1918 entgegnete der Revolutionär Leo Trotzki auf die Beschwerde ausländischer Gläubiger über die Nicht-Anerkennung von Verbindlichkeiten aus der Zarenzeit durch die Bolschewiken: "Meine Herren, sie waren gewarnt." Er erinnerte sie daran, dass dies bereits bei den Aufständen von 1905 eine der Hauptforderungen gewesen sei.

2022 gab es dagegen keine Vorwarnung. Kaum jemand hatte mit den scharfen Sanktionen des Westens als Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine gerechnet, die Russland praktisch vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten haben.

Nachfolgend eine Übersicht der Zahlungsschwierigkeiten Russlands im vergangenen Jahrhundert:

1918: ZURÜCKWEISUNG

Unmittelbar vor Ausbruch der Russischen Revolution 1917 war das Zarenreich der weltgrößte Schuldner. Es hatte sich hohe Beträge bei ausländischen Investoren geliehen, um die Industrialisierung des Landes und den Eisenbahnbau zu finanzieren.

Aus Sicht der Bolschewiken war die zaristische Wirtschaftspolitik aber ein Grund für die Unterdrückung der Arbeiterklasse. Daher lehnten sie die Bedienung von Auslandsverbindlichkeiten ab. "Es war ein politisches Statement", sagt Hassen Malik, Analyst beim Vermögensverwalter Loomis Sayles und Autor des Buchs "Bankers and Bolsheviks: International Finance and the Russian Revolution"

Die Nicht-Anerkennung der Auslandsschulden schockierte Anleger weltweit und vor allem in Frankreich, deren Banken und Bürger hohe Verluste hinnehmen mussten. Sie seien nicht davon ausgegangen, dass die neuen Machthaber sich selbst schaden wollen würden, erläutert Malik. Er taxiert die damaligen russischen Fremdwährungsschulden inflationsbereinigt auf 500 Milliarden Dollar oder mehr. Erst Mitte der 1980er erkannte die Regierung in Moskau einige der Altschulden aus der Zarenzeit an.

1991: VON DER SOWJETUNION NACH RUSSLAND

Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 stellte Russland zunächst den Schuldendienst für einige Verbindlichkeiten ein, die es von ehemaligen Sowjetrepubliken geerbt hatte. Als Gegenleistung für eine Rückzahlung vereinbarte die Regierung in Moskau mit dem Pariser Club, wo staatliche Schuldner mit Gläubigern über Umschuldungen oder Schuldenerlasse verhandeln, die Anerkennung Russlands als Gläubiger, schreibt Andrej Wawilow, russischer Vize-Finanzminister von 1994 bis 1997 in seinem Buch "The Russion Public Debt and Financial Meltdowns". Seinen Angaben zufolge summierten sich die Schulden aus der Sowjetzeit 1992 auf 105 Milliarden Dollar, während Russland lediglich auf Verbindlichkeiten von 2,8 Milliarden Dollar kam.

1998: RUBEL-KRISE

Im Jahr 1997 riss der fallende Ölpreis riesige Löcher in den russischen Haushalt, in den vergleichsweise geringe Steuereinnahmen flossen. Die Auslandsverschuldung schnellte zwischen 1995 und 1998 von 50 auf 77 Prozent der russischen Wirtschaftsleistung hoch, schreibt Wawilow. Schuld daran wären unter anderem hohe Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank gewesen.

Zur Finanzierung des Haushalts stützte sich Russland damals auf kurz laufende Anleihen, GKO genannt. Allerdings wurde es für das Finanzministerium immer schwieriger, Abnehmer für die Papiere zu finden. Außerdem musste das Land immer größere Summen zur Stabilisierung der eigenen Währung aufbringen. "Je öfter die Regierung bekräftigte, die Währung stützen und die Schulden bedienen zu wollen, desto mehr Anleger sahen die Zeit für einen Verkauf gekommen", schreibt Autor Chris Miller in seinem Buch "Putinomics: Power and Money in Resurgent Russia".

Im Sommer 1998 schnürte der IWF ein 22,6 Milliarden Dollar schweres Hilfspaket. Allerdings habe der Markt auf weitere 20 Milliarden Dollar an Hilfen gehofft, schreibt Martin Gilman, damals Vertreter des Währungsfonds in Moskau, in seinem Buch "No Precedent, No Plan: Inside Russia's 1998 Default". Am 17. August 1998 warf Russland schließlich das Handtuch: Es wertete den Rubel ab, kündigte die Einstellung des Schuldendienstes für Verbindlichkeiten in Rubel an und verhängte ein dreimonatiges Zahlungsmoratorium für einen Teil der Auslandsschulden.

2022: UNFREIWILLIGER ZAHLUNGSAUSFALL

Aktuell verfügt Russland über ausreichend Geld, kann den Zahlungsausfall aber vielleicht dennoch nicht abwenden. Um die Sanktionen des Westens zu umgehen, hatte die Regierung in Moskau ausländischen Gläubigern vorgeschlagen, Konten bei russischen Banken zu eröffnen, um Zahlungen in anderen Währungen als Dollar zu erhalten. Während viele ausländische Gläubiger diese Option theoretisch nutzen können, ist dies für US-Halter russischer Anleihen ausgeschlossen, da eine entsprechende Ausnahmegenehmigung der US-Regierung Ende Mai ausgelaufen ist.

"Putinomics"-Autor Miller prognostiziert, dass Russland alles tun wird, um einen Zahlungsausfall bei Auslandsschulden zu verhindern. "Die Offiziellen in der Zentralbank und dem Finanzministerium haben ihre Karrieren darauf ausgerichtet, Russland wieder als vertrauenswürdigen Gläubiger zu etablieren. Sie haben es verinnerlicht, dass ein Zahlungsausfall niemals wieder vorkommen darf."

(Reuters)