Bis Ende dieser Woche bringt cash jeden Tag ein Interview mit bekannten Personen aus der Schweizer Wirtschaftwelt und mit Menschen, die sich mit den Finanzmärkten beschäftigen. Sie halten Rückschau auf das ablaufende Jahr und werfen einen Blick auf 2013.
Heute: Andreas Neeracher, cash-Leser

 
cash: Andreas Neeracher, Sie sind den cash-Lesern unter Ihrem Nickname "Clausewitz" bekannt. Wieso dieser Name?
 
Andreas Neeracher: Carl von Clausewitz war ein preussischer General und Militärtheoretiker. Als Verfasser des Buchs 'Vom Kriege' hat er mein Denken wesentlich beeinflusst. Wenn ich unter diesem Namen schreibe, geht es in der Regel um strategische Themen. Nehmen wir das Beispiel Griechenland, wo meistens nur wirtschaftliche Aspekte betrachtet werden. Dass hier auch militärisch-strategische Aspekte mitspielen, wird meist übersehen. Wenn es aber ums Sparen und eine gute Haushaltsführung geht, bin ich die 'Nonna'. 
 
Sie kommentieren oft politisch. Woher kommt das?
 
Eigentlich habe ich mit der Politik nicht viel am Hut. Ich will das sagen, was ich denke. Schon als Berufsmilitär war ich in einem sehr engen Korsett gewesen und musste oft schweigen – wegen der Systemverpflichtung. Nun bin ich frei und habe das Bedürfnis, frisch von der Leber zu reden. 
 
Wieso gerade bei cash?
 
Es gibt für mich gar keine ähnliche Plattform in diesem Kleid. Und so kam es für mich bisher gar nicht in Frage, auf anderen Websites zu kommentieren. Das mag daran liegen, dass ich ein Gewohnheitsmensch bin. 
 
Sie haben in Ihren Kommentaren eine klare Meinung zur Euro-Schuldenkrise. Wo stehen wir derzeit?
 
Wenn ich das wüsste, wäre ich jetzt wohl ein reicher Mensch. Für mich gibt es zwei Szenarien: Entweder gibt es ein Europa der zwei Geschwindigkeiten oder eine Kern-EU, aus der ein paar Staaten austreten müssen und in die Steinzeit zurückfallen werden. Aus meiner Sicht liegt das Problem vor allem darin, dass es von Anfang an falsch konstruiert worden ist. 
 
Auch Griechenland kriegt von Ihnen sein Fett ab. Unlängst schrieben Sie: 'Mein letzter Kommentar zu Griechenland - kein Kommentar. Wieso?
 
Es ist müssig, zu diesem Land noch etwas zu sagen. Ich habe verwandtschaftliche Beziehungen zu Griechenland und geniesse auf diese Weise ein bisschen Einblick. Es ist wahnsinnig schade. Das Land ist traumhaft, ich bin immer wieder gerne in der Ägäis segeln gegangen. Das Paradoxe ist: Der Staat lässt zu, dass selbst der Kleinste sich bedienen kann. Gleichzeitig ist der Staat der Feind Nummer eins für die Bürger. 
 
Muss man Griechenland aus dem Euro werfen?
 
Das ist ein starkes Wort. Der EU sind doch die Hände gebunden. Sie können nur versuchen, die Schuldenlast des Landes auf ein erträgliches Mass zu bringen. Vielleicht bräuchte man dann eine Art Marshallplan, um der Exportwirtschaft auf die Beine zu helfen. Nur mit Feta-Käse kommen die doch auf keinen grünen Zweig. 
 
Das tönt alles sehr negativ. Gab es für Sie 2012 auch positive Nachrichten?
 
Ja, zum Beispiel Irland. Das ist ein erfreuliches Kapitel. Die haben den Biss, Änderungen herbeizuführen. Sensationell war auch der Fall Monti. Man setzte der drittgrössten Volkswirtschaft Europas einen Technokraten vor die Nase, und er wurde akzeptiert. 
 
Die Schweiz ist als Nicht-Euro-Land ebenfalls von Schuldenkrise betroffen. Welche Rolle sollte sie einnehmen?
 
Das ist eine ganz schwere Frage. Grundsätzlich bin ich gegen einen EU-Beitritt. Vielleicht würde ich diese Meinung ändern, wenn die EU anders aufgebaut wäre. Dieser Institution fehlt die Demokratie. Ich bin von der schweizerischen direkten Demokratie völlig begeistert. 
 
Wie aktiv sind Sie an der Börse?
 
Ich bin ein ganz konservativer Anleger. Ich 'börsele' schon ein wenig, aber ich trade nicht exotische Produkte. Ich verfolge die Kurse täglich, aber nicht in Echtzeit. 
 
Wie informieren Sie sich über das Börsengeschehen?
 
Ich warte jeden Morgen auf den cash-Newsletter und lese dann die News. Zwischendurch informiere ich mich auch auf der Seite der Schweizer Börsenbetreiberin SIX. Tagsüber vertiefe ich mich dann in die Hintergrundberichte der NZZ. 
 
2012 war ein gutes Börsenjahr. Für Sie persönlich auch?
 
Ich habe mit meinem konservativen Anlagestil 3 Prozent Rendite erzielt. Das ist für mich ein gutes Ergebnis. Jetzt ist nur noch ausstehend, ob ich das Duell mit meiner Frau gewonnen habe. Sie lässt ihr Portfolio von der UBS verwalten – ebenfalls mit konservativem Stil. Ende Jahr werden wir erfahren, wer von uns zwei besser war. 
 
Was war Ihre erfreulichste Aktie 2012?
 
Als alter BBC-ler hatte ich in den letzten Monaten vor allem an der ABB-Aktie Freude. Ich hatte im richtigen Moment noch ein paar Aktien dazugekauft. Ich bin überzeugt, dass die Aktie wegen des weltweiten Bedarfs an Strominfrastruktur auch in Zukunft gut performen wird. In diesem Bereich gefällt mir auch Samsung sehr gut. Wer weiss schon, dass diese südkoreanische Firma auch in der Strominfrastruktur tätig ist?
 
Und welche Aktie hatte am meisten enttäuscht?
 
Aus welschen Sympathiegründen hatte ich Leclanché im Depot. Zum Glück konnte ich dank ein paar Trades mit der Aktie die Position doch noch mit Gewinn abstossen. Jetzt würde ich den Titel nicht mehr kaufen. Die Finanzierungsspanne ist zu knapp, und die Branche steht derzeit stark unter Druck. 
 
Was erwarten Sie für das Börsenjahr 2013?
 
Ich gehe davon aus, dass 2013 ein ziemlich volatiles Jahr wird. Die Euro-Schuldenkrise wird uns weiter beschäftigen, und auch die USA wird mit Störfeuer aufwarten. Ich halte vorläufig an meinen Aktien fest und werde noch nichts dazukaufen.