Die EZB hat auf ihrer jüngsten geldpolitischen Sitzung mögliche weitere konjunkturstützende Schritte ins Visier genommen und auch über noch niedrigere Zinsen gesprochen. Es habe große Übereinstimmung geherrscht, dass die Euro-Wächter bereit sein müssten für weitere Lockerungsschritte, indem sie - wenn nötig - alle ihre Instrumente anpassen, hieß es im Protokoll zum Ratstreffen in Vilnius im Juni, das die EZB am Donnerstag veröffentlichte. Dazu könnten eine erneute Veränderung des geldpolitischen Ausblicks, eine Wiederaufnahme der Anleihenkäufe und auch Zinssenkungen zählen. Auch über mögliche Erleichterungen für Banken wurde gesprochen.

Am Geldmarkt wurde zuletzt die Wahrscheinlichkeit auf 50 Prozent taxiert, dass die EZB auf ihrem nächsten Zinstreffen am 25. Juli den Einlagensatz noch tiefer auf minus 0,5 Prozent von bisher minus 0,4 Prozent senkt. Aktuell sei der Nutzen der Negativzinsen noch größer als die damit verbundenen Kosten, hieß es im Protokoll. Währungshüter hätten aber angemerkt, dass dies womöglich nicht mehr zutreffe, sollten die Zinsen noch weiter herabgesetzt oder noch viel länger tief gehalten werden. Die Euro-Wächter seien weitgehend einig gewesen, dass die Notenbank weiter sorgfältig schauen solle, ob abmildernde Maßnahmen für Banken angebracht seien.

In der EZB war zuletzt über Staffelzinsen nachgedacht worden. Ein negativer Einlagensatz bedeutet, dass Banken Strafzinsen zahlen müssen, wenn sie über Nacht überschüssiges Geld bei der Notenbank parken. In Deutschland beklagen Banken schon seit längerem, dass die ultraniedrigen Zinsen an ihren Erträgen zehren.

Auch über Strategie wurde gesprochen

Die EZB treibt um, dass die US-Handelskonflikte die Stimmung in der Wirtschaft noch weiter eintrüben und die Konjunktur bremsen könnten. Zudem verwiesen die Währungshüter auf dem Treffen auf die anhaltende Unsicherheit aufgrund der Brexit-Hängepartie. Die Inflation im Euro-Raum lag zuletzt lediglich bei 1,2 Prozent - und damit weit entfernt vom EZB-Ziel einer Rate von knapp zwei Prozent. Die Notenbank verfehlt ihre Zielmarke bereits seit Frühjahr 2013.

Sie hatte auf der Sitzung bereits in Aussicht gestellt, an ihren Leitzinsen bis mindestens zur Jahresmitte 2020 nicht zu rütteln. Zuvor galt das nur bis Ende 2019. Starke Signale für neue Lockerungsschritte sendete Notenbank-Chef Mario Draghi dann Mitte Juni bei seinem Auftritt auf einer EZB-Konferenz in Sintra.

Auf dem Treffen in Vilnius merkten Euro-Wächter laut Protokoll außerdem an, dass bei anhaltend schwacher Inflation in der Notenbank grundlegendere Strategieüberlegungen angebracht sein könnten. Die Euro-Notenbank müsse aber aufpassen, dass dies nicht als Verrücken der Torpfosten in einer Zeit gesehen werde, in der es ihr schwer falle, das Inflationsziel zu erreichen. Finnlands Notenbank-Chef Olli Rehn hatte sich zuletzt für eine Überprüfung der Strategie ausgesprochen. Die letzte größere Strategieüberprüfung fand bei der EZB im Jahr 2003 statt. 

(Reuters)