericht, dem Supreme Court. Dort soll am Dienstag kommender Woche über die Angelegenheit verhandelt werden.

Eine Sprecherin von Parlamentspräsident John Bercow teilte mit, es liege in der Zuständigkeit der Regierung, die Zwangspause vorzeitig zu beenden. Johnson äusserte sich am Mittwoch nicht zu dem Urteil./cmy/DP/jsl

(AWP)