Das politische Feilschen um die Spitzenposten der Europäischen Union steht noch am Anfang, und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt ihre Optionen offen. Das allein genügt, um den deutschen Zentralbankchef als Nachfolger des EZB-Präsidenten Mario Draghi im Rennen zu halten.

Die Rolle des Präsidenten der Europäischen Kommission ist der Schlüssel zum EZB-Verfahren, da Deutsche nicht beide Ämter besetzen können. Doch in ihrem Eröffnungszug gab Merkel der Bewerbung ihres politischen Verbündeten Manfred Weber für den Chefposten bei der Kommission nur bedingten Rückhalt. Es ist ein Zeichen der Sorge in Berlin, dass Weber wohl nicht der stärkste Kandidat für Europas Mitte-Rechts-Gruppierung ist, wo Merkels Christdemokraten die stärkste Kraft sind.

Das bedeutet, dass Weidmann für den EZB-Posten wieder ins Spiel kommen könnte, wenn Webers Kandidatur scheitert und erneut ein Nicht-Deutscher die Kommission leitet, sagten Personen, die mit den Überlegungen der Regierung vertraut sind und darum baten, namentlich nicht genannt zu werden. Vor dem Termin Oktober 2019 kann jedoch bei der Besetzung der beiden Stellen noch viel passieren. Nachfolgend einige mögliche Szenarien:

Eine Weber-Präsidentschaft

Weber, dessen CSU Teil der Regierungskoalition ist, musste sich jetzt aufgrund von Verfahrensfristen für die Wahlen zum Europa-Parlament im Mai öffentlich erklären. Damit ist er der erste deutsche Kandidat für die zwei wichtigen EU-Posten, was nicht unbedingt ein Vorteil ist.

Während Merkel wohl kaum einen deutschen Bewerber ablehnen kann, erlauben die Hürden im mehrstufigen Auswahlverfahren ihr, sich abzusichern, sagte eine der Personen. Zum Entscheidungszeitpunkt - höchstwahrscheinlich nach den Europawahlen - könnte sich in der EU eine Dynamik für eine Person mit mehr Erfahrung und Autorität aufbauen, die den EU-Exekutivarm anführt, sagten beide Personen.

Fürs Erste muss sich Weber die Unterstützung seiner Europäischen Volkspartei (EVP) als Spitzenkandidat sichern. Mögliche Herausforderer könnten Michel Barnier, der Chef-Brexit-Verhandlungsführer der EU, und der ehemalige finnische Ministerpräsident Alexander Stubb sein.

Selbst wenn Weber die Unterstützung gewinnt und die EVP im Mai zum Sieg führt, könnte sein Mangel an Führungserfahrung zu einem Problem im Posten-Geschachere werden.

Wiedererstarken von Weidmann

Als Veteranin bei Dutzenden, die ganze Nacht andauernden EU-Verhandlungen in ihrer fast dreizehnjährigen Amtszeit, ist Merkel aus einem bestimmten Grund zurückhaltend: Die europäischen Posten werden in einem Ränkespiel aus Taktieren, nationalen Interessen und Parteien-Machtbalance vergeben, das sich gerade erst entfaltet.

Sie hat Weidmann nicht fallen gelassen und hält viel von dem Bundesbankchef, der bis 2011 fünf Jahre lang ihr wichtigster Wirtschaftsberater war, sagte einer der Befragten. Im Gegensatz dazu koppelte Merkel ihre Unterstützung für Weber in der vergangenen Woche an die Einschränkung, dass andere Kandidaten der Europäischen Volkspartei noch hervortreten könnten.

Die Entwicklung in der Vergangenheit legt nahe, dass Merkel für Weidmann kämpfen müsste, wenn sie den ersten deutschen Präsidenten der EZB durchsetzen will. Im Jahr 2011 hat sie Axel Weber nicht öffentlich unterstützt, der daraufhin von einer Kandidatur für den Posten Abstand nahm. Weidmann gilt als verständnisvoll gegenüber dem Umstand, dass Merkel die Klippen der EU-Politik umschiffen muss.

Die Merkel-Option

Während Merkel unterrichteten Kreisen zufolge Spekulationen eine Absage erteilt hat, sie könnte den Posten bei der Europäischen Kommission selbst anstreben, gab es regelmässig Andeutungen, sie wäre eine gute Nachfolgerin für Jean-Claude Juncker. Merkel, 64, würde zu einer Zeit, in der die EU durch populistische Parteien, Handelskonflikte mit US-Präsident Donald Trump und dem Austritt Grossbritanniens unter Druck steht, dem Amt Gewicht und globale Anerkennung verleihen.

Abgesehen von innenpolitischen Erwägungen könnte ein Deal mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron nötig sein, um Merkel ins Spiel zu bringen. Wenn Webers Kandidatur scheitert, könnte sich für Frankreich die Tür für die EZB-Präsidentschaft öffnen, während Merkel als erste deutsche Regierungschefin seit Jahrzehnten Präsidentin der Europäischen Kommission würde.

Merkel hat Andeutungen zum bevorstehenden Geschachere gemacht und sagte letzte Woche, dass sich aus den Europawahlen dann "die weiteren Gespräche und Verhandlungen" ergeben.

Obwohl sie es nicht mag, als Verfechterin der globalen liberalen Ordnung bezeichnet zu werden, hat Merkel unweigerlich die EU im Kopf. Sie sagte dem ARD-Fernsehen im August, sie habe sich verpflichtet, ihre vierte und vermutlich letzte Amtszeit, die 2021 endet, zu erfüllen. Aber sie fügte hinzu: "Was mir besonders am Herzen liegt, ist Europa, unsere europäische Gemeinschaft."

(Bloomberg)