Biden betonte, Diplomatie, starke Bündnisse und der Einsatz für Menschenrechte und Demokratie in der ganzen Welt seien auch im "ureigenen Interesse" Amerikas. "Wir investieren nicht nur in Diplomatie, weil es richtig ist, das für die Welt zu tun. Wir tun es, um in Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu leben", sagte Biden.

Sein Kurs bedeutet eine 180-Grad-Wende zu Trump. Der Republikaner hatte internationale Verträge gekündigt, den Vorteil des eigenen Landes zur Maxime gemacht und Verbündete reihenweise verprellt. Auch das Verhältnis zu Deutschland wurde unter Trump zunehmend frostig. Der Demokrat Biden will nun einen radikalen Kurswechsel: Er wolle "wieder die Gewohnheit der Zusammenarbeit bilden und die Muskeln der demokratischen Bündnisse wieder aufbauen, die durch Jahre der Vernachlässigung und, ich würde sagen, Misshandlung verkümmert sind".

Biden legte bei einer Rede im US-Aussenministerium grobe Linien seiner künftigen Aussenpolitik dar. Er äusserte sich nicht im Detail zu allen aussenpolitischen Feldern, machte aber grundlegend klar, wohin die Reise geht: Rückkehr zur engen Zusammenarbeit mit Partnern, Bekenntnis zu internationalen Bünden und ein Mix aus Kooperation und Konfrontation mit Rivalen - immer geleitet von den nationalen Interessen der USA. Konkret ging er auf Russland und China ein.

Mit Blick auf Moskau fand Biden deutliche Worte: Unter seiner Führung werde die US-Regierung angesichts der Menschenrechtsverletzungen und des aggressiven Handelns Russlands nicht "kuschen", sagte er. Er werde auch nicht zögern, die "Kosten" für Russlands Handeln zu erhöhen - eine kaum versteckte Drohung mit neuen Sanktionen. Biden wiederholte ausserdem die Forderung nach einer sofortigen Freilassung des Kremlkritikers Alexej Nawalny.

Russland reagierte prompt, wies die Forderung zu Nawalny zurück und verbat sich "Belehrungen" und Ultimaten. Bidens Rede sei von einer "sehr aggressiven und nicht konstruktiven Rhetorik" geprägt gewesen, hiess es aus dem Kreml. Trotz "sehr vieler Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlicher Ansätze in Schlüsselfragen" hoffe Moskau aber, dass es "eine Grundlage für Gespräche" geben werde.

Als grössten Konkurrenten der USA bezeichnete Biden China. Die Vereinigten Staaten seien bereit, mit Peking zusammenzuarbeiten. Man werde der chinesischen Regierung aber aus einer "Position der Stärke" gegenübertreten. Auf den Handelskonflikt mit China ging er nicht ein.

Klar ist, dass Biden internationale Verbündete braucht, wenn er Chinas zunehmenden internationalen Einfluss eindämmen und Russland kraftvoll gegenübertreten will. Den Iran, den die Trump-Regierung als vorrangigen Gegner behandelt hatte, erwähnte Biden in der Rede nicht.

Neben seinen Aussagen zum allgemeinen Kurs kündigte Biden mehrere konkrete Schritte an, die mit Trumps Linie brechen:

- JEMEN: In einer bemerkenswerten Abkehr von der Strategie der vorherigen Regierung wollen die USA im Bürgerkriegsland Jemen keine Kampfhandlungen mehr unterstützen. Im ärmsten arabischen Land kämpft ein von Saudi-Arabien angeführtes Militärbündnis seit 2015 gegen die Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden. Das US-Militär half mit Geheimdienstinformationen und logistischer Unterstützung. Zudem wurden Waffenverkäufe an Riad in Milliardenhöhe genehmigt.

- FLÜCHTLINGE: Biden versprach ausserdem, dass die USA künftig wieder deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen werden. Die jährliche Obergrenze solle im kommenden Haushaltsjahr auf 125 000 angehoben werden. Unter Trump war die Grenze zuletzt auf den historisch extrem niedrigen Wert von höchstens 15 000 Menschen in einem Haushaltsjahr gesenkt worden.

- DEUTSCHLAND: Für die Bundesrepublik, die von Trump vier Jahre lang nicht wie ein Partner, sondern wie ein Gegner behandelt wurde, hatte Biden eine gute Nachricht parat. Der von Trump geplante Abzug von 12 000 US-Soldaten aus Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird auf Eis gelegt. Die Bundesregierung begrüsste das. Trump hatte den Truppenabzug im Juni 2020 ohne vorherige Absprache mit der Bundesregierung angekündigt, um Deutschland für aus seiner Sicht mangelnde Verteidigungsausgaben zu bestrafen. Bei einer vollständigen Umsetzung der Pläne wäre die Truppenstärke um ein Drittel verringert worden. Deutschland ist mit fast 35 000 Soldaten nach Japan der grösste Standort der US-Streitkräfte im Ausland.

Biden will die Truppenstationierungen nun weltweit überprüfen. Das bedeutet, dass ein Abzug von US-Soldaten aus Deutschland noch nicht ganz vom Tisch ist. In dem von Trump geplanten Umfang wird er aber sehr wahrscheinlich nicht erfolgen. Zu den anderen Streitthemen mit Deutschland aus der Ära Trump äusserte sich Biden in seiner Ansprache nicht. Dazu zählt zum Beispiel die Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland, die auch er scharf kritisiert.

Trotz der Kooperationssignale des neuen US-Präsidenten gegenüber Verbündeten überall auf der Welt ist von Biden nicht zu erwarten, dass er alles anders machen wird als sein Vorgänger./jac/jbz/mfi/DP/nas

(AWP)