Mit der angekündigten Übernahme der Robotiksparte des Schweizer Konzerns ABB für 5,4 Milliarden Dollar hat SoftBank-Chef Masayoshi Son vergangene Woche eine neue Ära der «physischen Künstlichen Intelligenz» ausgerufen, welche die Menschheit voranbringen solle. Ich befürchte jedoch, dass risikofreudigere und besser finanzierte Technologieunternehmen aus Asien und den USA die nächste Roboterrevolution anführen — während Europa den Anschluss verliert.

Europa war jahrzehntelang ein führender Produzent und Nutzer von Robotern. Hier sind zwei der «grossen Vier» der Industrieroboterhersteller ansässig: ABB und Kuka - die beiden anderen sind Fanuc und Yaskawa Electric aus Japan. Zudem sind mehr als ein Drittel der weltweiten Entwickler von professionellen, Verbraucher- und medizinischen Robotern in Europa beheimatet.

Doch die Hierarchie in der Robotik steht vor einem Umbruch: Künstliche Intelligenz wird zunehmend in Maschinen integriert und verleiht ihnen deutlich grössere Fähigkeiten. Wie in der Autoindustrie droht Europa auch hier, seinen Vorsprung zu verlieren.

China auf dem Vormarsch

Robotik war ein zentraler Bestandteil von Pekings «Made in China 2025»-Plan, einer ambitionierten und stark subventionierten nationalen Strategie. Die Initiative wurde vor einem Jahrzehnt ins Leben gerufen, um in der Hightech-Fertigung die globale Vorherrschaft zu erlangen. Mit Erfolg: China steht inzwischen für mehr als die Hälfte aller jährlich installierten Roboter weltweit und hat Deutschland bei der Roboterdichte — der Zahl der Roboter je Industriearbeiter — überholt.

Mehr noch, Chinas Roboterdichte liegt inzwischen mehr als doppelt so hoch wie der Durchschnitt in der EU. Ein Grossteil dieser Anlagen stammt von heimischen Produzenten. Die Exporte chinesischer Roboter steigen stark, und der Hersteller Estun Robotics baut derzeit eine Fabrik in Polen.

Fortschritte bei Computer-Vision, Sensorik und maschinellem Lernen ermöglichen zugleich flexiblere und anpassungsfähigere Roboter, die über den Fabrikeinsatz hinaus nutzbar sind. Dazu zählen humanoide Modelle, wie sie etwa die Autohersteller Tesla, Xpeng oder Start-ups wie Chinas Unitree Robotics und das kalifornische Figure AI entwickeln. Letzteres hat im vergangenen Monat mehr als 1 Milliarde Dollar einsammeln können bei einer Bewertung von 39 Milliarden Dollar.

Schwache Produktivität, alternde Bevölkerungen, die Rückverlagerung von Produktion und eine zunehmende Skepsis gegenüber Migration deuten zwar auf einen steigenden Bedarf an Automatisierung in Europa hin — was aber nicht heisst, dass diese künftig noch europäisch geprägt sein wird. Bereits 2015 übernahm der US-Konzern Teradyne Robotics den dänischen Hersteller von Kollaborationsrobotern, Universal Robots, für 285 Millionen Dollar. Solche «Cobots» sind für die sichere Zusammenarbeit mit Menschen ausgelegt. Drei Jahre später kaufte Teradyne auch den dänischen Produzenten Mobile Industrial Robots.

2016 verlor Kuka seine Unabhängigkeit, als Chinas Midea Group die Übernahme zu einer Bewertung von 4,6 Milliarden Euro einleitete. Geschockt vom Verlust industriellen Knowhows senkte Berlin anschliessend die Schwelle, ab der aussereuropäische Investoren beim Erwerb von Anteilen an heimischen Unternehmen einer staatlichen Prüfung unterzogen werden.

