Was sind die Folgen des Lockdowns in Schanghai für die globale Konjunktur? Nach Einschätzung von KOF-Ökonom Heiner Mikosch sei der negative Konjunktureffekt der neuerlichen Lockdowns in China "stärker als der negative Konjunktureffekt, der aus dem Ukraine-Russland-Krieg resultiert".

Betroffen von den Massnahmen sind 26 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner und Zigtausende von Firmen. Ihr Haus verlassen dürfen die Menschen nur für Covid-19-Tests.

Sie fehlen an Produktionsstätten, Lagerhäusern und im Transport. Der Containerhafen Schanghais ist zwar nicht geschlossen, aber der Betrieb ist massiv reduziert. Viele Schiffe umfahren Schanghai, um nicht tagelang vor dem Beladen der Fracht ankern zu müssen. Die Polizei hat wichtige Verkehrsachsen und Tunnels gesperrt, darunter in die fürs Ausland bedeutende Freihandelszone Pudong, wie ein internes Briefing eines US-Chemiekonzerns zeigt.

Wie lange der Lockdown dauert, ist ungewiss. Er wurde von den Behörden in Peking am Dienstag auf unbestimmte Zeit verlängert. Der Grund dafür erscheint Europäern merkwürdig. Die Behörden meldeten am Freitag 21'000 neuen Fälle.

21’000 ist im Vergleich halb so viel wie die Zahl der positiven Fälle in der Schweiz am Peak der Omikronwelle vor zwei Monaten. Dennoch legt Peking – offenbar gegen den Willen der lokalen Behörden – die Wirtschaftsmetropole lahm: Die Ideologie ist der Null-Infektions-Toleranz-Strategie verpflichtet.

Als ob die Schweiz im Lockdown wäre

Wie schwerwiegend dieser Lockdown wirtschaftlich ist, zeigt sich an drei Zahlen. Die Wirtschaftsleistung Schanghais betrug zuletzt 4,3 Billionen Yuan. Das ist ungefähr so viel wie die Wirtschaftsleistung der Schweiz.

Der Lockdown der Metropole allein wird ganz Chinas Wirtschaftsleistung verringern. Schätzungen lokaler Ökonomen gehen von minus 10 Prozent im zweiten Quartal aus. Dies hiesse eine Reduktion von 1,0 bis 1,5 Prozent bezogen auf Chinas jährliches Bruttoinlandprodukt (BIP). Heute liegt die Vorgabe der Behörden fürs BIP-Wachstum bei 5,5 Prozent für 2022.

Schlafen im Containerterminal

Doch Chinas Arbeitgeber sind offenbar erfinderisch. In Betrieben, wo wichtige Güter hergestellt oder befördert werden, arbeiten und wohnen die Angestellten improvisiert an einem einzigen Ort: im Betrieb selber. Die Beobachter nennen es "Closed-loop living".

Ein Schweizer Logistiker macht ein Beispiel: "Hafenarbeiter verbleiben eine Woche im Schichtbetrieb am Arbeitsplatz, eine Woche gehen sie auf die Quarantänestation und dann verweilen sie zwei Wochen zu Hause". So befindet sich laufend ein Viertel aller Angestellten im Betrieb und Infektionsketten werden unterbrochen. Ein westlicher Hersteller mit Produktionsstätten und Lagerhäusern in Schanghai bestätigt diese Praxis.

Dennoch haben laut des Nachrichtensenders BBC Hunderte börsenkotierte Firmen mit Sitz in Schanghai in Ad-hoc-Statements Investoren über Produktionsunterbrüche unterrichtet. So hat beispielsweise Tesla in Schanghai ihre Fahrzeugproduktion letzte Woche suspendiert, meldet Reuters.

Schweiz: Bisherige Lieferkettenprobleme verstärkt

Die Produktions- und Transportunterbrüche in Schanghai werden sich in der Schweiz geschätzt in zwei bis fünf Wochen manifestieren, je nach Transportweg und Dringlichkeit. Schweizer Importeure, die Vorprodukte aus China beziehen, rechnen mit vergleichbaren Schwierigkeiten wie in den Covid-19-Zeiten der letzten zwei Jahre. "Die bestehenden Lieferkettenprobleme mit dem Schanghai-Lockdown werden weiter akzentuiert werden", sagt der Sprecher des Verbandes Swissmem, Jonas Lang. Die Normalisierung werde aufgeschoben.

Was sind die typischen Lieferkettenprobleme? Eine Befragung des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse vor vier Monaten ergibt das folgende Bild: Der Mangel betreffe "fast den ganzen Industriesektor (einschliesslich der Baubranche), aber auch den Handel". Sowohl Rohstoffe (Stahl oder Holz) als auch Vorprodukte (Computerchips) und Endprodukte (Waschmaschinen oder Autos) seinen knapp. "Gerade die Lieferengpässe bei den Computerchips und Halbleitern machten zahlreichen Branchen zu schaffen", schrieb Economiesuisse vor vier Monaten.

Als Gegenmassnahme hätten zwei Drittel der im November befragten Unternehmen ihre Lager aufgestockt. Rund die Hälfte der Firmen suchten nach weiteren Lieferanten. Dies half, in den Monaten Januar bis März die Lage etwas zu verbessern. Doch jetzt folgt ein Rückschlag. Lang von Swissmem sagt, dass der Lieferengpass "grösseren internen Planungsaufwand und längere Beschaffungsfristen" bedeute. In der Folge könnten Aufträge "nicht zeitgerecht abwickelt werden", womit sich die Bezahlung der Rechnung verzögere.

Härter als 2020?

Das auf Logistik spezialisierte Internetportal "American Shipper" zitiert den Berater John Monroe, der sagt, dass der derzeitige Lockdown in Schanghai "wahrscheinlich härter ist als der erste Lockdown im Jahr 2020, als die Pandemie ausgebrochen war". Viele Experten würden derzeit sagen, dass die Häfen offen seien. Das stimme, aber die Hafenarbeiter, Lastwagenfahrer und Produktionsangestellten seien "zu Hause eingeschlossen". Deshalb gehe in Schanghai derzeit weit weniger als vor zwei Jahren.

Ein Schweizer Logistiker, der nicht namentlich zitiert sein will, sagte hingegen, dass China erfahrener sei als vor zwei Jahren. Heute werden Wege gefunden, dass die Produktion und Lieferung dennoch stattfinden. Ein typisches Beispiel sei diese "Closed-loop living"-Methode. Die Schweizer Importeure werden es erst in einigen Wochen beurteilen können.

Dieser Artikel erschien zuerst im Digitalangebot der "Handelszeitung" unter dem Titel: "Lockdown: Was die Schanghai-Krise für die Welt bedeutet"

BERN, 14.8.2019. Andreas Valda, Redaktor Handelszeigung. Foto: Daniel Rihs / 13 Photo
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