Nach dem EU-Austritts-Votum der Briten ist derzeit nichts klar. Die Verhandlungen zwischen London und Brüssel dürften erst beginnen, wenn in Grossbritannien das Amt des Regierungschefs neu besetzt ist. Vor September ist nach Angaben der regierenden Konservativen Partei damit nicht zu rechnen. Im Trubel der Brexit-Entscheidung ist indessen bereits davon die Rede, dass Banker Europas grösste Finanzmetropole in Scharen verlassen können. Frankfurt, aber auch die Schweiz könnte das Ziel sein.

Den massenhaften Auszug von Londoner Bankern erwartet Patrick Odier, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung SBVg, in der kurzen Frist aber nicht; Zürich oder Genf würden in nächster Zeit wohl keinen grossen Zuwachs an Finanzmarktakteuren erhalten: "Das hängt alles davon ab, wie das Vereinigte Königreich mit Europa verhandeln wird", sagt der Bankierpräsident, der zugleich Verwaltungsratspräsident und Teilhaber der Genfer Bank Lombard Odier ist. Die Briten müssen erst von sich aus einen "Trigger" auslösen, um dann während maximal zwei Jahren Austrittsverhandlungen führen zu können.

Dank der bekannten Stärken des Schweizer Bankenplatzes könnten Probleme, die nun auf den Finanzplatz London zukommen, das Vertrauen in die Schweiz durchaus erhöhen. Die Schweiz bleibe jedenfalls ein sicherer Hafen für Kapital und für Kunden, die Rechtsstaatlichkeit, Stabilität und Zukunftssicherheit suchten, sagt Odier.

Langsameres Wachstum möglich

Das Brexit-Votum habe aber auch andere, problematischere Folgen: "Instabilität in Europa ist nicht zugunsten der Schweiz", sagt Odier im cash-Video-Interview. Der Finanz- und Bankenplatz sei zu stark von der EU abhängig, als dass man sich über Probleme bei den Nachbarn freuen könne. Der Druck auf die Exportindustrie steige ebenfalls - mit einem Franken, der seit dem Votum vom 23. Juni in Grossbritannien unter Aufwertungsdruck geraten ist.

In der EU könnte sich wegen des Briten-Abschieds das Wachstum noch einmal verlangsamen. Dies würde Folgen haben auf die Profitabilitätsmargen der auf den Kontinent ausgerichteten Schweizer Unternehmen. Der Druck sei also da: "Wir müssen noch innovativer und produktiver sein."

Marktzugang-Verhandlungen weiter führen

Zum EU-Marktzugang der Schweizer Finanzindustrie eine Prognose zu stellen, ist laut Odier noch etwas früh. Seit längerem verhandelt die Schweiz mit Brüssel über die Rahmenbedingungen und versucht auch, sich der EU-Bankenregulierung MiFID-II und anderen Regulierungen. Abhängig sei dies aber weiterhin von der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative und der Regelung des institutionenellen Rahmens der Beziehungen Schweiz-EU, wie Odier sagt. Erst dann könne die Finanzmarktregelung besprochen werden.

Laut Odier kann die Schweiz aber an der bisherigen Stossrichtung der Verhandlungen festhalten. "Man soll die Positionen aber so behalten, wie sie vor dem Brexit bestanden haben." Es hänge aber von den europäischen Behörden ab, ob die Verhandlungen neu ausgerichtet werden müssten. Regulatorisch sei die Schweiz erfolgreich vorgegangen, sagt Odier. Auch bilateral, also mit Einzelstaaten, habe die Schweiz vieles unter Dach und Fach bringen können, gerade auch im Grossbritannien oder Deutschland.

Digitalisierung erfordert neue Regeln

Neben den Aussenbeziehungen beschäftigt die Digitalisierung der Finanzbranche die Bankiervereinigung. Um neue Formen der Finanzindustrie zu beherbergen oder auch aufzunehmen sei die Schweiz sehr gut positioniert, sagt Odier. Auch innovative Unternehmen wie die Fin-Techs könnten sich erfolgreich entwickeln.

Eine Regulierung für die Fin-Techs sei aber nötig, und die Bankiervereinigung führe dazu auch Gespräche mit den Schweizer Behörden. "Ich denke, wir werden rasch eine einfache Regulierung haben, oder auch eine Regulierung, welche die Entwicklung dieses Sektors vereinfachen wird."

Patrick Odier ist seit 2009 Präsident der Bankiervereinigung und wird diese Funktion im nächsten September abgeben. Das cash-Video-Interview mit ihm fand im Rahmen des Swiss International Finance Forum (SIFF) statt, das am 28. Juni in Bern durchgeführt wurde.