Seit 12. August ist das Nadelöhr der europäischen Nord-Süd-Bahnachse gesperrt, da sich dort der Boden wegen einer Bahntunnel-Baustelle darunter abgesenkt hatte. Die Ausweichroute via Stuttgart ist weit, hat weniger Kapazitäten und war auch baustellenbelastet. Nebenan im Elsass erfordert ein anderes Bahnstromsystem entsprechende Lokomotiven.

So stauten sich schlagartig in beiden Richtungen Passagiere, für die eilends lokale Ersatzbusse organisiert wurden, sowie Güterzüge, auf deren Ladungen Kundschaft auf dem ganzen Kontinent wartet. Normalerweise fahren jeden Tag 120 Personenzüge und bis zu 200 Güterzüge auf der Pannenstrecke bei Rastatt vorbei. International aufgegleiste Ausweichrouten schaffen inzwischen 84 Güterzüge täglich.

ENTSCHÄDIGUNGSFRAGE OFFEN

Während Bahnpendler und Reisende seither umständlicher und im Stundenbereich länger unterwegs sind, weicht der auf der Schiene ausgebremste Güterverkehr aus auf die Strasse und den Rhein. Damit verlängern sich Lastwagenstaus, sind Frachtkosten gestiegen und ist vieles viel länger unterwegs.

Entsprechend stehen Entschädigungsforderungen in Deutschland im Raum - betroffenen Abokarten-Inhabern bietet die Deutsche Bahn (DB) übrigens eine hälftige Entschädigung an. Zur Klärung der Verantwortlichkeit für die folgenschwere Schienenpanne drohen lange Rechtsstreite.

Ob die SBB ihrerseits Forderungen stellen will, ist gemäss einem Sprecher noch nicht entschieden: Diese Frage prüfe die Geschäftsleitung sorgfältig, sagte er am Freitag. Gegenüber der SBB seien bisher keine Kunden-Forderungen eingegangen.

LEHREN ZIEHEN

Ab Montag soll nun die Rheintalbahnstrecke wieder normal befahrbar sein. Die Nachfrage sei hoch, vermeldete die DB am Freitag; bereits 175 Güterzüge seien angemeldet. Die SBB kündigte an, dass so der Personenverkehr nach letzten Ersatzzügen am Montag wohl ab Dienstag ganz normal laufen werde. Im Güterverkehr jedoch werde Rastatt noch länger nachwirken.

Die SBB schreibt von "massiven Auswirkungen" wegen der Rastatt-Panne. Bezifferbar sind diese gemäss dem Sprecher noch nicht. Unter anderem seien viele Zusatz-Arbeitsschichten angefallen für die Ausweichrouten. Zahlen lägen kaum vor der nächsten Bilanzmedienkonferenz vor.

Daher ist für die SBB wichtig, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen, sondern international Lehren zu ziehen punkto Ausweichrouten, Koordination, Daten- und Personalaustausch sowie Sicherheit. Die Schienenpanne zeige überdies die Notwendigkeit des geplanten trimodalen Güterterminals im Basler Rheinhafen.

FRUST UND KOSTEN

Die deutsche Nachrichtenagentur dpa zitiert den Chef des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen (NEE) Peter Westenberger mit der Aussage zur Rastatt-Krisenbewältigung: "Insgesamt lief nichts wirklich reibungslos." Alleine Bahnunternehmen rechneten mit Schäden um die 100 Mio EUR; unter dem Strich seien Milliardenkosten denkbar.

Die Nachbearbeitung der Schienenpanne beschäftigt auch die deutsche Politik. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) wird viel kritisiert. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) pocht auf Tempo beim Vierspurausbau der Rheintalstrecke Karlsruhe-Basel. Jener dürfte nicht vor 2035 fertig sein.

Das Milliardenprojekt dieser NEAT-Zulaufstrecke, zu dessen Realisierung sich Deutschland 1996 in einem Staatsvertrag mit der Schweiz verpflichtet hatte, ist immer wieder in Verzug geraten. Durch Widerstand in der Bevölkerung ebenso wie durch fehlende finanzielle Mittel.

(AWP)