In einer gemeinsamen Erklärung schlugen der deutsche und der französische Medtech-Verband BVMed und SNITEM Alarm: "Es werden rund 25'000 Zertifikate bis Ende der Übergangsperiode im Mai 2024 benötigt." Doch im Jahre 2021 hätten weniger als 1000 Produkte ein Zertifikat erhalten. Grund dafür ist gemäss den Verbänden Personalmangel bei den Zertifizierungsstellen.
Diese erneute Zertifizierung von bereits auf dem EU-Mark etablierten Medizinprodukten dient eigentlich der Patientensicherheit, die dadurch erhöht werden soll. Dazu zählen Produkten wie Implantate, Dialyse-Geräte, Katheter, Herzschrittmacher, Verbandsstoff oder Röntgengeräte.
Doch bereits Anfang 2020 gab es Ärger mit der neuen EU-Verordnung: Daher wurde ihr Geltungsbeginn um ein Jahr auf Mai 2021 verschoben. Hauptgrund war die Corona-Pandemie. Ein EU-Diplomat sagte zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA, dass sich jedoch schon damals ein Engpass bei den Zertifizierungsstellen abgezeichnet hätte.
Das Aufschieben um ein Jahr kam den Schweizer Medtech-Unternehmen entgegen, denn sobald die neue EU-Verordnung in Kraft tritt, würde die Branche ihren privilegierten Zugang zum EU-Markt verlieren. Dies wegen der Weigerung der EU, das Abkommen über technische Handelshemmnisse (MRA) zu aktualisieren.
Problem wird akut
Jetzt aber wird das Problem mit der Zertifizierung akut. Aktuell betrage die "durchschnittliche Dauer der Zertifizierung" rund 18 Monate, wird BVMed-Geschäftsführer Marc-Pierre Möll auf der Internetseite des Verbandes zitiert.
"Bei einer Übergangsfrist bis Mai 2024 bedeutet das, dass aller spätestens im dritten Quartal 2022 die unternehmerischen Entscheidungen getroffen werden müssen, welche Medizinprodukte vom Markt genommen werden", so Möll weiter. "Ein Zusammenbruch der Patientenversorgung" müsse dringend verhindert werden", heisst es in der gemeinsamen Erklärung.
Konkret verlangen die beiden Medtech-Verbände eine Verlängerung der Übergangsperiode, mehr Ressourcen für die Zertifizierungsstellen, die Erteilung von Zertifikaten unter Auflagen sowie Ausnahmen für Nischenprodukte. Sie hielten ausserdem von mehreren anderen Verbänden in Europa, inklusive dem Europäischen Medtech-Dachverband, Unterstützung. Auch die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie fordert Massnahmen.
Produkte nicht mehr erhältlich
In einem Brief appellierte zudem die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) zusammen mit medizinischen Fachverbänden an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
"Was zur Sicherung der Medizinproduktequalität im Sinne der Patientinnen und Patienten gedacht war, hat sich in der Praxis als bürokratisches Monster entpuppt", wird DKG-Präsident Gerald Gass auf deren Internetseite zitiert. Die Folge seien bereits deutlich spürbar.
"Besonders dramatisch" bezeichnete der DKG die Situation für Neugeborene mit Herzfehlern, denn die für sie bislang verwendeten Ballonkatheter seien bereits vom Markt verschwunden. Die Spitäler seien hier nun "auf Lagerbestände und eine einzige nur unzureichende Alternative angewiesen".
Auch Schweizer Medtech-Unternehmen müssen ihre "alten" Produkte für den EU-Markt neu zertifizieren lassen - und das in der EU. Denn aufgrund des nicht-aktualisiertem MRA werden Zertifikate aus der Schweiz in der EU nicht mehr anerkannt - und umgekehrt. Daher müssen EU-Medtech-Firmen ihre Produkte neu auch in der Schweiz zertifizieren lassen.
Am Dienstag werden sich nun die EU-Gesundheitsminister damit befassen. Der von Keystone-SDA kontaktierte EU-Diplomat geht davon aus, dass die EU-Kommission das Problem erkannt hat und eine Verlängerung der Übergangsfristen vorschlagen wird.
(AWP)