"Deflation, Rezession und als Folge davon politische Spannungen zwischen den Euroländern, das wäre der Worst Case für die Eurozone", bringt es Eric Chaney, Chefökonom von Axa Investment Managers, im Gespräch mit cash auf den Punkt.
Die erste Zutat der tödlichen Mischung, die Deflation, scheint immer realere Züge anzunehmen. Diese gilt es laut Chaney tunlichst zu vermeiden. "Gelingt dies nicht, werden die Schuldentürme von hoch verschuldeten Euroländern noch höher. Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls."
Italien Staatsverschuldung beträgt gut 2,1 Billionen Euro oder 132 Prozent in Relation zum Bruttoinlandprodukt. Ebenfalls über der 100-Prozent-Marke liegen Belgien, Zypern Irland, Portugal und Griechenland. Frankreich, die zweitgrösste Volkswirtschaft in der Eurozone, nähert sich dieser Schwelle.
Rezession stärkt Extremparteien
Auch die zweite Ingredienz des Todescocktails, eine erneute Rezession in Europa, macht die Runde unter den Marktbeobachtern. Zuletzt schrammte das Eurozonen-Zugpferd Deutschland nur knapp an einer Rezession vorbei. Italien, die Nummer drei der Euroländer, steckt bereits knöcheltief im Sumpf, und Frankreich droht aufgrund des Ausbleibens dringend notwendiger Arbeitsmarktreformen wohl dasselbe Schicksal.
Ein Wirtschaftsabschwung in Europa mündet letztendlich in Lohnkürzungen. Und diese werden die Bürger der Eurozone nicht gleichgültig hinnehmen, so Chaney. "Sie werden als Reaktion darauf Partei-Vertreter aus dem extrem rechten und linken Spektrum wählen und ihnen so den Sprung in die Regierungen ermöglichen", sagt Chaney. In der Folge werden die bereits herrschenden Spannungen zwischen den Euroländern noch grösser, und dies ist denkbar schlecht für die Zukunft des Euro und der europäischen Idee als Friedensprojekt, so der Chefökonom.
Nationalistische Tendenzen sind seit einiger Zeit spürbar. So stieg die rechtspopulistischen französischen Partei Front National bei den Europawahlen zur stärksten Kraft auf. Ende September zog sie zudem erstmals in den französischen Senat ein. Auch in Deutschland hat die eurokritische Alternative für Deutschland (AfD) Aufwind.
EZB muss dringend ihre Bilanz vergrössern
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat laut Chaney die Mittel in der Hand, ein solches Horrorszenario zu vermeiden. "Sie muss in erster Linie dringend ihre Bilanz ausweiten, sprich Wertpapiere aufkaufen." Chaney, der seit Oktober 2011 Mitglied des EZB-Schattenrats ist, empfiehlt seit drei Jahren eine expansivere Geldpolitik. In den letzten zwei Jahren hingegen schrumpfte die EZB-Bilanz, was laut Chaney total absurd ist angesichts der drohenden Deflation.
Die EZB hatte im Oktober beschlossen, besicherte Wertpapiere und gedeckte Schuldverschreibungen zu kaufen. Das sei zwar gut, so Chaney, die EZB hätte aber viel früher damit beginnen sollen. Gleichzeitig nimmt er die Währungshüter in Schutz, denn ohne die Zustimmung der Euroländer sind der EZB die Hände gebunden. Seinen Einschätzungen zufolge erkennen nun aber die Politiker die Zeichen der Zeit.
"Die EZB dürfte ihre Bilanz in den kommenden Monaten rasant und deutlich ausweiten." Der Marktkonsens geht von einem sogenannten Quantitative Easing im ersten Quartal 2015 aus. Dabei handelt es sich aber um einen Balanceakt. Denn diese Politik erhöhe auch die Inflationserwartungen und diese dürfe nicht höher als der Lohnzuwachs sein, so Chaney.
Kauft die EZB als sicher taxierte Wertpapiere im grossen Stil, muss der Anleger auf der Suche nach Rendite weniger sichere Anlagen kaufen. "Genau dies hat in den USA funktioniert, und ich sehe keinen Grund, weshalb es nicht auch in Europa klappen sollte", sagt Chaney. Dies ist mit ein Grund, weshalb der Chefökonom, der zugleich Researchleiter von AXA IM ist, von tendenziell weiter steigenden Kursen an den Börsen ausgeht.
Im cash-Video-Interview äussert sich Eric Chaney weiter zur EZB-Geldpolitik, und er nennt die Auswirkungen der erwarteten US-Zinserhöhung auf die Finanzmärkte.
Das Gespräch mit Eric Chaney wurde am Rande des Internationalen Medienseminars 2014, organisiert von AXA Investment Managers, in Paris geführt.