cash.ch: Die geldpolitischen Prognosen für die USA und die Eurozone sind verschieden: Von der Federal Reserve in den USA wird eine Straffung erwartet, von der Europäischen Zentralbank, der EZB, hingegen kaum.

Thomas Gitzel: Ja, ein Jahr nach dem Beginn der Corona-Hilfsmassnahmen in Europa und den USA sehen wir, dass sich der europäische und der US-amerikanische Weg in der Geldpolitik wieder trennen könnten. Die Fed geht jetzt im zweiten Halbjahr auf den 'Einstieg in den Ausstieg' aus der ultraexpansiven Geldpolitik zu. Aus unserer Sicht wird die Fed zum Jahresende 2021 beginnen, die Anleihenkäufe schrittweise zu reduzieren. Die EZB hat verlauten lassen, dass über den März 2022, wenn das 'PEPP' genannte Pandemienotfall-Anleihenkaufprogramm auslaufen wird, mit ihrer Unterstützung zu rechnen sei.

Was wird da kommen?

Die EZB-Sitzung der nächsten Woche wird bedeutend sein. Der EZB-Rat wird sich am Donnerstag, 22. Juli, treffen. Wir erwarten eine neue 'Forward Guidance'. Das PEPP-Programm dürfte nach Plan eingestellt werden, aber gleichzeitig wird bestehenden Wertpapier-Kaufprogrammen eine höhere Bedeutung beigemessen werden. Wir wissen, die EZB ist in ihren Massnahmen sehr kreativ. Sie wird eine sehr expansive Notenbank bleiben.

Warum hält die EZB so stark an diesen Programmen fest? Gesteht sie indirekt ein, das die US-Wirtschaft stärker ist?

Die EZB geht nicht davon aus, dass es zu einem nachhaltigen Preisauftrieb in der Eurozone kommt. Die EZB-Ökonomen glauben, dass ihr Inflationsziel in den kommenden Jahren nicht erreicht wird. Davon gehe ich auch aus. Die Eurozone hat ein strukturelles Problem wegen einer zu schwach ausgeprägten nachhaltigen Wachstumsdynamik, was gegen einen nachhaltigen Preisdruck spricht. In den USA sieht dies anders aus.  Die US-Wirtschaft dürfte wegen der sehr starken Konjunkturprogramme in den nächsten Jahren in der Tat stärker wachsen als die Wirtschaft in der Eurozone. Deshalb unterscheiden sich die Gangarten deutlich.

Eine Gemeinsamkeit ist aber, dass weder Fed als auch EZB nicht an eine anhaltende Inflation glauben. Warum zieht die Fed die Zügel dann doch an?

Angesichts der erwarteten Wachstumsraten liegt in den USA kein 'Notfall' mehr vor, und damit auch keine Berechtigung für ein Anleihenkaufprogramm. Die derzeit sehr hohen Inflationsraten von über 5 Prozent dürften transitorisch sein. Längerfristig ist aber dennoch von Inflationsraten im Bereich von 2 Prozent auszugehen, während sie in der Eurozone ähnlich wie vor der Krise bei 1,2 oder 1,3 Prozent stehen werden. Und dies ist schon ein klarer Unterschied.

Dass der zuletzt deutliche Anstieg der US-Inflationsanstieg vorübergehend ist, wird von manchen Ökonomen angezweifelt. Zuletzt hat auch Blackrock-CEO Larry Fink gesagt, die Teuerung dauere länger. Könnten wir das Risiko unterschätzen?

Risiken für länger anhaltende hohe Inflationsraten bestehen. In unserem Hauptszenario gehen wir aber von einer moderaten Inflationsentwicklung aus. 

Was für Risiken sprechen Sie an?

Die Coronapandemie ist in ihrer Form etwas bisher Einmaliges. Damit haben wir es auch mit einmaligen Phänomenen zu tun: Nicht nur ökonomischen, sondern auch sozioökonomischen. Dazu gehört, dass die Arbeitnehmer in den USA nicht in einem Ausmass zur Arbeit zurückkehren, wie es zu erwarten gewesen war. Es gibt in den USA im Moment eine Rekordanzahl offener Stellen. Anders gesagt, die Nachfrage nach Arbeit ist hoch. Damit besteht natürlich das Risiko, dass die Löhne nach oben gehen und damit eine Lohn-Preis-Spirale entsteht: Höhere Löhne führen zu höheren Produktpreisen, die zu höherer Inflation führen und dann zu noch höheren Löhnen – und so weiter.

Wie schwer wiegt dieses Problem?

