Denn Ende März werden beim 60. Jahrestag der Römischen Verträge Antworten erwartet. Und bereits die ersten Gesprächsrunden der EU-27 in Bratislava und auf Malta haben laut Merkel gezeigt, "dass es auch eine EU mit verschiedenen Geschwindigkeiten geben wird, dass nicht alle immer an den gleichen Integrationsstufen teilnehmen werden".

Damit kehrt eine Debatte zurück, die bereits in den 90er Jahren in der EU unter den Schlagworten "Kerneuropa" oder "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten" intensiv geführt wurde. Denn die Einführung des Euro und des passfreien Schengenraums brachte bereits eine erste Kluft in der EU. Die Kernfrage lautet nun: Was soll die EU tun, wenn nicht alle Länder an Integrationsschritten etwa bei Finanzen, im Justizbereich oder künftig auch bei der Verteidigung mitmachen wollen? Und wie viel Differenzierung kann sich die EU eigentlich leisten? EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat die Spannung in der Debatte noch erhöht, weil er vergangene Woche warnte, dass die EU wegen unterschiedlicher Interessen ihrer Mitglieder auch auseinanderbrechen könnte.

Zumindest in einem sind sich etwa Merkel, die französische Regierung und EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans einig: Die 19 Staaten der Euro-Zone müssen auf jeden Fall eng zusammen bleiben, falls die Währungsunion dauerhaft funktionieren soll. "Die Euro-Zone braucht Einheit, keine Vielfalt", sagte Timmermans im Reuters-Interview. Die Kanzlerin mahnt ebenfalls, dass die Eurozone "als Ganzes" zusammen bleiben müsse. Nur sind sich nicht einmal die 19 Regierungen einig, wie schnell und in welcher Reihenfolge sie weitere Integrationsschritte gehen sollen. Deutschland etwa verweigert gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Staaten. Frankreich wehrt den Versuch ab, dass nationale Budgets, die den Stabilitätsvorgaben widersprechen, auch von der EU-Kommission und dem Europäischen Gerichtshof gestoppt werden können.

Weiter Staaten scheren aus

"Klar ist aber: Die Integration muss sowohl in der Euro-Zone als auch im Schengenraum weiter gehen", mahnt Jana Puglierin, Europa-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Das hätten die Schulden- und die Flüchtlingskrise gezeigt. Weder gebe es in der Euro-Zone ein ausreichendes Maß an Verständigung über eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik noch im Schengenraum das nötige einheitliche Asylrecht. Sollen die Konstrukte nicht zusammenbrechen, müssten weitere Reformen folgen.

Das Problem, das die EU-27 aber lösen müssen: Trotz des Brexit-Schocks scheren weitere Staaten aus. In Dänemark etwa darf die Regierung nach einem verlorenen Referendum im Dezember 2015 nicht länger an allen Aspekten der gemeinsamen EU-Innen- und Justizpolitik teilnehmen. "Wie soll es aber funktionieren, wenn das Land zwar Teil des Schengen-Raums ist - aber künftig nicht voll am Datenaustausch über Flüchtlinge und Gefährder teilnehmen kann?" fragt ein EU-Diplomat. Bei Europol wird Dänemark jedenfalls zum "Drittstaat" herabgestuft.

Und die nationalkonservative polnische Regierung will zwar eine viel engere Zusammenarbeit etwa bei der Verteidigung. Aber in anderen Bereichen sollte die EU eher zurückgebaut werden. Gleichzeitig fordert Warschau, dass die integrationsfreudigen Länder auch nicht zu weit vorpreschen sollten. Auch Merkel mahnt, dass es in der EU keine exklusiven Klubs geben dürfe. Falls einige Länder vorangehen, dürften sie sich nicht gegenüber Späteinsteigern abschotten.

Nur findet ein Teil der Integration in der EU wie etwa der Fiskalpakt für eine straffere Haushaltskontrolle gar nicht mehr innerhalb der EU-Verträge statt, sondern als Vereinbarung zwischen Mitgliedsregierungen. Das lag an Großbritannien, das jede Vereinbarung im Rahmen der 28 Mitgliedstaaten torpedierte - und an Frankreich, das den EU-Vertrag wegen dann drohender Referenden auf keinen Fall wieder aufschnüren will.

Die "alten" Mitgliedstaaten wie die Benelux-Länder, Deutschland, Frankreich und Italien wiederum wollen insgesamt eine engere Zusammenarbeit - wobei niemand weiß, ob dies nach den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich noch der Fall sein wird. In Versailles will man abklopfen, wo man übereinstimmt. DGAP-Expertin Puglierin spricht mittlerweile nur noch von" differenzierter Integration".

(Reuters)