Die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied reguliert die Finanzmärkte und damit auch den Börsenhandel in Eigenregie. Grundsätzlich sind die Schweiz und die EU im Sinne der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen daran interessiert, die Regulierung gegenseitig zu anerkennen oder als "gleichwertig" oder äquivalent anzusehen.

Im Streit um ein Rahmenabkommen, das die Beziehungen der Schweiz zur 28-Staatenunion institutionell regeln soll, droht die EU nun mit der Aberkennung der Äquivalenz. Gerüchteweise steht so ein Schritt unmittelbar bevor. Wie Reuters aber am Dienstagnachmittag berichtet, soll die bis Ende 2018 befristete Anerkennung der SIX durch die EU um sechs Monate verlängert werden. Damit hat sie weiter ein Druckmittel im Konflikt um das Rahmenabkommen in der Hand. Und für Anleger stellen sich nach Ablauf der Frist dieselben Fragen wie jetzt.

Denn eine Aberkennung beträfe den Handel mit Schweizer Aktien elementar. Käme es zum "Knall", hat der Bundesrat im November einen Notfallplan erarbeitet. Die Frage stellt sich, ob dies für den Aktienmarkt, die Anleger und die Kurse einen Einfluss hat. cash.ch hat mit verschiedenen Protagonisten des Finanzplatzes Schweiz und mit Marktteilnehmern gesprochen. Niemand kann die Dimensionen einer Nicht-Anerkennung der Äquivalenz abschätzen. Hier die wichtigsten Fragen und Einschätzungen zum Thema:

Was bedeutet das Notrecht beziehungsweise der «Plan B» der Schweiz?

Die Schweiz wird bei Aberkennung der Äquivalenz für 2019 eine neue Anerkennungspflicht für ausländische Handelsplätze einführen. Das bedeutet de facto, dass kein Handel mit Schweizer Aktien im Ausland mehr stattfinden kann. Dann wiederum fallen Schweizer Aktien aber nicht unter die EU-Regulierung, womit Händler aus der EU weiterhin in der Schweiz handeln können.

Der Notfallplan würde einen Handel mit Schweizer Aktien bis auf weiteres sicherstellen. Halten sich alle Marktteilnehmer an das Notrecht, gibt es keinen Handel von Schweizer Aktien in der EU mehr. Das Handelsvolumen wird sich zurück an die Schweizer Börse verlagern, da es keine Alternativen mehr gibt. Für Schweizer Banken wäre dies einfach zu handhaben, da man weiterhin am Handelsplatz mit dem höchsten Volumen traden könnte.

Wie verändert dies die Situation von Händlern im Ausland? 

Ausländische Händler stehen mit dem Notfallplan vor einem möglichen Dilemma: Dann nämlich, wenn einzelne EU-Handelsplätze das Verbot von Schweizer Aktien missachten. Gemäss der EU-Finanzmarktregulierung MiFID-II müssten die Händler einen EU-Handelsplatz nutzen, sind aber auch dazu angehalten, im Dienste ihrer Kunden den Handelsplatz mit der höchsten Liquidität und damit einem möglichst reibungslosen Handel zu bevorzugen.

Dieser Umstand wird mit dem Begriff "Best Execution" umschrieben: Wenn man im Heimmarkt einer Aktie handelt, hat man in der Regel die besseren Bedingungen. Wenn also ausländische Händler Schweizer Aktien hierzulande kaufen, profitieren sie von einer hohen Liquidität und dem Umstand, dass die Spannen zwischen Kaufs- und Verkaufspreis klein sind. Wenn sie Schweizer Aktien ausserhalb der Schweiz kaufen, sind die Bedingungen meist weniger attraktiv - und es kostet sie mehr. 

Ein solches Dilemma schüfe rechtliche Unsicherheit und könnte eine generelle Zurückhaltung mit dem Handel von Schweizer Aktien bewirken. Das könnte etwas Druck auf die Aktienkurse bewirken.

