Nancy Pelosi als ranghöchste US-Politikerin könnte seit 25 Jahren tatsächlich einen Fuss auf die Insel setzen, die China als Teil seines Territoriums betrachtet. Die chinesische Führung hat für diesen Fall "schwerwiegende Konsequenzen" angekündigt. Wie diese aussehen könnten, zeigen die folgenden Szenarien.

1. Umfangreicheres Eindringen in den Luftraum 

Da das tägliche Eindringen in die Luftverteidigungszone der Insel bereits die Norm ist, müsste die Volksbefreiungsarmee (PLA) - um ein Zeichen zu setzen - entweder eine besonders grosse oder eine ungewöhnliche Serie von Flügen durchführen. Der Tagesrekord stammt vom 4. Oktober, als 56 PLA-Flugzeuge in Taiwans Luftraum eindrangen. Nach dem Besuch einer US-Kongressdelegation im November flogen beispielsweise 15 Flugzeuge über die Ostseite Taiwans und nicht über die üblichen südwestlichen Routen.

China könnte dieses Ausmass an Aggression tagelang oder wochenlang aufrechterhalten. Dies könnte die Ressourcen der ohnehin schon überlasteten taiwanesischen Luftwaffe erschöpfen bei ihrem Versuch, die Flugzeuge zu vertreiben.

2. Kampfflugzeuge könnten Taiwan direkt überfliegen 

Die kommunistische Parteizeitung "Global Times" hat angeregt, dass China einen militärischen Flug direkt über Taiwan durchführen sollte. Dies würde die Regierung in Taipeh zu einer Entscheidung über einen Abschuss zwingen. Letztes Jahr warnte der taiwanesische Verteidigungsminister Chiu Kuo-cheng: Je näher sie der Insel kommen, desto stärker werden wir zurückschlagen."

Alternativ könnte eine Fliegerstaffel zu einem tiefen oder ausgedehnten Einsatz über die Mittellinie der Taiwanstrasse entsandt werden. Die dort befindliche Pufferzone, die 1954 von den USA eingerichtet wurde, wird von Peking nicht anerkannt. Im September 2020, als der damalige US-Staatssekretär Keith Krach Taiwan besuchte, verletzten Flugzeuge der PLA wiederholt diese Linie.

3. Raketentests in der Nähe von Taiwan

Im Sommer 1995 reagierte Peking auf einen Dialog zwischen Washington und Taipeh, indem Raketen in der Nähe Taiwans zu Testzwecken ins Meer abgefeuert wurden. Die Aktion war Teil der Proteste Chinas gegen die Entscheidung von Präsident Bill Clinton, Taiwans erstem demokratisch gewählten Präsidenten, Lee Teng-hui, einen Besuch in den USA zu ermöglichen.

China erklärte während der Tests Sperrzonen um die Zielgebiete, wodurch der Schiffs- und Flugverkehr gestört wurde. Im August 2020 schoss die chinesische Armee als Reaktion auf US-Marineübungen ballistische Trägerraketen ins Südchinesische Meer ab, die als "Carrier-Killer" bezeichnet wurden.

4. Wirtschaftlicher Druck

China ist der grösste Handelspartner Taiwans. Peking könnte Sanktionen gegen Exporteure verhängen oder einen Boykott taiwanesischer Waren auf den Weg bringen. Am Montag verbot China die Einfuhr von Lebensmitteln von mehr als 100 taiwanesischen Lieferanten, wie die lokale Zeitung United Daily News berichtete. Angewiesen ist Peking jedoch auf Halbleiter aus Taiwan. 

China könnte auch den Schiffsverkehr in der Taiwanstraße stören, die zu den wichtigen Handelsrouten der Welt gehört. Chinesische Militärs haben in den letzten Monaten wiederholt gegenüber ihren US-Kollegen erklärt, dass die Meerenge kein internationales Gewässer sei. Störungen im Schiffsverkehr würden jedoch auch Chinas Wirtschaft schaden.

5. Diplomatische Protest 

Die Global Times warnte am Dienstag, dass die Biden-Regierung wegen Pelosis Reise einen "ernsten" Rückschlag in den Beziehungen zwischen China und den USA hinnehmen müsse. Das könnte andeuten, dass China seinen US-Botschafter zurückrufen wird. 1995 zog Peking nach der Genehmigung des Lee-Besuchs seinen damaligen US-Botschafter ab. 

Letztes Jahr rief China seinen Botschafter in Litauen zurück, nachdem das baltische Land Taiwan erlaubt hatte, in seiner Hauptstadt ein Büro unter seinem eigenen Namen und nicht unter dem Namen Chinesisch-Taipeh zu eröffnen - ein Begriff, den Peking als neutraler betrachtet.

6. Eine Randinsel besetzen

Peking könnte eine der kleineren Inseln besetzen, die von der Regierung in Taipeh gehalten werden. Beobachter halten dies jedoch für höchst unwahrscheinlich. 

In den Anfängen des Kalten Krieges bombardierte die Volksbefreiungsarmee die taiwanesischen Kinmen-Inseln vor der südostchinesischen Küste. Mit Unterstützung der USA schlug Taiwan den chinesischen Vorstoß zurück, Hunderte seiner Soldaten kamen jedoch ums Leben. Als verwundbarer Punkt gilt die von Taipeh kontrollierte Pratas-Insel 400 Kilometer vor der Küste Taiwans.

2012 besetzte China im Rahmen eines Territorialstreits im Südchinesischen Meer die Scarborough Shoal, ein Korallenriff von der Größe der Insel Manhattan, das die Philippinen für sich beanspruchen. Die USA würden eine derartige Inbesitznahme taiwanesischen Territoriums als eine große Eskalation betrachten, die die Grenzen von Bidens militärischem Engagement für die Inseldemokratie austesten könnte.

(Bloomberg)