cash: Herr Fischer, der Steuerstreit mit den USA beschäftigt den Schweizer Finanzplatz. Gibt es Schweizer Bankinstitute, die bei hohen Bussen in Not geraten würden?

Christian Fischer: Das ist sehr gut möglich. Bei vergangenen Fällen im Bereich Libor oder Geldwäscherei haben wir gesehen, dass die USA für ausländische Banken sehr hohe Bussen ausgesprochen haben. HSBC beispielsweise musste in der Geldwäschereiaffäre beinahe zwei Milliarden Dollar Busse bezahlen. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass für gewisse Institute aufgrund möglicher Bussen ein Kapitalbedarf entstehen könnte.

An welche Banken denken Sie konkret?

Medienberichten zufolge könnte die Basler Kantonalbank ein solcher Fall sein. Welche Institute effektiv betroffen sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Die entscheidende Frage lautet jedoch: Wie lange und in welchem Ausmass hat ein Institut gegen amerikanisches Recht verstossen. Die Basler Kantonalbank hat knapp drei Milliarden Eigenkapital. Eine hohe Busse hätte möglicherweise zur Folge, dass das Eigenkapital nicht mehr den Anforderungen von Basel III entspricht.

Müsste Julius Bär in einem solchen Fall eine Kapitalerhöhung durchführen?

Julius Bär ist momentan, basierend auf den Eigenkapitalratios, nicht schlecht positioniert. Es ist jedoch schwierig abzuschätzen, wer eine Kapitalerhöhung braucht und wer nicht. Beim Libor-Skandal variierten die Bussen stark: von ein paar 100 Millionen bis 1,4 Milliarden Franken im Falle der UBS. Zusätzlich muss man sich auch fragen: Wird mit gleichen Ellen gemessen oder schenkt die USA den ausländischen Instituten mehr Beachtung als den einheimischen.

Könnten die Folgen des US-Steuerstreits einen Einfluss auf das Rating der betroffenen Banken haben?

Wie der Fall Wegelin zeigt, ist keine Bank gegen den Zugriff der US-Justiz gefeit. Bei den betroffenen Banken kann eine hohe Busse einen erheblichen Einfluss auf das Rating auslösen. Mit Blick auf die Kantonalbanken könnten sich die Standalone-Ratings ebenfalls verschlechtern, jedoch dank einer Staatsgarantie dürften die senior unsecured Ratings unverändert bleiben.

UBS und CS sind im I-CV-Rating im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben. Sind die Grossbanken auf dem richtigen Weg?

Das wird sich noch zeigen. Sie haben sicherlich ihre Risiken abgebaut, indem sie ihre Handelsbestände reduzierten. Durch ihr Investmentbanking bleiben sie aber immer noch einer hohen Ertrags-Volatilität und unvorhersehbaren Risiken ausgesetzt. Das Kreditportfolio weist weiterhin eine gute Qualität auf und der massive Geldabfluss der letzten Jahre, insbesondere bei der UBS, konnte gestoppt werden.

Wie stark hängen Banken-Ratings und der entsprechende Aktienkurs zusammen?

Ich glaube nicht, dass man das gleichsetzen kann. Während die Aktien der Banken in der Vergangenheit stark gelitten haben, war das bei den Ratings nicht im gleichen Ausmass der Fall. Die Aktie der Commerzbank hat seit ihrem Höchststand über 90 Prozent an Wert eingebüsst. Dennoch wird die Bank von den Ratingagenturen mit einem A-Rating bewertet. Bei bonitätsstarken Banken weist der Aktienkurs eine stabilere Entwicklung auf, weil die Risiken einer Kapitalerhöhung respektive eines Bail-in deutlich geringer sind.

Welche Finanztitel haben denn ihrer Meinung nach Potenzial?

Das hängt davon ab, wie risikoreich man ist. Titel mit einem attraktiven Risiko-/Renditeverhältnis wären beispielsweise die Citigroup, First Gulf oder eine Morgan Stanley.

In der Schweiz sehen sie erste Anzeichen einer Immobilienblase. Was würde das für die Banken bedeuten?

Vor allem die regionalen und kantonalen Banken wären davon besonders betroffen. Institute wie die Raiffeisen, die Kantonalbanken, die Migros Bank, die Clientis-Gruppe oder Valiant zählen zu den exponierten Kandidaten. Insbesondere Institute, welche in den überhitzten Gebieten wie der Genferseeregion, dem Grossraum Zürich oder den Ferienregionen tätig sind, drohen bei einer möglichen Preiskorrektur hohe Wertberichtigungen. Die beiden Grossbanken UBS und CS sind auch betroffen, jedoch aufgrund der insgesamt besseren Diversifikation weniger exponiert.

Die Banken-Ratings von I-CV sind im Durchschnitt tiefer als jene der Agenturen. Was sind die Gründe dafür?

Basierend auf unserer Fundamentalanalyse und dem Einbezug eines harschen Stress-Tests kommen wir auf eine andere Bonitätsnote. In Bezug auf einen systemischen Support für die Banken sind wir zurückhaltend. Und die Entwicklung gibt uns recht. Abgesehen von den ganz grossen globalen Instituten spielt der mögliche systemische Support eine immer unwichtigere Rolle beim Agentur-Rating.

Sind die Banken der EU-Länder über den Berg?

Es ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich, da wir grosse Unterschiede bei der Bankenbonität der einzelnen Mitgliedstaaten feststellen. Viele Banken stehen weiterhin vor ungelösten Problemen und weisen einen hohen Kapitalbedarf auf. Einerseits werden die Problemkredite in diesem Jahr weiter ansteigen. Andererseits ist die nötige Eigenkapitalbasis bei vielen europäischen Banken unzureichend und qualitativ fragwürdig.

Trotz viel billigem Geld der Europäischen Zentralbank kommt die Kreditvergabe der Banken an die Privatwirtschaft nicht auf Touren. Wie könnte das geändert werden?

Die EU müsste den Banken eine konkrete Zwangsrekapitalisierung auferlegen, ähnlich dem TARP (Anm. d. Red.: Troubled Asset Relief Program) der USA im 2008, damit eine Bilanzbereinigung vollzogen und auf einer gesunden Basis gestartet werden kann. Dadurch könnten die Banken ihre Unabhängigkeit wieder zurückgewinnen und wären folglich wieder in der Lage, die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen, anstatt nur in "risikolose" Staatsanleihen zu investieren.

Warum funktioniert das in den USA besser?

Den Banken wurde ganz klar und einheitlich diktiert, was sie zu tun haben. In der Person von Timothy Geithner hatte die USA eine einzige Instanz, die den Weg vorgab. Anders als in der EU waren die Interessen gleich geschaltet. Die erfolgreichen Banken wie JP Morgan  konnten das staatliche Geld schnell zurückzahlen. Bei anderen Instituten wurde das Kapital teilweise in Aktien gewandelt, mit welchem der Staat schlussendlich Gewinn gemacht hat. In den USA hat ein klarer regulatorischer Eingriff am richtigen Ort und zur richtigen Zeit die Wende gebracht. Ganz anders in Europa, wo nur mit Liquiditätsspritzen operiert wird.