cash.ch: Die EZB beendet ihre Anleihenkäufe und will im Juli den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte anheben. Reicht dies, um Inflation in der Eurozone wirksam in den Griff zu bekommen? 

Elias Hafner: Die EZB hat an der Juni-Sitzung die ersten Schritte der Zinsnormalisierung eingeleitet und für die nächsten Sitzungen relativ konkrete Ansagen gemacht. Unmittelbar wird sich dies aber nicht auf die Inflation auswirken. Zentral sind die längerfristigen Inflationserwartungen. Die marktbasierten Inflationserwartungen haben sich zuletzt etwas zurückgebildet, allerdings unter den Erwartungen, dass die EZB die Zinsen künftig deutlich anheben wird.  

Beunruhigt es Sie, dass die EZB ihre Inflationsprognose erhöht hat? 

Aufgrund der aktuell hohen realisierten Inflationsrate musste mit einer deutlichen Erhöhung der Prognose in diesem Jahr gerechnet werden. Die EZB brauchte in der Vergangenheit die Inflationsprognose auch als Kommunikationsinstrument. Dass die Inflation nun auch 2023 und 2024 über dem Notenbankziel zu liegen kommt, legt eine stärkere geldpolitische Straffung nahe.

Weitere Zinsschritte stehen ja am Horizont. Was für eine Geldpolitik der EZB erwarten Sie? 

Mit ihrem relativ konkreten Plan, den sie nun am Juni-Meeting vorgestellt hat, haben sich unsere Erwartungen für einen ersten Zinsschritt im Juli um 25 Basispunkte bestätigt. Angesichts der erneuten Inflationsüberraschung im Mai und dass jetzt bei der EZB auch offiziell eine Zinserhöhung in der Höhe von 50 Basispunkte auf dem Tisch liegt, halten wir einen solchen "grossen Zinsschritt" im September für wahrscheinlich. Daher ist es gut möglich, dass die EZB den Einlagesatz bis Ende 2022 bereits auf 0,75 Prozent anheben wird.

Die sich abzeichnende EZB-Zinswende beeinflusst die Schweizerische Nationalbank. Hält die ZKB an der vor rund einer Woche vorgestellten Prognose fest, dass die SNB schon im September das Zinsniveau ändern wird? 

Ja, die Entscheidung und die Kommunikation hat dies nochmals wahrscheinlicher gemacht, da jetzt klar ist, dass die EZB im September aus den Negativzinsen ausgestiegen sein wird. Dies gibt auch Raum für die SNB, sich zu bewegen, die im September nach der EZB tagt. Und auch darüber hinaus dürfte die SNB ihrerseits jetzt wohl mehr Zinsschritte machen. Die Zinsdifferenz zwischen der Eurozone und der Schweiz dürfte sich aber ausweiten.

Hat sich der Druck auf die SNB Ihrer Meinung nach mit der aktuellen EZB-Ankündigung erhöht? 

Die Vertreter des SNB-Direktoriums haben über die letzten Wochen den Willen signalisiert, in absehbarer Zeit aus den Negativzinsen aussteigen zu wollen, sobald sie die Chance dazu sehen. Die EZB-Ankündigung hat nun diese Chancen insgesamt erhöht. Ich würde daher nicht von Druck, sondern wie angesprochen von einem grösseren Handlungsspielraum für die SNB sprechen, den sie nun nutzen kann.

Inwiefern wird die SNB-Geldpolitik von der EZB abhängig bleiben, und inwiefern wird sich die SNB von der EZB abkoppeln? 

