Der September hat die Aktienmärkte bis jetzt gehörig durchgeschüttelt. Auch versierte Börsianer sind genervt darüber, wie heftig die Verwerfungen sind. "Ich kann nicht glauben, wie gemein dieser Markt ist", twitterte Börsenveteran und "Mad-Money"-Marktkommentator Jim Cramer vor ein paar Tagen - und dies war vor dem Ausverkauf im Gefolge des Debakels um den chinesischen Immobilienkonzern Evergrande am Montag. 

Neben mehreren Krisen in China machen aber auch geld- und budgetpolitische Punkte auf der Agenda die Märkte nervös. Und im Hintergrund geht die Coronapandemie weiter, während die Börsen auf die nächste Berichtssaison zusteuern. 

Was jetzt wichtig ist:

China: Kein «Lehman-», aber ein «Xi»-Moment

Am Donnerstag ist Evergrande mit einem Teil der Schulden wohl im Zahlungsverzug, wird aber 30 Tage Zeit haben, die Zinsen zu bezahlen. Ein unmittelbarer Knall um den Immobilienkonzern mit seinen 300 Milliarden Dollar schweren Verpflichtungen wird es diese Woche nicht geben. 

Der Kollaps von Evergrande ist bei aller Unsicherheit und dem Hin- und Her um Staatshilfen nicht der "Lehman"-Moment der chinesischen Wirtschaft. Das weit grössere Thema in China ist die Haltung des Regimes gegenüber den Unternehmen des Landes. Aber auch wenn Staatschef Xi Jinping nun scheinbar den Kapitalismus kritisiert und sich auf die Wurzeln der 1921 gegründeten Kommunistischen Partei beruft: China hat immer noch viel Geld, und ist auch bereit, dieses zum Machterhalt einzusetzen. Und dazu gehört eine stabile Wirtschaft. Nur muss sich diese dem Willen Pekings noch stärker unterordnen.   

Für China-Investoren macht dies die Lage nicht einfacher. Westliche Länder beschäftigen Diplomaten, deren einzige Aufgabe es ist, das Innenleben der chinesischen Staatsführung zu verstehen. Fondsgesellschaften bräuchten solche Experten wohl auch noch vermehrt. 

Risiko: Mittel

Fed oder Budget: Was ist das «wahre» Tapering? 

Eines der einflussreichsten Gremien der Welt, der Offenmarktausschuss der Federal Reserve (FOMC), wird diese Woche zur Geldpolitik kommunizieren und die Märkte wohl etwas mehr über das Tapering wissen lassen. Ein Rückfahren der Anleihenkäufe der US-Notenbank wird seit längerem erwartet.  

Laut einem Kommentar von Bloomberg ist das "wahre" Tapering aber der Rückzug der US-Budgethilfen für die Wirtschaft. Gemeint ist zunächst nicht das Gezerre um die Schuldenobergrenze der USA, das sich diesen Monat wieder einmal zuspitzt. Gemeint sind beispielsweise Programme wie Billigkredite oder Konsum-Cheques für die Bevölkerung, die auslaufen werden. Auch das auf 3,5 Billionen Dollar dimensionierte und teilweise mit Steuererhöhungen geplante "Build-Back-Better"-Programm von Präsident Joe Biden - sofern bewilligt - dürfte eine Wachstumsdelle nicht verhindern.

Goldman-Sachs-Chefökonom Jan Hatzius erwartet für Ende 2022 ein Wachstum in den USA von 1,5 Prozent, nach 5,7 für das Gesamtjahr 2021. Ein Abflauen des Wachstums ist nach der Erholung allerdings auch normal und würde zudem die Inflationsproblematik entspannen. Und: Die Regierung Biden wird alles daran setzen, im Jahr der Mid-Term-Wahlen 2022 eine wirtschaftliche Schwäche zu vermeiden. 

