cash: Monika Rühl, Sie sind seit gut zwei Monaten Economiesuisse-Direktorin. Wie haben Sie sich eingelebt?

Monika Rühl: Ich habe mich schon sehr gut eingelebt, obwohl ich vielleicht noch nicht in jedem Geschäft alle Details kenne. Es ist eine sehr spannende und intensive Aufgabe. Wir haben ein motiviertes und junges Team auf der Geschäftsstelle. Auch die Arbeit mit dem Präsidenten und den vorgesetzten Gremien ist spannend und motivierend.

Was beschäftigt Sie in ihrer neuen Funktion derzeit am meisten?

Wir haben drei Schwerpunktthemen. Erstens die Europapolitik und die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Zweitens die Energiepolitik und drittens die Unternehmenssteuerreform drei. Kurzfristig arbeiten wir auch sehr intensiv mit Blick auf den 30. November, wo wir für ein Nein zu allen drei schädlichen Initiativen kämpfen.

In jüngster Zeit stand die Economiesuisse stark in der Kritik, den Kontakt zur Politik verloren zu haben. Sind Sie diesbezüglich besonders aktiv?

Ein intensiver Dialog ist wichtig, nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft. Ich komme aus der Verwaltung in Bundesbern und habe deshalb ein gutes Netzwerk in der Politik. Davon profitiere ich nun. Aber es ist genauso wichtig, dass wir als Verband und als Wirtschaft insgesamt Kontakt zur Bevölkerung haben. Denn das sind schlussendlich die Stimmbürger. In diesem Bereich müssen wir noch besser erklären, was die Bedürfnisse und die Anliegen der Wirtschaft sind, damit sie optimal funktionieren kann.

Wie machen Sie das konkret?

Dazu braucht es auch eine gewisse Zeit. Ich bin viel unterwegs und gehe auch an kleinere Anlässe, beispielsweise mit KMU-Vertretern in Randregionen. Die Leute sollen mich kennenlernen und mir ihre Anliegen mitteilen können. Diesbezüglich war auch der Besuch bei Tessiner Wirtschaftsvertretern und bei der Stadtregierung von Lugano sehr interessant. Einer meiner Kollegen war auch schon in einer Hauswirtschaftsschule und hat dort über die Zusammenhänge in der Wirtschaft gesprochen. Das sind punktuelle Einsätze, die als Gesamtes den Effekt haben sollen, dass man uns besser versteht. Der Dialog mit der Bevölkerung soll aber nicht nur über die Verbände stattfinden, sondern ist eine Gemeinschaftsaufgabe aller Unternehmerinnen und Unternehmer.

Spüren Sie im KMU-Umfeld mehr Gegenwind, als wenn Sie vor der UBS oder Novartis sprechen?

Die Mehrheit unserer Mitglieder sind KMUs. Aber es braucht ein optimales Zusammenspiel zwischen kleineren und internationalen Unternehmen. Die KMU-Landschaft ist sehr vielseitig. Es gibt beispielsweise viele exportorientierte KMUs, die weltweiten Marktzugang brauchen. So ist ein starker Wirtschaftsstandort im Interesse von KMU wie auch von Weltkonzernen.

Seit Annahme der Einwanderungsinitiative betonen Bundesrat und Wirtschaft laufend die Wichtigkeit der bilateralen Verträge. Kommt man damit nicht zu spät?

Das Volk hat vor dem 9. Februar die Bilateralen immer unterstützt, so auch die Personenfreizügigkeit. Offenbar standen diesmal die Bilateralen für eine knappe Mehrheit weniger im Vordergrund. Deshalb haben wir uns vorgenommen, die Anliegen der Wirtschaft besser zu formulieren. Wir sagen in Zukunft nicht nur, es braucht diese Verträge. Wir müssen auch Gründe anführen, wieso das so ist. Der diskriminierungsfreie Marktzugang zu unserem mit Abstand wichtigsten Handelspartner ist essenziell.

Laut Bundesrat Schneider-Ammann wäre ein Ja zu Ecopop ein Totalschaden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Wenn die Initiative angenommen wird, muss die Schweiz gemäss Initiativtext das Freizügigkeitsabkommen mit der EU kündigen. Dann stehen wir bei einer ganzen Reihe von Fachgebieten, welche die Bilateralen abdecken, vor dem Nichts. Das ist neben dem massiv verschärften Fachkräftemangel das Hauptrisiko von Ecopop aus Sicht der Wirtschaft.

