Für das laufende Jahr geht Raiffeisen von einem Anstieg von 1,0 Prozent aus. Damit hat die Schweizer Wirtschaft massiv an Schwung verloren. Denn im 2018 hatte die hiesige Konjunktur mit einem Plus von 2,8 Prozent noch geboomt. "Wir hatten 2018 ein Bombenjahr", sagte Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff am Mittwoch vor den Medien in Zürich.

Trotz der markanten Bremsspuren "können wir uns nicht beklagen in der Schweiz. Wir sind nicht weit weg vom Potenzialwachstum", sagte Neff. Mit einer BIP-Prognose von 1,3 Prozent für 2020 befindet sich Raiffeisen in guter Gesellschaft. Die meisten Ökonomen rechnen mit einem Wachstum in dieser Grössenordnung.

Bremsklotz Deutschland

Gegenwind komme aus Europa, erklärten die Raiffeisenexperten. Vor allem Deutschland mit seiner angeschlagenen Konjunktur sei der Bremsklotz. Obwohl die Abhängigkeit von Deutschland kontinuierlich abgenommen habe, hänge die Schweizer Wirtschaft immer noch stark am Tropf des grossen Nachbarn.

Deutschland habe noch knapp einen Anteil von einem Fünftel an Schweizer Exporten. Hoch sei die Abhängigkeit insbesondere bei der Schweizer Metallindustrie sowie bei der Maschinen-, Apparate- und Elektronikbranche, sagte Neff.

Und besonders die Industrie werde die Talfahrt in Deutschland zu spüren bekommen. Die deutsche Industrie sei praktisch so pessimistisch wie auf dem Höhepunkt der Eurokrise im Jahre 2011. Das habe damals deutliche Auswirkungen auf die Schweizer Konjunktur gehabt, sagte Neff: "2012 war kein gutes Jahr."

Leidensweg der Industrie

Auch jetzt würden die konjunkturellen Vorlaufindikatoren nach unten zeigen. "Es gab nicht so viele Jahre, in denen die Erwartungen in der Industrie so schlecht waren, wie das aktuell der Fall ist. Die Schweizer Industrie wird sehr wahrscheinlich 2020 einen Leidensweg durchmachen", sagte Neff. Allerdings halte er es für ausgeschlossen, dass die Lage noch weiter in den Keller rausche. "Denn das Niveau ist enorm tief und wurde nur noch von der Finanzkrise getoppt."

Umso wichtiger sei aktuell die Entwicklung in den USA, die der zweitgrösste Exportmarkt für die Schweiz seien. Zwar zeichne sich dort eine spürbare Konjunkturabkühlung ab, doch von einem Abschwung in den USA geht Raiffeisen nicht aus.

"Die Sorgen in den USA sind eher politischer denn wirtschaftlicher Natur", sagte Neff. Der Handelskrieg mit China verunsichere die Unternehmen. Neben den innenpolitischen Eskapaden des US-Präsidenten dürfte der anstehende Wahlkampf für weitere Unruhe sorgen.

Auch andere Industrieländer schwächeln

Neben Deutschland und den USA neigen auch die anderen hochindustrialisierten Länder zu konjunktureller Schwäche. "Weder von der Eurozone noch von Japan werden 2020 namhafte Wachstumsimpulse auf die Weltwirtschaft ausgehen und auch die Konjunkturdynamik werde sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich abschwächen", erklärte Raiffeisen.

Zudem werde die chinesische Wirtschaftsleistung 2020 erstmals seit fast 30 Jahren um weniger als 6 Prozent wachsen. Der Handelskonflikt mit den USA hinterlässt allmählich seine Spuren. Die Exporte Chinas in die USA seien aktuell um gut 10 Prozent geschrumpft.

Gegenwind komme auch von der Wechselkursfront. Der Franken dürfte gemäss Raiffeisen-Prognose auch 2020 zur Stärke neigen. Die Stärke stamme weniger von der Rolle des sicheren Hafens, sondern beruhe auf nachvollziehbaren Gründen. "Dazu zählen Überschüsse im Aussenhandel mit Waren und Diensten und tiefere Inflationsraten als im Ausland", sagte Neff.

Zudem würden Schweizer Unternehmen und Investoren seit der Finanzkrise deutlich weniger ihrer erzielten Erträge im Ausland reinvestieren, sondern im Inland. "Das löst eine höhere Nachfrage nach Franken aus", sagte Neff. Ausserdem würden insbesondere institutionelle Investoren Währungsrisiken bei Auslandsanlagen in zunehmendem Masse absichern, was ebenfalls den Franken stärke. "Die berühmte Kapitalflut von Ausländern ist ein Mythos", sagte Neff.

jb/uh

(AWP)