cash: Herr Holzhausen, wie steht es um die Wirtschaft Europas?

Arne Holzhausen: Die letzten fünf Jahre waren hart. Aber jetzt ist es an der Zeit, wieder etwas optimistischer nach vorne zu blicken. In Europa wurde viel getan, die ausufernden Staatsdefizite sind weitgehend in Griff. Europa wird wächst wieder, und wir werden einen Aufholprozess beobachten können.

Keine Bedenken, dass politische Kräfte den Aufschwung stören könnten?

Da muss man unterscheiden. Auf rein nationaler Ebene sehen wir viele Fortschritte. Italien, Spanien oder Portugal haben Reformen eingeleitet, die man sich nicht hätte vorstellen können. Auf der europäischen Ebene gibt es hingegen noch Defizite. Es müssen Institutionen geschaffen werden, welche die Währungsunion so stabil machen, dass die nächste Krise besser gemanagt werden kann. Und wir befürchten, dass die Eurozone politisch nicht viel stärker aus der Krise kommt. Oder noch schlimmer: Dass die Krise Europa politisch noch weiter auseinanderdividiert hat.

Sie sind Leiter "Insurance/Wealth Markets" beim Research der Allianz, dem grössten Versicherer Europas, und Mitautor des "Global Wealth Reports". Da stellen sie fest, dass die Lücke zwischen den ganz Reichen dieser Welt und dem Mittelstand immer grösser wird. Weshalb?

Die Einkommens- und Vermögensunterschiede nehmen in den Ländern selber zu. Global und zwischen den Ländern verglichen schrumpfen die Unterschiede jedoch. Viele asiatische Länder wie China, Thailand oder Indonesien rücken international gesehen auf. In den Ländern selbst erklärt sich der grösser werdende Unterschied zu einen mit dem Gründer- und Innovationsboom. Gerade im Bereich Internet konnten einige Leute ganz grosse Reichtümer anhäufen. Dann, und das haben wir in Europa gesehen, treffen Krisen sehr oft den so genannten normalen Sparer. Die Leute mit ihrem Häuschenkredit werden dann voll getroffen. Diejenigen dagegen, die am oberen Ende der Einkommens- und Vermögensliste stehen, haben zumeist ihr Family Office mit einer professionellen Vermögensverwaltung. Das hilft in der Regel, dass in Krisenzeiten zumindest die Verluste minimiert werden können.

Wird sich diese Tendenz in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen?

Das ist nicht leicht zu beantworten. Innovation im digitalen Zeitalter wird sicher weiter belohnt werden. In diesem Bereich werden in den nächsten zehn bis 20 Jahre sicher weitere grosse Vermögenswerte geschaffen. Mit einer Mischung aus Erwartung und Hoffnung glauben wir aber, dass durch den demokratischen Wandel und durch die fiskalische Schwäche der meisten Regierungen die Notwendigkeit des Sparens einsetzt und zunimmt. Und zwar in allen Einkommensschichten. Damit kann ein gewisser Wohlstand erreicht werden, den die Leute brauchen fürs Alter. Sonst erleben viele Leute ihr blaues Wunder, wenn die Rente eintritt.

Die wohlhabenden Leute haben ja auch die Mittel, mehr zu investieren und den Wohlstand so anzuhäufen...

Klar. Vermögen vermehrt sich durch Vermögen, auch durch Zinsen und Zinseszinsen. In Deutschland etwa haben aber etwa 30 bis 40 Prozent der Leute gar keine Möglichkeiten, zu sparen und zu investieren. Hier besteht politischer Handlungsbedarf. Zudem verpassten viele Anleger hervorragende Aktienjahre, wie wir sie gerade hinter uns hatten.

Es gibt in Deutschland ja auch immer weniger Aktienanleger.

Ja, das sind die Effekte des Angstsparens, die wir in der Krise beobachten. Die Leute tragen das Geld lieber auf die Bank. Da liegt es dann für die nächsten 20 bis 30 Jahre. Es fehlt das Verständnis für Investitionen, Rendite und der entsprechenden Risikobereitschaft in weiten Teilen der Bevölkerung.

Die Krise verringerte doch die Neigung der Leute, ihr Geld anzulegen?

Das ist das Fatale. Die Bereitschaft, langfristig Risiken einzugehen, ist eindeutig zurückgegangen. Banken, Versicherer, Fondsanbieter gehören zu den "Bösen". Das war die Botschaft, welche die Leute zum Teil von den Politikern erhielten. Die Finanzmärkte sind aber da, um Wohlstand zu schaffen. Das sollten die Politiker vermehrt kommunizieren. Die Öffnung der Finanzmärkte ist einer der Treiber zur Schaffung von Wohlstand. Es ist extrem wichtig, dass die Unternehmen und die einzelnen Bürger Zugang zum Kapital bekommen. Da sieht man gerade in asiatischen Ländern wie etwa China.

Wir haben mit dem Zinsumfeld seit Jahren ein ganz schlechtes Umfeld für Sparer.

Man darf jetzt das Geld erst recht nicht auf dem Girokonto liegen lassen. Da wird es vernichtet durch die Inflation, die immer noch grösser ist als die Verzinsung. Jeden Monat 100 oder 200 Euro beiseite legen ist zwar gut, aber das reicht heute nicht mehr aus. Das ging noch in Zeiten, als die Banken 5 Prozent Zins zahlten. Die Niedrigzinsphase ist eine Herausforderung, aber auch eine Aufforderung für die Leute, sich professionell und langfristig mit dem Thema Vermögensaufbau auseinanderzusetzen.

Sie sind von Haus aus Japanologe. Japan gilt mit seiner demografischen Struktur und der Langzeit-Deflation als abschreckendes Beispiel für europäische Länder. Einverstanden?

Die Parallelen sind deutlich zu erkennen. Die demografische Entwicklung ist ähnlich, Japan hat fast jedes Jahr einen neuen Premierminister, Europa hat 27 Regierungen, die sich nicht einig sind - das erschwert natürlich Reformen. Die schlimmen Jahre für Japan kommen aber erst noch. Japan konnte bislang sein grosszügige Rentensystem finanzieren, das Land war in der Lage, die Schulden bei den eigenen Sparern zu platzieren. Solange milde Deflation herrscht, ist das für die Sparer auch nicht schlecht. Wenn die Inflation nun aber dauerhaft bleibt, wird sich das ändern. Japan hat es geschafft, 20 Jahre lang die Probleme unter den Teppich zu kehren. Insofern ist Japan ein abschreckendes Beispiel für Europa.

Das Gespräch mit Arne Holzhausen wurde Ende letzter Woche in Amsterdam am Rande der Morningstar European Investment Conference geführt, an der Holzhausen als Redner auftrat.