Mindestens ein europäisches Start-up scheint inzwischen zu glauben, dass die Zukunft in Kalifornien liegt. Im Juli gab das norwegische Start-up-Unternehmen für humanoide Roboter 1X Technologies bekannt, dass es seine norwegischen und US-Teams unter einem Dach in einer neuen Zentrale im Silicon Valley zusammenführen werde. Als Grund dafür nannte es Berichten zufolge die strenge Wegzugsbesteuerung in Norwegen, die es schwieriger mache, Mitarbeiter aus dem Ausland anzuwerben. Ausserdem sei es notwendig, näher am «globalen Zentrum für KI und Robotik» zu sein. 1X strebt Berichten zufolge nun eine Finanzierung über 1 Milliarde Dollar bei einer Bewertung von 10 Milliarden Dollar an.

ABB-Robotiksparte dürfte von Softbank profitieren

Vor diesem Hintergrund erfolgt nun, dass ABB das Angebot eines japanischen Investors angenommen hat, statt die Robotiksparte als eigenständiges Unternehmen an die Börse zu bringen. Das war ursprünglich für 2026 geplant. Als mögliche Börsenplätze waren die Schweiz und Schweden im Gespräch.

Zweifel gibt es aber kaum, dass die Sparte von SoftBanks Kapital und Technologieverbindungen profitieren wird. Die Zugehörigkeit zu einem japanischen Konzern bedeutet auch nicht zwangsläufig eine Abwanderung von Technologie oder Mitarbeitern aus den Zentren in Schweden, den USA oder China.

ABB hat zudem nachvollziehbare Gründe für den Verkauf: Zwischen der margenschwachen Robotik und den profitableren Bereichen der Elektrifizierung bestehen nur geringe Synergien. Das Angebot der Japaner übersteigt die Bewertungen, die Analysten der konjunkturabhängigen Sparte zugetraut hatten. Mit einem Umsatz von 2,3 Milliarden Dollar trug die Robotik nur 7 Prozent zum Gesamtumsatz des Konzerns bei. Der Erlös der Transaktion dürfte teils für Dividenden, Übernahmen und Aktienrückkäufe verwendet werden.

Analyst Omid Vaziri von Bloomberg Intelligence betont, dass Robotik zunehmend zu einem kapitalintensiven Skalengeschäft werde — eines, das Asiens kostengünstige Produzenten und ausgefeilte Lieferketten klar begünstige. Elon Musk erwartet zwar, dass Tesla bei zweibeinigen Robotern führend sein wird. Er warnte jedoch im April, dass die nächsten neun Plätze der Rangliste chinesische Firmen einnehmen könnten.

Zudem könnte die immer engere Verflechtung von Robotik und KI China und den USA weiter in die Karten spielen. Beide Nationen haben bei Halbleitern, Cloud-Computing und KI-Grundmodellen einen massiven Vorsprung.

Europa verfügt zwar weiterhin über erstklassige Robotikkompetenz und Forschungseinrichtungen — insbesondere in Deutschland, wo Start-ups wie Agile Robots und Neura Robotics führend sind. Agile wurde 2018 von Forschern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in München gegründet und gehört mehrheitlich seinem chinesischstämmigen Mitgründer und CEO Zhaopeng Chen sowie SoftBank. Chen lebt seit fast 20 Jahren in Deutschland.

Doch die europäische Robotikstrategie ist weniger ambitioniert als die Chinas, und die strukturellen Wettbewerbsprobleme des Kontinents sind bekannt: zu viel Bürokratie und Regulierung, fragmentierte Märkte, zu geringe F&E-Ausgaben, Kapitalmärkte, die risikoreiche Wetten scheuen, und ein Mangel an Wagniskapital für wachstumswillige Start-ups.

Den Verlust eines führenden Industrierobotikunternehmens könnte Europa noch als Missgeschick verbuchen — mehrere Verluste sehen allerdings nach einer Niederlage aus.

(Bloomberg)