Hat der Äquivalenz-Entscheid Auswirkungen auf Aktienkurse?

Mit dem Notfallplan des Bundesrats steigt die Liquidität im Schweizer Markt, zumindest kurzfristig. Das heisst, es wird mehr gehandelt. Für die unmittelbare Zukunft erwarten Anlageexperten keine grösseren Folgen auf die Kurse. Aktienhandel in der Schweiz wird weiter betrieben.

Die Sorgen beziehen sich mehr auf die weitere Zukunft. Äusserst beunruhigend für die Märkte wäre es, wenn sich der Streit Schweiz vs. EU zu einer Art Handelskonflikt ausweiten würde. Im aktuellen Zollstreit der USA mit China sieht man, wie eine Seite Massnahmen ergreift und die andere Seite mit Gegenmassnahmen reagiert. Dies hätte negative Folgen für die Wirtschaft allgemein, und auch den Aktienmarkt. 

Was sind nun die Folgen für Schweizer Anleger?

Schweizer Anleger handeln Schweizer Aktien zumeist sowieso im Inland. Der Kauf einer Schweizer Aktie im Ausland ist nicht mehr möglich. Der Kauf ausländischer Aktien aus der Schweiz heraus geht hingegen normal weiter. 

Im Handel mit Schweizer Bluechips wie Nestlé, Novartis oder UBS laufen rund 70 Prozent des Volumens über die SIX, der Rest über andere Plattformen wie Aquis, Cboe Europe oder die zur Londoner Börse gehörende Turquoise. Die meisten im Ausland gehandelten Aktien werden in London gehandelt. Mit dem "Plan B" des Bundesrates käme dieser Handel zum Erliegen. Wobei: Sollte Grossbritannien am 29. März tatsächlich aus der EU austreten (an diesem Termin bestehen mittlerweile Zweifel), könnte eine separate Regelung zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich den Handel erneut sicherstellen. 

Was bedeutet das für Unternehmen mit Mehrfachkotierung?

Einige Unternehmen haben aus historischen Gründen - weil sie das Produkt von grenzüberschreitenden Fusionen sind - eine weitere Kotierung in einem EU-Land. Namentlich sind dies ABB in Stockholm (und New York), LafargeHolcim in Paris und Aryzta in Dublin. Ohne Börsenäquivalenz würden die internationalen Anleger die Aktien nur noch im Ausland handeln. Mit den Bundesratsmassnahmen werden ausländische Händler zumindest theoretisch gezwungen, mehrfach kotierte Titel nur noch in der Schweiz zu handeln. Wie sich dies in der Praxis auswirkt, ist aber den Beteiligten nicht ganz klar. 

Ausländische Firmen mit Schweizer Kotierung  könnten ein Problem bekommen. Die Bundesratsmassnahmen betreffen nur Gesellschaften mit Sitz in der Schweiz. Für Unternehmen wie AMS, Cosmo oder Newron könnte die Situation kompliziert werden. 

Finden in der Schweiz nun weniger IPO statt?

Ein Schweizer Unternehmen kann sich auch ohne Börsenäquivalenz weiterhin in der Schweiz kotieren lassen und findet dank der Bundesratsmassnahmen auch ausländische Investoren. IPO-willige Unternehmen stehen dann vor der Frage, ob sie hauptsächlich der Schweizer Kapitalmarkt interessiert oder ob sie sich allenfalls im Ausland kotieren lassen möchten. Dies hängt vom Geschäftsmodell ab. Auch hier besteht eine Unsicherheit.

Bedenken gibt es auch, dass ausländische Firmen oder Start-ups nicht mehr die Schweiz als Handelsplatz wählen, weil ihnen die Umstände zu kompliziert werden oder weil sie fürchten, nicht mehr uneingeschränkt an verfügbares internationales Kapital zu gelangen. 

(Redaktionelle Mitarbeit: Pascal Züger)