Letzte Woche stiess ich beim Durchstöbern der News auf diese Meldung: "Nato-Chef Stoltenberg will norwegische Zentralbank führen". Er habe grosse Lust auf den Job, sagte der 62-jährige Chef des nordatlantischen Militärbündnisses laut Agenturbericht. Vor seinem Job als Nato-Chef war Stoltenberg bereits Ministerpräsident Norwegens. Nun also auch noch eine mögliche Beschäftigung in der Geldpolitik. Um den Karrierekreis zu schliessen, so dachte ich mir, würde Stoltenberg nach seiner Zeit bei der norwegischen Zentralbank dann vielleicht Fifa-Präsident. Oder Vorsitzender des Internationalen Olympischen Komitees.

Es gibt ganz offensichtlich viele Amtsträger in Politik und Wirtschaft, die glauben, dass die Welt ohne sie nicht funktioniert. Zahlreiche Institutionen und Unternehmen gehen ebenfalls davon aus, dass solche Amtsträger wegen ihrer Erfahrung und ihres Netzwerkes unentbehrlich sind. Fachkenntnisse scheinen bei der Besetzung der Posten oft sekundär zu sein.

Wir kennen ein ähnliches Phänomen in der Schweiz. Das Sammeln von Verwaltungsratsmandaten. Oder die Kombination von CEO-Posten bei einem Unternehmen, also einer operativen Tätigkeit, und Verwaltunsratsmandat(en) bei einer anderen Firma, also eine Aufsichtspflicht. In kaum einem Land in Europa sind solche Konstellationen so verbreitet wie in der Schweiz. Von Corporate-Governance-Experten wird dies zurecht seit Jahren scharf kritisiert.

Einem Mann geriet diese Ämterkombination in diesem Jahr zum Verhängnis: Roche-Chef Severin Schwan, im Hauptberuf seit 2008 CEO von Roche, dem grössten Pharmakonzern der Welt. Im "Nebenjob" amtet er auch als Vize-Präsident und Lead Independent Director der Credit Suisse (CS), wo er auch im sechsköpfigen Risikoausschuss Einsitz nimmt. Schwan ist dort quasi zweitwichtigster Aufseher. Archegos, Greensill, Überwachungsaffären undsoweiter: Die non-Stop-Skandale der Bank hat Schwan mitzuverantworten. Der VR-Job bei der CS ist für Schwan spätestens in diesem Jahr zur Hypothek geworden. Die CS-Aktie ist in dieser Woche auf den tiefsten Stand seit 19 Monaten abgesackt.

Wo liegt das Problem? Bei solchen Kombi-Jobs sind nicht in erster Linie mögliche Interessenkonflikte der Hauptkritikpunkt. Es geht um das, was offensichtlicher nicht sein kann: Woher nehmen Spitzenmanager die Zeit, nebst ihrer Tätigkeit als Chef eines weltumspannenden Milliardenkonzerns komplexe Geschäfte und Vorgänge einer branchenfremden Firma zu überwachen? Ein Verwaltungsrat und Lead Independent Director eines grossen Schweizer Vermögensverwalters sagte kürzlich im vertraulichen Gespräch, dass er für sein Mandat einen bis zwei Tage pro Woche aufwenden müsse, um dem Auftrag gerecht zu werden. Man kann nicht davon ausgehen, dass Schwan nebst dem Roche-Job einen ähnlichen Aufwand für die CS betreibt.

Ein CEO hat schlicht keine Zeit, nebenher noch Verwaltungsrat in einem börsenkotierten Unternehmen zu sein. Das befand vor Jahren schon der inzwischen emiritierte Rechtsprofessor Roland Müller, der an der Universität St. Gallen lehrte. In seinen Augen ist dies fahrlässig und unfair gegenüber der Gesellschaft.

Für Schwan gilt es, sich so bald wie möglich und einigermassen ohne Gesichtsverlust aus dem CS-Verwaltungsrat zu verabschieden. Sein Kombi-Job ist ein Auslaufmodell. Er entspricht in keiner Art und Weise den Prinzipien von neuzeitlicher Unternehmensführung und muss der letze seiner Art sein in der Schweiz.

Bereits erschienen in der cash.ch-Serie «Coronajahr II»: