Im Kreis der deutschen Verhandler für eine neue Regierung, der so genannten Ampel-Koalition, zeichnet sich ein Richtungsstreit ab, ob es bei der deutschen Zentralbank ein "Weiter so" geben soll oder eine Neuausrichtung ansteht. Grünen-Co-Chef Robert Habeck fordert eine Bundesbank, die "auf der Höhe der Herausforderungen der Zeit" agiere.

Die FDP empfiehlt hingegen Kontinuität. Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft könnte die Bundesbank künftig allerdings grüne Themen stärker forcieren. Womöglich wird die Führung auch weiblicher.

Nachfolge-Entscheidung erst in zwei Monaten

Doch wird es bei der Bundesbank, die traditionell als Hort der Stabilität gilt, "keine Revolution" geben, wie aus dem Kreis der Ampel-Partner zu hören ist. "Die grosse Unabhängigkeit ist wichtig und wird bleiben." Der Rücktritt kam demnach für SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz völlig überraschend. Über die Nachfolge werde wohl erst in rund zwei Monaten entschieden - also kurz vor dem geplanten Abgang Weidmanns. Für die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP ist der Rücktritt laut SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zunächst noch kein Thema.

Sollte eine Regierung zustande kommen, werde die Personalie natürlich zum Thema. Ob Weidmann eine Nachfolgerin erhält, ist noch nicht ausgemachte Sache: Die ausgewählte Person müsse von allen akzeptiert werden, dies sei wichtiger als Geschlecht. Aber eine Frau zu sein, sei sicher kein Nachteil im Auswahlverfahren, sagte ein Insider.

Neben der derzeitigen Vizepräsidentin Claudia Buch wird auch die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel als Anwärterin gehandelt. "Beide könnten bei der Bundesbank eine grössere Rolle spielen in der Zukunft", meint der Direktor des Wifo-Instituts in Wien, Gabriel Felbermayr, der die Ökonomie-Professorinnen persönlich gut kennt. Mit dem Abgang Weidmanns werde es auch inhaltlich eine Verschiebung bei der Bundesbank geben, aber keinen Schnitt. Unter Weidmanns Amtszeit sei es ihr im Führungskreis der EZB nicht gelungen, geldpolitisch wirklich durchzudringen. Dabei habe sie sich in den vergangenen Jahren bei ihren "sehr starken ordnungspolitischen Prinzipien" etwas kompromissbereiter gezeigt: "Dennoch hat sich die Bundesbank oft in der Minderheitenposition gesehen, und das war nicht besonders förderlich", meint der Ökonom. Felbermayr erwartet, dass sich insbesondere die jetzige EZB-Direktorin Schnabel als Bundesbankchefin "etwas flexibler" zeigen würde.

Etwas «flexiblere» Geldpolitik?

Auch bei der grünen Geldpolitik habe sie mehrmals durchblicken lassen, dass sie das Mandat der EZB sehr weit sehe. Weidmann hatte in seinem Brief an die Mitarbeiter hingegen betont, eine stabilitätsorientierte Geldpolitik werde dauerhaft nur möglich sein, wenn die Geldpolitik ihr "enges Mandat" achte. Die Unterschiede waren zuletzt in der Diskussion um einen verstärkten Kauf grüner Anleihen im Rahmen der EZB-Anleihenkaufprogramme sichtbar geworden. Die EZB erwirbt zwar im Rahmen ihrer Firmenbondskäufe auch grüne Titel, doch richtet sie die Käufe nach dem Prinzip der Marktneutralität aus. Das heisst, sie bildet mit den Käufen schlicht den Markt ab. Schnabel sah dieses Prinzip zuletzt aber kritisch, denn am Anleihemarkt sind klimaschädliche Firmen wegen ihres hohen Kapitalbedarfs stark überrepräsentiert. Weidmann hatte dieses Prinzip dagegen immer verteidigt, auch wenn er sich zuletzt in diesem Punkt etwas bewegte.

Grundsätzlich kreist die Debatte um die Frage, wie eng das Mandat der EZB ausgelegt werden sollte. Genau an diesem Punkt ist die Rolle der EZB, wie sie der EU-Vertrag festlegt, aber offen für Interpretationen. So ist zwar darin das vorrangige Ziel der EZB klar definiert: die Gewährleistung von Preisstabilität. Darüber hinaus soll sie aber auch die allgemeine Wirtschaftspolitik in der EU unterstützen. Wie genau, daran entzündet sich die Debatte über die Auslegung des Mandats.

Falke oder Taube

Weidmann gibt sein Spitzenamt und damit auch seinen Posten im EZB-Rat auf, nachdem er mehr als ein Jahrzehnt die Fahne der als Falken bekannten Geldpolitiker hochgehalten hat. Doch diese eher auf eine straffe geldpolitische Linie ausgerichtete Spezies von Notenbankern scheint in Zeiten sperrangelweit geöffneter Geldschleusen selten zu werden. Bezeichnend ist, dass Weidmann und Belgiens Notenbank-Chef Pierre Wunsch im Juli die einzigen im EZB-Rat waren, die den neuen geldpolitischen Ausblick der Euro-Notenbank bis zuletzt abgelehnt hatten.

Dieser signalisiert den Finanzmärkten im Kern für die nächsten Jahre unveränderte oder sogar noch tiefere Leitzinsen - und dies, obwohl die Preise rasant steigen. ZEW-Experte Friedrich Heinemann verweist darauf, dass Weidmann auch zu den wenigen Mahnern im EZB-Rat gehöre, die kontinuierlich vor einer Überforderung der Geldpolitik und einer zu grossen Nähe zur Fiskalpolitik warnten: "Wenn Deutschland eine geldpolitische Taube in den EZB-Rat schicken würde, wäre das fatal."

Der Geldpolitikexperte Markus Demary vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln gibt zu bedenken, dass die Einteilung in Falken und Tauben nicht mehr zeitgemäss sei: "Die Herausforderungen sind andere geworden. Die Zentralbank ist viel mehr in die Stabilität der Finanzmärkte eingebunden als sie dies früher war." Neben dem Inflationsziel habe die Unterstützung der Wirtschaftspolitik ein viel höheres Gewicht bekommen, was sich auch am Fluten der Märkte mit noch mehr Liquidität in der Pandemiekrise gezeigt habe. 

(Reuters)