Obwohl vier von fünf Richtwerten für Lockerungen derzeit nicht erfüllt sind, können am Montag etwa Terrassen von Restaurants und Bars, Kinos und Fitnesszentren wieder öffnen. Wieder erlaubt sind auch Sport in Innenräumen, Kultur- und Sportveranstaltungen sowie Präsenzunterricht an den Universitäten.

Maximal hundert Personen dürfen draussen eine Veranstaltung besuchen, in Innenräumen sind es maximal 50 Personen, also im Kino, Konzert oder Theater. Weiterhin gelten Maskenpflicht, Abstand halten und Hände waschen und desinfizieren sowie rigorose Schutzkonzepte.

Bis auf weiteres geschlossen bleiben müssen die Innenbereiche von Restaurants, Wellnessanlagen und Freizeitbädern sowie Diskotheken und Tanzlokale. Sportarten mit Körperkontakt sind in Innenräumen weiterhin nicht erlaubt. Auch die Homeoffice-Pflicht hat der Bundesrat vorderhand belassen.

Berset warnt vor Falschinterpretation

"Wir können ein gewisses Risiko in Kauf nehmen", sagte Gesundheitsminister Alain Berset am Mittwoch vor den Medien in Bern. Vor einem Monat hatte der Bundesrat noch auf einen solchen Schritt verzichtet, obwohl die Mehrheit der Kantone schon damals dafür votierte.

"Nun sind wir einen Monat weiter", sagte Berset. Es könnten mehr Tätigkeiten im Freien stattfinden, die Impfung zeige positive Wirkungen, ältere Menschen würden sich weniger anstecken und würden weniger häufig und schwer krank. Zudem sei die Lage in den Spitälern und den Intensivstationen relativ stabil und es gebe keine massive Zunahme bei den Fallzahlen.

Berset warnte jedoch eindringlich vor einer Falschinterpretation der Öffnungsschritte. Den Schlendrian vertrage es nach wie vor nicht. Wenn die Menschen jetzt die Zügel fahren liessen, werde es nicht gut gehen. Wenn jedoch sämtliche Schutzmassnahmen und -konzepte konsequent umgesetzt würden, sei es möglich, trotz steigenden Fallzahlen Öffnungen vorzusehen. Das biete den Menschen auch eine Perspektive, vor allem den Jungen.

"Stabiler Ausstieg aus der Krise"

Wichtigstes Ziel für alle Beschlüsse des Bundesrates sei der "stabile Ausstieg aus der Krise", um einen Jojo-Effekt zu verhindern. Der Bundesrat wolle die Krise nicht verlängern, nach 14 Monaten seien bei vielen Menschen gewisse Grenzen erreicht. Aber ohne die strikte Einhaltung der Schutzmassnahmen und Schutzkonzepte gehe es weiterhin nicht.

Ein Datum für mögliche weitere Öffnungsschritte nannte Berset nicht. Der Bundesrat wolle zuerst drei oder vier Wochen warten und beobachten, welchen Effekt die nun angekündigten Lockerungen zeitigten. Dann könne man die nächste Etappe ins Auge fassen.

Die weitere Zukunft betreffend meinte Berset, bevor nicht allen, die wollten, eine Impfung angeboten werden könne, sei es schwierig, alle Massnahmen aufzuheben. Maskenpflicht und Handhygiene könnten noch länger nötig sein. Aber harte Restriktionen wären laut Berset auf jeden Fall nicht mehr zu rechtfertigen.

Gewerbeverband kritisiert Mutlosigkeit

Trotz der für manchen Beobachter doch einigermassen umfangreichen Lockerungen sprach der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) in einer Mitteilung von einer "zögerlichen und mutlosen Pandemiebewirtschaftung" der Landesregierung. Er kritisierte insbesondere das Festhalten des Bundesrates an der Homeoffice-Pflicht und den "ruinösen Arbeitsverboten". Immerhin stellte Berset in Aussicht, die Aufhebung der Homeoffice-Pflicht werde "sehr bald" wieder ein Thema sein.

Für den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse sind die Schritte dagegen "wohlbegründet". Die Schweiz dürfe diese Lockerungen wagen. Wichtig sei es nun, dass die Testoffensive in allen Kantonen Fahrt aufnehme, damit bald weitere Öffnungsschritte möglich würden.

Der Arbeitgeberverband twitterte, dass man am vorsichtigen Kurs des Bundesrats vermisse, dass er mit einer konkreten Perspektive für Wirtschaft und Gesellschaft verbunden werde.

Fitness-Branche "positiv überrascht"

"Positiv überrascht" reagierte der Schweizerische Fitness- und Gesundheitscenter Verband (SFGV), der in der vergangenen Woche aufgrund der Schliessungsvorschriften des Bundes eine Schadensersatzklage beim Eidgenössischen Finanzdepartement eingereicht hat. Der Bundesrat habe offenbar eingesehen, dass die Fitness-Industrie aufgrund der vorhanden Schutzkonzepte nicht zur Verschlechterung der epidemiologischen Lage beitrage.

Die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK) bezeichnete die schrittweise und vorsichtige Öffnungsstrategie des Bundesrates als "richtig". Namentlich seien die Öffnung der Aussenbereiche von Restaurants und die Rückkehr zum Präsenzunterricht in den Hochschulen im Sinne der Kantone. Es sei aber wichtig, dass sich die Menschen weiterhin an die Coronavirus-Massnahmen hielten, damit die dritte Viruswelle möglichst klein gehalten werde.

Von "zu langsam" über "vernünftig" bis "unverantwortlich" reichten die Reaktionen der grossen Parteien auf die Entscheide des Bundesrates vom Mittwoch. Alle fordern jedoch mehr Tempo beim Impfen.

Effort bei Medikamentenherstellung

Der Bundesrat gab am Mittwoch weiter bekannt, dass er von der Verwaltung prüfen lässt, in welcher Form der Bund die Herstellung und Entwicklung von Covid-19-relevanten Arzneimitteln und Impfstoffen stärken kann. Für die vorläufige Kostenübernahme für vielversprechende Präparate sie etwa sogenannten Monoklonalen Antikörper-Kombinationstherapien hat die Landesregierung 100 Millionen Franken freigeben.

Angepasst hat der Bund seine Empfehlungen für die Impfstoffe von Pfizer/Biontech und Moderna. Covid-Erkrankte sollen demnach grundsätzlich nur noch mit einer Dosis geimpft werden, und dies erst sechs Monate nach einer Infektion.

Am Tag des zweiten grossen Öffnungsschrittes meldete das Bundesamt für Gesundheit (BAG) 2601 Neuansteckungen innerhalb von 24 Stunden, dazu 89 neue Spitaleinweisungen und 14 neue Todesfälle. Die Inzidenz pro 100'000 Einwohner lag in den letzten zwei Wochen knapp über 300 Fällen.

(AWP)