Dies hängt vom Aussenwert des Frankens und der Höhe der Inflation in der Schweiz ab. Aufgrund der deutlich stärker angestiegenen Konsumenten- und Produzentenpreise in der Eurozone hat sich der reale Aussenwert des Frankens, welcher für die Bewertung massgebend ist, über die letzten Monate weiter reduziert. Wenn man noch zusätzlich den US-Dollar im Währungskorb berücksichtigt, der gemäss Kaufkraftparität deutlich überbewertet ist, kann man nicht mehr von einer hohen Bewertung oder gar Überbewertung des Frankens sprechen. Die SNB dürfte denn auch die Bezeichnung "hoch bewertet" für den Franken aus ihrer Kommunikation anlässlich ihrer Sitzung in einer Woche streichen. Hier besteht nun mehr Spielraum für die Nationalbank, der EZB in keinem grossen Abstand zu folgen.

Die Inflation in der Schweiz wurde zuletzt bei 2,9 Prozent gemessen. Bringt dies die SNB allgemein nicht stärker unter Zugzwang? 

Aufgrund der höheren aktuellen Inflation wird die SNB in ihren Prognosen den Inflationspfad an der nächsten Sitzung nochmals nach oben anpassen müssen. Wichtig ist, ob die SNB nach wie vor überzeugt ist, dass die Inflation über den Prognosehorizont in ihrem Zielband von 0 Prozent bis 2 Prozent verankert bleibt. Sollte die SNB in den nächsten Sitzungen wider Erwarten zum Schluss kommen, dass die Inflation auch in der Schweiz darüber hinaus weiter anzusteigen droht, dann glaube ich, dass sie ihr primäres Ziel der Preisstabilität konsequent verfolgen wird.

Die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen hat den Fehler einer Prognose zu einer 'vorübergehenden' Inflation zugegeben, in der Eurozone hat man die Erwartungen auch verändert. Wird auch SNB-Präsident Thomas Jordan künftig noch eine Fehlbeurteilung eingestehen müssen?

Die hohe Inflation hat viele auf dem falschen Fuss erwischt. Die Teuerung ist zwar auch hierzulande klar angestiegen und liegt aktuell ausserhalb des SNB-Zielbands, die Gesamtinflation von 2,9 Prozent nimmt aber noch keinen Extremwert an. Auch ist die Inflation in der Schweiz stärker verankert als anderswo, wofür die SNB in den letzten Jahren teils auch in der Kritik stand. Insgesamt befindet sich SNB-Präsident Jordan damit sicherlich weniger stark in der Defensive als gewisse Amtskollegen. Auch verfügt die SNB über mehr Mittel, die Inflation zu bekämpfen. Wenn sie dies für nötig hält, kann sie beispielsweise den Franken bis zu einem gewissen Grad aufwerten lassen, sozusagen als Schutz vor Inflation. Wie erwähnt bietet die aktuelle Frankenbewertung mehr Raum dafür. Unterliegend könnte sie dazu die Zinsen stärker erhöhen oder auch die Bilanz abbauen. Letzteres Instrument würde dabei eine höhere Flexibilität bieten.

Der Euro hat zum Franken zuletzt aufgewertet. Setzt sich dies fort? 

Insgesamt dürfte der Euro vom Ausstieg aus den Negativzinsen profitieren, denn die Senkung des Einlagesatzes in den negativen Bereich 2014 hat den Euro als Anlagewährung unattraktiv gemacht und in der Folge über Jahre hohe Kapitalabflüsse aus der Gemeinschaftswährung begünstigt. Auch der Euro-Franken-Wechselkurs dürfte von dieser Entwicklung etwas Unterstützung erhalten, vorausgesetzt, die Wirtschaft in der Eurozone erholt sich über die nächsten Quartale weiter und die SNB sieht sich nicht mit nochmals deutlich höheren Inflationsrisiken konfrontiert, welche sie zu einer aktiven Frankenstärkung veranlassen würde.

Wie lauten Ihre derzeitigen Prognosen zum Euro-Franken-Kurs sowie zum Dollar-Franken-Kurs?

Unsere derzeitige Prognose für den Euro-Franken-Kurs liegt bei 1,04 Ende August und bei 1,06 in zwölf Monaten. Den Dollar-Franken-Kurs sehen wir etwas tiefer bei 0,96.