Eine erfolgreiche Fusion von Shell und BP wäre eine der grössten Übernahmen der Ölindustrie. Sie würde die beiden legendären britischen Ölkonzerne zusammenführen und wird seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert. Ein kombiniertes Unternehmen könnte damit zu den bislang grösseren US-Rivalen aufschliessen.
BP wird an der Börse aktuell mit umgerechnet knapp 66 Milliarden Euro bewertet. Shell ist derzeit gut 175 Milliarden Euro schwer. Zum Vergleich: Der US-Ölmulti Chevorn kommt derzeit auf eine Bewertung von 244 Milliarden US-Dollar (etwa 213 Milliarden Euro). Ausser Reichweite bleibt erst einmal allerdings Exxon mit rund 460 Milliarden Dollar.
Shell warte auf einen weiteren Verfall des Aktienkurses von BP und der Ölpreise, hiess es in den Kreisen weiter. Das BP-Papier hat binnen eines Jahres fast ein Drittel eingebüsst. Ende April hatte Konzernchef Murray Auchincloss Anleger mit einer weiteren Reduzierung von Aktienrückkäufen erneut enttäuscht. Sie gelten als ein wichtiger Faktor, der die Branche für Anleger attraktiv macht. Ein wegen schlechterer Geschäfte zurückgehender Barmittelzufluss und steigende Schulden machen es BP zunehmend schwer, noch Geld an die Aktionäre auszuschütten.
In der Kritik steht das Unternehmen auch wegen der 180-Grad-Wende zurück zum Öl- und Gasgeschäft, der allerdings auch von Konkurrenten vollzogen wurde. Auchincloss-Vorgänger Bernard Looney hatte noch den Bereich Alternative Energien stark ausbauen wollen. Zusätzliche Unruhe bringt der US-Hedgefonds Elliott Management in das Unternehmen. Dieser hält mittlerweile eine grössere Aktienposition und fordert stärkere Kostensenkungen. Zudem soll der Konzern weitere Unternehmensteile veräussern und mehr Barmittel anhäufen. Bis 2027 soll BP nach Vorstellungen des Investors einen freien Barmittelzufluss von 20 Milliarden Dollar erzielen - das liegt um etwa 40 Prozent über dem derzeitigen Ziel des Unternehmens.
Die Ölpreise sind gemessen am Preis für ein Barrel der Sorte WTI innerhalb eines Jahres um gut ein Fünftel gefallen. Dafür gibt es mehrere Gründe. So belasten immer wieder Ängste um einen Einbruch der Weltwirtschaft aufgrund der US-Zollpolitik die Preise. Im April hatte die Ankündigung einer deutlichen Erhöhung der Fördermenge durch Opec+, in der neben Opec-Staaten auch andere wichtige Ölstaaten wie Russland organisiert sind, den Markt nach unten gedrückt. Am Samstag einigte sich die Gruppe auf eine weitere Anhebung.
Shell habe Durchführbarkeit und Vorteile einer Übernahme in den vergangenen Wochen mit seinen Beratern ernsthafter diskutiert, hiess es in den Kreisen weiter. Eine endgültige Entscheidung dürfte von der Entwicklung des BP-Aktienkurses abhängen. Die Erwägungen befänden sich in einem frühen Stadium und Shell könnte sich auch dazu entschliessen, sich auf Aktienrückkäufe und kleinere Übernahmen zu konzentrieren.
Ein Shell-Sprecher wiederholte der Nachrichtenagentur zufolge frühere Aussagen des Unternehmens, nach denen sich das Unternehmen auf seine Leistung, Disziplin und die Vereinfachung von Strukturen konzentrieren wolle, um den Wert für die Aktionäre zu steigern. BP wollte sich nicht äussern.
Shell-Konzernchef Wael Sawan erklärte Analysten am Freitag bei der Vorlage der Quartalzahlen, dass der Konzern «selbstverständlich» weiterhin nach anorganischen Möglichkeiten suchen werde, dabei aber umsichtig vorgehen werde und «die Messlatte hoch liege». Jede Transaktion müsse den freien Mittelfluss pro Aktie in relativ kurzer Zeit steigern, sagte er. Shell wolle «Wertjäger», das bedeute seiner Meinung nach, weitere Shell-Aktien zurückkaufen, sagte Sawan in der Telefonkonferenz.
Shell müsse erst «unser eigenes Haus in Ordnung» bringen, bevor das Unternehmen grössere Akquisitionen in Betracht ziehe. Shell habe trotz der Fortschritte der letzten Jahre «noch viel zu tun», um sein volles Potenzial auszuschöpfen. Der Konzern schliesse sich Transaktionen mit Potenzial zur Wertschöpfung an, wie beispielsweise beim Kauf des Flüssigerdgashändlers Pavilion Energy, so Sawan.
Eine Übernahme würde Shells Förderwachstum deutlich stärken und wieder Zugang zu den USA ermöglichen, nachdem das Unternehmen 2021 seine Schiefergasvorkommen im Permian Basin an ConocoPhillips verkauft hatte.
(AWP)
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Anhand von Umsatz, Bilanz, Anzahl Mitarbeiter käme das fusionierte Ergebnis locker an ExxonMobil ran. Nur bewertet ist ExxonMobil aktuell höher, weil effizienter.