Ein Hauptgrund dafür, dass die Amerikaner nicht wie erwartet an die Arbeitsplätze zurückkehren, dürften die Arbeitlosenhilfen der Regierung sein. Unter der Präsidentschaft von Donald Trump wurden pro Kopf und pro Woche 600 Dollar auf das reguläre Arbeitslosengeld zusätzlich bezahlt. Die Regierung von Joe Biden hat diesen Zusatz auf immer noch hohe 300 Dollar pro Kopf und pro Woche reduziert. Dafür wurde das Arbeitslosengeld auf die 'Gig-Worker', also beispielsweise die in eher prekäre Beschäftigungsverhältnisse gestellten Uber-Fahrer ausgeweitet. Diese zusätzlichen Zahlungen laufen allerdings im September aus. Dann werden die offenen Stellen auch wieder besetzt werden können.

Wäre dies dann die beispielsweise von der Fed erhoffte Entschärfung der Situation?

Was wir im Auge behalten müssen, sind die US-Arbeitnehmer über 50 Jahren. Diese könnten statt in die Arbeitswelt zurückzugehen sich in den Vorruhestand verabschieden. Dabei könnte die gute Entwicklung an den Aktienmärkten beitragen. Gerade gut situierte ältere Arbeitnehmer könnten Vermögenszuwächse realisieren und in Pension gehen. Damit würde der demografische Wandel am Arbeitsmarkt zeitlich nach vorne rücken. Dies wäre durchaus ein Szenario, bei dem die Löhne am gesamten Arbeitsmarkt und damit auch die Inflation angetrieben werden. Aber nochmal: Dies ist nicht unser Hauptszenario. Dennoch müssen wir auf dies Entwicklung am Arbeitsmarkt einen sorgsamen Blick werfen.

Wann wird die Fed die Zinsen erhöhen?

Der Weg wird so aussehen: Die Fed ändert zunächst ihre Kommunikation. Dann reduziert sie ab Ende 2021 peu-à-peu die Anleihenkäufe. Sie wird die Finanzmärkte sanft auf eine etwas restriktivere Geldpolitik vorbereiten. Die Fed wird das Jahr 2022 nutzen, die Anleihenkaufe ganz einzustellen. Im Jahr 2023 könnten dann Zinserhöhungen anstehen.

Ordnen Sie in diesen Hintergrund auch die zuletzt wieder sichtbare Aufwertung des Frankens ein?

Mit der Nach-Corona-Realität in der Weltwirtschaft kehren auch Konjunkturrisiken zurück. Zweifel an der Nachhaltigkeit des Aufschwungs kommen auf. Gerade auch, weil die chinesische Regierung auf die Kreditbremse tritt. Ähnliches haben wir schon im Jahr 2018 gesehen. Frühindikatoren in China oder den USA haben sich bereits etwas abgeschwächt, wenn auch stellenweise auf hohem Niveau. 'Defensive' Währungen wie der Dollar und der Franken werten vor einem solchen Hintergrund auf. Aber es besteht kein Zweifel: Wir sind in einem Aufschwung. Dass dieser etwas hinterfragt wird, ist aber auch normal.

Kann man eine Skepsis gegenüber dem Euro aus den Währungskursen herauslesen?

Wir sehen hier weniger eine Euro-Schwäche als vielmehr eine Stärke von defensiven Währungen. Wenn die chinesische Regierung auf die Kreditbremse tritt und gleichzeitig die Fed den Einstieg in den Ausstieg einleitet, kommt Konjunkturskepsis auf. Die Befürchtung ist, dass hier zu viel gebremst wird. Wir sehen es auch an fallenden US-Renditen. Der Dollar profitiert als defensive Währung in solch einem Umfeld. Ähnliches gilt für den Franken.

Lange profitierte der Eurokurs vom Corona-Stützpaket der EU, das vor ziemlich genau einem Jahr ausgehandelt worden war. Dieses Paket wurde mit dem US-Konjunkturprogramm verglichen und von manchen als zu wenig entschieden kritisiert. Spürt dies der Euro?

Die Europäischen Zentralbank (EZB) hat ihre Ziele erreicht und die Eurozone stabilisiert. Die Risikoaufschläge, die so genannten Spreads, der Staatsanleihen von Peripherieländern wie Italien, Spanien oder Griechenland gegenüber deutschen Bundesanleihen sind kleiner geworden. Italien hat bisher keine Schwierigkeiten gehabt, sich zu refinanzieren. Eine neue Eurokrise ist nicht entstanden. Die EZB kann mit ihren Massnahmen also zufrieden sein.

Seit März ist der Euro  von 1,1150 Franken auf noch etwas über 1,08 Franken gesunken. Was ist Ihre Prognose das Währungspaar?

In einem Aufschwung wird Sicherheit weniger gefragt sein, und damit auch der Schweizer Franken. Auf Sicht der kommenden zwölf Monate ist der Franken schwächer als heute. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat auch keine Nöte, zu intervenieren. Dies wäre wohl eher bei einem Euro-Franken-Kurs von 1,05 der Fall. Dies erwarten wir aber nicht.