Die Konjunkturerholung und die rasant gestiegene Inflation setzen die EZB und ihr US-Pendant Fed unter Zugzwang. Es gilt, bald Weichen für eine künftige Geldpolitik zu stellen, die nicht mehr von der Pandemie diktiert wird. 2022 wird es wohl auf beiden Seiten des Atlantiks mit der extrem expansiven Linie ein Ende haben.

Ob die EZB bereits im September über eine künftige Abkehr von ihren billionenschweren Corona-Hilfe beraten kann, wie es Ratsmitglied Olli Rehn signalisierte, ist jedoch noch nicht ausgemachte Sache. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane dämpfte die Erwartungen etwas, da zu jenem Zeitpunkt womöglich noch nicht alle erforderlichen Daten vorlägen..

Schneller dürfte die Fed sein, die schon im Sommer an einem Plan zum Abschmelzen ihrer Anleihekäufe feilen wird, wie US-Notenbankchef Jerome Powell andeutete. Die Debatte über dieses im Fachjargon als 'Tapering' bekannte Manöver hat auf der jüngsten Zinssitzung begonnen. "Insgesamt sehen wir uns durch diese Sitzung in unserer Prognose bestätigt, dass die Fed im vierten Quartal die Rückführung der Anleihenkäufe beschliessen wird und Ende 2023 mit Zinserhöhungen beginnt", so Commerzbank-Ökonom Bernd Weidensteiner.

EZB macht grossen Strategiecheck

Laut EZB-Chefin Christine Lagarde ist es für die Hüter des Euro aber noch zu früh, über eine Abkehr vom Krisenmodus zu sprechen. Doch am Montag muss sie sich im Europa-Parlament wohl auch Kritikern ihrer laxen Linie stellen, die bei Fragen nach Risiken und Nebenwirkungen der Krisenmedizin nicht locker lassen. Und Powell steht am Dienstag eine ähnliche Aufgabe ins Haus, wenn er vor einem US-Kongressausschuss Rede und Antwort steht.

Die Währungshüter in den USA und Europa wissen, dass sie mit ihren billionenschweren Anschubhilfen für die pandemie-gebeutelte Wirtschaft auf Dauer Exzesse an den Börsen und am Immobilienmarkt riskieren. US-Notenbanker Robert Kaplan hat diese Sorge bereits mehrfach geäussert.

Powell könnte Ende August die Notenbanken-Konferenz in Jackson Hole in Wyoming als Forum nutzen, um einen Fingerzeig für ein Herunterfahren der Corona-Nothilfen in Höhe von monatlich 120 Milliarden Dollar zu signalisieren. Bei einer Änderung der Marschrichtung muss er laut Ökonom Brian Nick vom Investmentmanager Nuveen aber äusserst behutsam vorgehen, um die an die Geldschwemme gewöhnten Märkte nicht zu verschrecken.

Strategen rechnen in den kommenden Wochen bereits mit mehr Nervosität und grösseren Kursschwankungen an den Börsen. Die EZB habe "in gewisser Weise den Luxus", der Fed beim Kursschwenk den Vortritt zu lassen. Denn die USA sind der Euro-Zone nach dem Corona-Einbruch im Seuchenjahr 2020 nun konjunkturell wieder einige Zeit voraus.

Schon vor der Virus-Krise war die Fed der Schrittmacher der Geldpolitik. Sie hat die Runderneuerung ihrer Strategie bereits 2019 abgeschlossen. Die EZB dagegen steckt mitten in ihrem grossen Strategiecheck und will dieses Wochenende über noch offene Fragen beraten. Der Ausgang wird auch über den Pfad der Nach-Corona-Geldpolitik entscheiden.

Die Uhr tickt

Laut Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer dürfte sie im Herbst bestätigen, dass sie ihr in der Corona-Krise aus dem Boden gestampftes billionenschweres Anleihekaufprogramm mit dem Kürzel PEPP im Frühjahr 2022 beenden möchte. Aber sie werde das wohl "mit beträchtlichen Zugeständnissen" an die vielen Vertreter einer lockeren Linie im EZB-Rat verbinden.

Doch die Uhr tickt, denn auch die Inflation könnte durch die Geldschwemme angeheizt werden. Geldmenge und EZB-Bilanzsumme stiegen relativ zur Wirtschaftsleistung mit der ultra-laxen Politik sehr rasch an, warnt ZEW-Experte Friedrich Heinemann: "Mit der Fortsetzung der aktuellen Geldpolitik wachsen die Risiken für eine dauerhafte Inflationsdynamik." In den USA waren die Verbraucherpreise zuletzt sogar auf 5,0 Prozent in die Höhe geschnellt. Und auch in der Euro-Zone ist die Teuerung mit zuletzt 2,0 Prozent auf dem Vormarsch.

Aus Sicht der Investmentbank Goldman Sachs dürfte die EZB nach der Sommerpause dem Beispiel der Fed folgen und die Notfall-Anleihenkäufe auf den Prüfstand stellen: "Wir sehen die September-Sitzung als die Gelegenheit für den EZB-Rat, die Bewegung weg von den pandemischen Notfall-Werkzeugen hin zu den Vor-Covid-Instrumenten einzuleiten, um die Unterstützung bis weit in die Erholung hinein beizubehalten", sagen die Experten.

Denn aus Sicht der EZB ist der aktuelle Inflationsanstieg keinesfalls dauerhaft, da er vor allem der Wiedereröffnung der Wirtschaft nach der Pandemie geschuldet sei. Zudem zeichnet sich nicht ab, dass die Löhne stark anziehen werden.

Für die EZB bedeutet dies: Aus der Abkehr vom extremen Krisenmodus folgt noch längst nicht das Ende der lockeren Geldpolitik. Das Wort "Zinswende" nimmt noch keiner der Währungshüter in den Mund. An den US-Terminmärkten wird hingegen bereits auf eine geldpolitische Straffung der Fed Anfang 2023 gewettet. 

(Reuters)