Bereits vor Bekanntwerden der Ausweisung hatte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell bei einem Besuch in Moskau gesagt, wegen des Umgangs mit Nawalny und dessen Anhängern seien die Beziehungen beider Seiten an einem Tiefpunkt angelangt. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow hatte im Gegenzug die EU als "unzuverlässigen Partner" bezeichnet.

Vorwurf: Beteiligung an Protestaktionen

Russland verweist Diplomaten aus Deutschland, Schweden und Polen im Zusammenhang mit den Nawalny-Protesten des Landes. Ihnen wird vorgeworfen, sich an illegalen Protestaktionen gegen die Inhaftierung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny beteiligt zu haben. Das Aussenministerium in Moskau erklärte am Freitag, Russland erachte dieses Aktivitäten als nicht akzeptabel. In Russland hatten Menschen in zahlreichen Städten für eine Freilassung Nawalnys demonstriert.

Merkel und Bundesaussenminister Heiko Maas verurteilten den Schritt. "Wir halten diese Ausweisungen für ungerechtfertigt und glauben, dass das eine weitere Facette in dem ist, was ziemlich fernab von Rechtsstaatlichkeit im Augenblick gerade in Russland zu beobachten ist", sagte Merkel in Berlin. Maas erklärte, damit werde das Verhältnis Russlands zu Europa weiter beschädigt, und drohte mit Gegenmassnahmen: "Sollte die Russische Föderation diesen Schritt nicht überdenken, wird er nicht unbeantwortet bleiben." Auch der französische Präsident Emmanuel Macron kritisierte das Vorgehen Russlands. 

Das Deutsche Auswärtige Amt bestellte laut den russischen Botschafter ein. "Staatssekretär Berger hat den russischen Botschafter heute zu einem dringenden Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten und ihm die deutsche Haltung sehr deutlich gemacht", verlautete aus dem Auswärtigen Amt. Auch das polnische Außenministerium bestellte den russischen Botschafter ein.

Freilassung Nawalnys gefordert

Borrell bekräftigte nach eigenen Angaben bei seinem Gespräch mit Aussenminister Sergej Lawrow die EU-Forderung nach einer Freilassung Nawalnys. Lawrow reagierte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz harsch. Die EU verhalte sich zunehmend wie die USA und verhänge einseitige Sanktionen gegen andere Länder, sagte Lawrow. Er bezog sich damit auf die Möglichkeit neuer Strafmassnahmen, über die in der EU debattiert wird. Borrell sagte, dass es noch keinen förmlichen Vorschlag für neue EU-Sanktionen gegen Russland gebe. Aber die 27 Mitgliedsländer würden im nächsten Monat über die Beziehungen zu Russland beraten. Borrell betonte, dass das Verhältnis in den vergangenen Jahren von fundamentalen Differenzen und mangelndem Vertrauen geprägt gewesen sei.

Lawrow warnt vor unvorhersehbaren Konsequenzen

Lawrow mahnte, eine weitere Verschlechterung der Beziehungen könnte unvorhersehbare Konsequenzen haben. Russland und die EU seien in vielen Fragen uneins. Beide Seiten hätten aber Interesse an einem breiteren Dialog in Bereichen bekundet, in denen man sich einig sei. Trotz enger Handelsbeziehungen und einer grossen Abhängigkeit in der Energieversorgung haben sich die Beziehungen der EU zu Moskau in den vergangenen Jahren seit der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim 2014 merklich abgekühlt.

Nawalny war am Dienstag zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er gegen Bewährungsauflagen aus einem früheren Urteil verstossen haben soll. Er war im Januar nach seiner Rückkehr aus Deutschland festgenommen worden, wo er wegen eines in Russland erlittenen Giftanschlags behandelt worden war. Nawalny hat seine Verurteilung als politisch motiviert bezeichnet und macht Putin persönlich für den Giftanschlag verantwortlich. Die Regierung weist jede Beteiligung von sich.

Nawalny stand am Feitag in einem anderen Prozess erneut vor Gericht. Er wird beschuldigt, einen Veteranen des Zweiten Weltkriegs verleumdet zu haben. Der Veteran hatte an einem Werbevideo für Verfassungsreformen mitgewirkt, die Putin nach 2024 eine Kandidatur für zwei weitere Amtszeiten im Kreml ermöglichen. Nawalny beschrieb die Mitwirkenden in dem Video damals als Verräter und Marionetten des Staates. Er bestreitet den Vorwurf und spricht von einer Art PR-Prozess.