Während eine Konjunkturdelle in den USA für die hoch bewerten Aktienmärkte definitiv ein Problem darstellen würde, ist es am Ende doch das allgegenwärtige Thema Tapering, das die Börsen weltweit auf ungute Weise an ihre extreme Abhängigkeit von den Notenbanken erinnert. Auch Nicht-Crash-Propheten vergleichen die lockere Geldpolitik mit einer "Droge" für die Aktienmärkte.  

Risiko Geldpolitik: Kurzfristig mittel, mittelfristig beträchtlich

Risiko Budget: Mittel

Corona-Pandemie: Was, wenn...? 

Der Wiederanstieg der registrierten Corona-Infektionen über den Sommer hat die Wirtschaft in der Schweiz und Europa kaum belastet, in den USA hingegen etwas Spuren gezeigt. Betroffen ist in erster Linie das Reisegeschäft. In Asien wiederum sind Reisebeschränkungen in Kraft, die unter anderem Auswirkungen auf globale Lieferketten haben. 

Tatsache bleibt: Ausser in der ersten Corona-Welle im Februar und März 2020 haben die Märkte bisher nicht mehr crash-artig auf auf steigende Fallzahlen reagiert. Die Frage ist, was bei einer Coronavariante passieren würde, gegen welche die jetzt erhältlichen Impfungen nicht mehr gut wirken.

Wie der CEO des US-Pharmakonzerns Pfizer, Albert Bourla, vorletzte Woche in einem TV-Interview sagte, ist eine solche Variante oder Virusmutation "wahrscheinlich". Es bräuchte dann 90 Tage, um die Impfstoffe anzupassen, sagte Bourla weiter. Inwiefern dieses Intervall und eine dann neu anlaufende Impfkampagne wieder Beschränkungen auslösen würden, ist unklar. Tatsache ist aber, dass dank der Impfstoff-Forschung die Planungssicherheit für Unternehmen weniger in Frage gestellt wäre als im ersten Halbjahr 2020. Die Aktienmärkte haben sich weitgehend mit Corona "arrangiert".

Risiko: Mittel

Der Marktausblick: Ist dies bereits eine grössere Korrektur? 

Der SMI hatte am Montag seinen schlechtesten Tag seit Januar, während beim S&P 500 die Marktverwerfungen einen sieben Monate andauernden Kursanstieg zu stoppen drohte. Für viel Gesprächsstoff an der Wall Street hat auch gesorgt, dass im S&P 500 der gleitende 50-Tages-Durchschnitt unterschritten wurde. Charttechnisch ist dies ein schlechtes Zeichen. Andere raunen, der September sei "historisch" gesehen ein schlechter Monat. Aber nicht jedermann schwört auf Charttechnik oder Monats-Datenreihen. 

Inzwischen haben sich die Kurse bereits wieder etwas erholt. Für viele am Markt stellt sich aber die Frage, ob der Rücksetzer nicht für Käufe genutzt werden sollte. 

 

Die Meinung, es herrsche zu viel Pessimismus, ist verbreitet. Das "Angstbarometer" VIX ist zwar innerhalb einer Woche von 18 auf über 23 Punkte gesprungen. Manche lesen aus dem Volatilitätsindex aber auch ein Zeichen heraus, dass der Markt überverkauft sei.  

"Ich bin vor allem etwas besorgt wegen eines möglichen Dominoeffekts, jetzt, wo das Sentiment der Investoren ein bisschen fragil ist", sagte John Bilton, Chef der Multi-Asset-Strategien bei JP Morgan Asset Management, zu Bloomberg TV. "Aber wenn wir die Fundamentaldaten anschauen - das allgemeine Wachstum und die Entwicklung der Wirtschaft - sind wir immer noch ausreichend sicher, dass sich die Lage beruhigen wird." 

Die HSBC schreibt, die Märkte würden ein "exzessiv bearishes Szenario" für die Märkte einpreisen. Die Strategen der britisch-asiatischen Grossbank bleiben aber übergewichtet in Aktien und empfehlen, jetzt zuzukaufen. Mit Volatilität sei aber weiterhin zu rechnen. 

Risiko: Klein