Bereiten ihre Mitglieder bereits Pläne vor, falls es zu einem Ja kommt? Zum Beispiel bezüglich Umsiedlung des Firmensitzes?

Solche Informationen haben wir nicht. Wir stellen aber fest, dass weniger ausländische Firmen in die Schweiz ziehen. Ob sich dieser Trend fortsetzt, kann man noch nicht sagen. Aber es gibt offenbar Investoren, für die die Rahmenbedingungen in der Schweiz zu unvorhersehbar geworden sind. Bereits ansässige Firmen überprüfen ihren Standort laufend.

Wäre denn eine vollständige Öffnung der Schweiz hin zu Europa die Lösung?

Das ist nicht unser Ansatz. Wir setzen uns weiterhin für den bilateralen Weg ein und für einen optimalen Marktzugang unserer Unternehmen.

Wäre es sinnvoll, proaktiv weitere Abkommen abzuschliessen?

Natürlich gäbe es noch weitere Themenfelder, in denen neue Abkommen denkbar wären. Das wäre bestimmt sinnvoll, ist aber momentan nicht möglich. Denn die EU wartet darauf, dass die Schweiz eine Umsetzung für die Masseneinwanderungs-Initiative präsentiert. Zudem befinden wir uns in laufenden Verhandlungen über institutionelle Fragen. Bevor da keine Einigung herrscht, sind neue Abkommen wenig realistisch.

Wo innerhalb Europas sehen Sie die Schweiz in 20 Jahren?

Meiner Meinung nach ist die Schweiz auch dann nicht Mitglied der EU. Die Schweiz wird einen Weg im Rahmen eines bilateralen Ansatzes finden, um ihre Interessen und Bedürfnisse zu decken.

Die Schweiz ist immer häufiger mit isolationistischen Initiativen konfrontiert. Worauf führen Sie das zurück?

Die Angst der Leute ist offenbar auch eine Angst vor Wachstum und vor Zuwanderung. Wir müssen diese Ängste ernst nehmen, aber wir müssen auch aufzeigen, was das in Bezug auf den Wohlstand bedeutet. Wir sind der Meinung, dass wir ohne Wachstum nicht auskommen können. Vielen ist nicht bewusst, wie viel die Wirtschaft zum Wohlstand der Schweiz beiträgt. Die Schweiz ist sehr gut durch die Krise gekommen, wir haben gute Wachstumsaussichten, tiefe Arbeitslosenzahlen und sind sehr wettbewerbsfähig und innovativ. Für viele Menschen in der Schweiz ist das offenbar normal geworden. Das ist gefährlich. Am Erfolg der Schweiz muss täglich gearbeitet werden. Für ein Land wie die Schweiz, das jeden zweiten Franken im Ausland verdient, ist die Isolation keine Lösung.

Gerade bei den Löhnen hat sich das Wachstum allerdings sehr ungleich entwickelt...

Einerseits werden die Löhne von den Aktionären abgesegnet. Dahinter steht ein demokratisches Prinzip unter Aktionären. Andererseits wurden die 1:12-Initiative und die Mindestlohn-Initiative abgelehnt. Die Schweizerinnen und Schweizer wollen keinen Staatseingriff bei den Löhnen. Es stimmt: Es gab in der Vergangenheit einzelne Ausreisser. Aber insgesamt sind die Einkommen in der Schweiz gleichmässiger verteilt als in Europa.

Aber die Abzocker-Initiative wurde angenommen...

Ja. Deshalb haben die Aktionäre nun die Möglichkeit, mitzubestimmen. Dieser Mechanismus muss greifen.

 

Das Interview mit Monika Rühl fand am Rande des 27. internationalen Europa Forum Luzern statt.

Monika Rühl ist seit dem 1. September 2014 Direktorin der Economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft. Nach ihrem Romanistik-Studium an der Universität Zürich absolvierte sie die Ausbildung zur Diplomatin und arbeitete unter anderem in New York. Zuletzt war Monika Rühl persönliche Mitarbeiterin von Bundesrat Joesph Deiss (2003-2006) und rechte Hand von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann.