Lange nach dem Ende der Coronavirus-Pandemie könnte das schlimmste wirtschaftliche Erbe für Europa nicht der riesige Berg an Staatsschulden sein, sondern die Hunderte von Milliarden Euro an Verbindlichkeiten, die Unternehmen aufgenommen haben.

Die Firmen griffen auf Bankkredite und Anleiheemissionen zurück, die durch staatliche Garantien und Notenbank-Stimuli erschwinglich wurden, um die Shutdowns zu überstehen, die ihren Cashflow in diesem Jahr haben einbrechen lassen. Wenn diese Krisenunterstützung endet, besteht die Gefahr, dass ihre Finanzen bis zur Belastungsgrenze unter Druck geraten werden. Kleinere Unternehmen schlagen bereits Alarm.

Politiker werden aufgefordert, lebensfähigen Unternehmen bei der Bereinigung ihrer Bilanzen zu helfen. Ansonsten haben diese mit Schuldenlasten zu kämpfen, die Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen für die kommenden Jahre lähmen könnten.

Verringerte Überlebenschancen

“Mit jeder Woche, die vergeht, verringern sich die Überlebenschancen für aktuell geschlossene Unternehmen”, sagte Germain Simoneau, Leiter des Finanzausschusses des französischen Kleinunternehmensverbands CPME. “Wir haben noch nie eine Krise in dieser Grössenordnung mit im Hintergrund schlummernden systemischen Risiken gesehen.”

Das Risiko geht über die Unternehmen selbst hinaus. Angeschlagene Bilanzen könnten einen Kreislauf von Ausfällen und Insolvenzen auslösen, die den Bankensektor treffen und den Abschwung vertiefen würden.

Die Anfälligkeit der Unternehmen habe in der Pandemie stark zugenommen und wurde nur durch umfangreiche geld- und fiskalpolitische Stützungsmassnahmen in Grenzen gehalten, schrieb die EZB in einem vorab veröffentlichten Schreiben zu ihrem Finanzstabilitätsbericht, der am Mittwoch veröffentlicht wird. Ein abruptes Ende der Stützungsmassnahmen könnte zu einer Zunahme der Finanzierungs- und Rolloverrisiken führen, was die allgemeine Anfälligkeit der Unternehmen über das Niveau auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise treiben könnte, hiess es.

Unternehmen aus dem Euroraum haben laut Daten der Europäischen Union im ersten Halbjahr dieses Jahres mehr als 400 Milliarden Euro Schulden aufgenommen, verglichen mit 289 Milliarden Euro im gesamten Jahr 2019. Die Europäische Kommission warnte letzte Woche, dass der Schuldendienst eine Herausforderung darstellen könnte, insbesondere in Sektoren, die nachhaltiger von der Pandemie betroffen sind.

35 Prozent mehr Insolvenzen prognostiziert

In Deutschland, das die Krise bisher besser überstanden hat als die meisten Pendants, prognostiziert die Bundesbank für das erste Quartal nächsten Jahres einen Anstieg der Insolvenzen um mehr als 35 Prozent. Eine Umfrage der Lobbyorganisation SME United ergab, dass rund die Hälfte der kleinen und mittleren Unternehmen in Frankreich und Italien wegen eines möglichen Kollapses besorgt sind.

Die Ökonomen von Euler Hermes schätzen, dass allein italienische und französische Kleinunternehmen zusätzlich zur Liquiditätshilfe eine Rekapitalisierung von 100 Milliarden Euro benötigen werden.

Letztendlich besteht die Lösung wahrscheinlich darin, europäische Unternehmen davon zu überzeugen, ihre Abhängigkeit von Bankkrediten zu verringern, die sie in viel grösserem Umfang als US-Unternehmen nutzen.

Die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank haben seit langem eine Kapitalmarktunion gefordert, um die Erschliessung alternativer Finanzmittel zu erleichtern. EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte am Freitag, dass eine solche Union nicht länger optional, sondern mittlerweile ein absolut notwendiges Vorhaben sei.

Nationale Lösungen sind gefragt

Mittelfristig erfordern die vorgeschlagenen Lösungen jedoch die Unterstützung der Regierungen. Das schliesst Instrumente zur Verbesserung der Zahlungsfähigkeit von Unternehmen ein, damit lebensfähige Unternehmen nicht unter ihren Schulden begraben werden.

Für die kleinsten Unternehmen könnte dies direkte fiskalpolitische Transfers zur Bewältigung der Fixkosten bedeuten, so Gerhard Huemer, Direktor für Wirtschaftspolitik von SME United. Für die grösseren wären nachrangige Kredite oder Kapitalzuführungen angemessener.

Solche Ideen haben jedoch zu kämpfen. Ein EU-Instrument zur Förderung der Zahlungsfähigkeit erhielt auf einem Gipfeltreffen im Juli nicht ausreichende Unterstützung von den Regierungen. Jetzt liegt der Schwerpunkt laut Huemer auf der Sicherstellung ähnlicher Unterstützung durch die Europäische Investitionsbank und andere EU-Programme sowie nationalen Lösungen.

EU lockert Vorschriften für Subventionen

In Deutschland greift die Regierung Unternehmen, die gezwungen waren zu schliessen, mit direkten Barzahlungen unter die Arme. Laut EU-Wettbewerbschefin Margrethe Vestager sind Italien und Deutschland führend bei der Verwendung von Zuschüssen und anderen Hilfen, die nicht zurückgezahlt werden müssen.

Die Europäische Kommission hat kürzlich ihre Vorschriften für Subventionen erneut gelockert, damit die Regierungen bis zu 3 Millionen Euro der Fixkosten der Unternehmen abdecken können. Dies könnte ein kleiner Schritt in Richtung einer umfassenden Überarbeitung der Unternehmensfinanzierung für die Zeit nach der Pandemie sein.

“Die wichtigste Lehre aus der Krise 2008-2009 war, dass Banken besser kapitalisiert werden und weniger verschuldet sein sollten. Die Lehre aus dieser Krise wird sein, dass dies auch für Unternehmen ausserhab der Finanzwirtschaft gilt”, sagte Michala Marcussen, Chefvolkswirtin bei der Société Générale SA.

(Bloomberg)