Als erstes westliches Land hat Grossbritannien mit Massenimpfungen gegen das Coronavirus begonnen. Den Anfang machte am Dienstag Margaret Keenan, die kommende Woche 91 wird. Als erster Mensch weltweit wurde sie am Morgen in einem Krankenhaus im englischen Coventry mit dem Impfstoff des Mainzer Unternehmens BioNTech und dessen US-Partner Pfizer geimpft, nachdem das Mittel im Vereinigten Königreich Anfang Dezember in einem Schnellverfahren zugelassen worden war.
"Das ist das beste vorzeitige Geburtstagsgeschenk, das ich mir hätte wünschen können. Denn das bedeutet, dass ich mich endlich darauf freuen kann, Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden im neuen Jahr zu verbringen, nachdem ich die meiste Zeit des Jahres alleine war."
Start der Impfkampagne als Schritt zurück zur Normalität
Gesundheitsminister Matt Hancock beschrieb den Start der Impfkampagne als "V-Day" - in Anspielung auf den "Victory Day", dem Tag des Sieges im Zweiten Weltkrieg. Wenn es gelinge, jeden zu immunisieren, der anfällig sei, könne man zurück zur Normalität kehren. Premierminister Boris Johnson warnte jedoch, dass das Virus noch nicht besiegt sei.
Hancock sagte, er rechne damit, dass bis Ende des Jahres Millionen Menschen geimpft sein dürften. Allein in der ersten Woche dürften 800.000 Impfdosen zur Verfügung stehen. Insgesamt haben die Briten 40 Millionen Dosen des BioNTech/PFizer-Impfstoffs bestellt. Da pro Person zwei Impfungen im Abstand von je drei Wochen benötigt werden, würde das für knapp ein Drittel der 67 Millionen Einwohner reichen.
Darüber hinaus hat sich Grossbritannien auch Millionen Dosen anderer Hersteller gesichert, deren Impfstoffe aber noch nicht zugelassen sind. Vorrang erhalten Menschen, die über 80 Jahre alt sind, sowie Bewohner und Mitarbeiter von Pflegeheimen und Personal in Krankenhäusern.
Britisches Vorpreschen nicht unumstritten
Grossbritannien hatte den Impfstoff aus dem Hause BioNTech/Pfizer angesichts der sich zuspitzenden Corona-Krise eine Notfall-Zulassung erteilt. Seit Ausbruch der Pandemie im März sind im Vereinigten Königreich bereits mehr als 61'000 Menschen im Zusammenhang mit einer Virus-Infektion gestorben - so viele wie in keinem anderen europäischen Land.
Nach Angaben der Hersteller wies das Vakzin in seiner Medikamentenstudie einen 95-prozentigen Schutz vor Covid-19 auf, der Atemwegserkrankung, die das Virus auslöst. In Russland und China wurde bereits vor einiger Zeit mit Impfungen begonnen. Hier kommen allerdings andere Impfstoffe zum Einsatz, die freigegeben wurden, bevor Ergebnisse der entscheidenden Wirksamkeitsstudien vorlagen.
Auch Grossbritannien war mit seinem Vorpreschen auf Kritik gestossen. In Deutschland etwa argumentierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, man habe sich für einen längeren Zulassungsprozess entschieden, da dieser das Vertrauen in einen Impfstoff stärke.
Mit Spannung wird nun beobachtet, wie die Kampagne in Grossbritannien verläuft und das Land mit den enormen logistischen Herausforderungen zurechtkommt. Der BioNTech/Pfizer-Impfstoff muss bei minus 70 Grad gelagert werden, da er sich in normalen Kühlschränken nur fünf Tage hält. Hinzu kommt, dass es bislang keine Garantie dafür gibt, ob eine Immunisierung auch eine Übertragung des Virus hemmt.
Biontech erwartet EU-Zulassung Ende Dezember
Ungeachtet aller Bedenken wird aber auch in anderen Ländern auf eine rasche Zulassung gedrungen. Denn ein Abflauen der Pandemie ist nicht in Sicht. Weltweit sind inzwischen mehr als 1,5 Millionen Menschen gestorben. Zahlreiche Staaten verschärfen ihre Massnahmen zur Eindämmung des Virus derzeit wieder. Auch in Deutschland wird darüber diskutiert, ob der gegenwärtige Teil-Lockdown ausreicht, um das Infektionsgeschehen wieder unter Kontrolle zu bringen.
Die Europäische Arzneimittelagentur EMA will spätestens bis zum 29. Dezember ihre Bewertung des BioNTech/Pfizer-Impfstoffs abschliessen, die EU-Kommission könnte dann innerhalb weniger Tage den Weg abschliessend freimachen. BioNTech-Mitgründer Ugur Sahin geht von einer Zulassung in der EU bis Jahresende aus. "Im Grunde könnten wir direkt einen Tag später anfangen auszuliefern", sagte er zu RTL/ntv. Noch in diesem Jahr könne das Unternehmen in Kooperation mit dem US-Konzern Pfizer 50 Millionen Impfdosen herstellen.
Bis zum 12. Januar will die EMA zudem über den Covid-19-Impfstoff des US-Biotechkonzerns Moderna entscheiden, der ebenfalls einen Antrag auf eine bedingte Markzulassung seines Impfstoffs eingereicht hat. Insgesamt befinden sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO gegenwärtig mehr als 100 Impfstoffkandidaten in der Entwicklung.
(Reuters)