Der Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) verstösst teilweise gegen das Grundgesetz, weil Bundesregierung und Bundestag die EZB-Beschlüsse nicht geprüft haben. Dieses Urteil verkündete das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag.

Mit dem Urteil, das Gerichtspräsident Andreas Vosskuhle verkündete, hatten Verfassungsbeschwerden teilweise Erfolg. Der Bundesbank ist es demnach untersagt, nach einer Übergangsfrist von höchstens drei Monaten an der Umsetzung des EZB-Aufkaufprogramms mitzuwirken, sofern der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nicht nachvollziehbar darlegt, dass das Programm verhältnismässig ist, heisst es in dem Urteil.

"Bundesregierung und Deutscher Bundestag sind aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, der bisherigen Handhabung der PSPP (das EZB-Aufkaufprogramm) entgegenzutreten", heisst es in dem Urteil. Ausserdem erklärte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Dezember 2018 zum Kaufprogramm der EZB für willkürlich und damit für das Bundesverfassungsgericht nicht bindend. Der EuGH hatte das EZB-Programm in allen Punkten gebilligt. Beschwerdeführer sind unter anderen der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler und AfD-Gründer Bernd Lucke. Das Urteil erging mit sieben zu eins Stimmen.

Die EZB hat das Programm 2015 aufgelegt, um die Märkte mit Geld zu versorgen und eine Inflationsrate von etwas unter zwei Prozent zu erreichen. Das Programm wurde mehrfach verlängert und läuft derzeit weiter. Kritiker halten das Vorgehen der EZB für eine versteckte Staatsfinanzierung von verschuldeten Euro-Staaten. In diesem Punkt hatten die Verfassungsbeschwerden allerdings keinen Erfolg. Die aktuellen Hilfen im Zuge der Corona-Krise waren nicht Gegenstand der Entscheidung.

Darf EZB Staatsanleihen kaufen?

Bei der Klage ging es im wesentlichen um die Frage, ob die Europäische Zentralbank im Rahmen ihrer Geldpolitik Staatsanleihen der Euro-Länder in Billionenhöhe aufkaufen durfte und darf. Einem Urteil wurden weitreichende Konsequenzen für die Währungshüter zugerechnet. Es sollte ursprünglich bereits am 24. März verkündet werden. Der Termin wurde aber aufgrund der sich verschärfenden Coronavirus-Krise auf Anfang Mai verschoben.

Im Extremfall hätten die Verfassungsrichter Deutschland beziehungsweise der Bundesbank untersagen können, an Anleihekäufen teilzunehmen. Das hätte schwerwiegende Folgen für die Handlungsfähigkeit der Euro-Wächter. Denn auf die Bundesbank entfällt als grösster EZB-Anteilseigener ein erheblicher Anteil der Käufe. Unlängst hatte die Euro-Notenbank im Kampf gegen die Coronavirus-Krise ein zeitlich begrenztes neues Rettungsprogramm zum Kauf von Staatsanleihen und anderer Bonds im Volumen von 750 Milliarden Euro beschlossen. Dieses ist zwar nicht Gegenstand des Verfahrens. Sollten die Richter aber Vorgaben für die Beteiligung an Staatsanleihenkäufen machen, könnte dies auch die Rettungsmassnahmen in der Virus-Krise betreffen.

Die Kläger sehen in den billionenschweren Transaktionen eine verbotene Staatsfinanzierung von hoch verschuldeten Euro-Ländern. Nach Auffassung der Kläger überschreitet die EZB damit ihr Mandat. Der Rechtsstreit zieht sich bereits seit Jahren hin. Mittelpunkt des Verfahrens ist das laufende und bereits mehrfach verlängerte EZB-Programm zum Kauf von Staatspapieren der Euro-Länder, das in der Fachwelt "Public Sector Purchase Programme" (PSPP) genannt wird. Die Währungshüter begannen mit den Käufen im März 2015, um ein Abrutschen der Wirtschaft im Euro-Raum in eine gefährliche Deflation zu verhindern. Bis Ende 2018 wurden Titel im Volumen von rund 2,1 Billionen Euro erworben. Nach einer zeitweiligen Unterbrechung nahmen die Währungshüter das Kaufprogramm im November 2019 wieder auf.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Sommer 2017 Bedenken geäussert, ob die Käufe noch in den Kompetenzbereich der Euro-Notenbank fallen und sich mit mehreren Fragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt. Dieser hatte in einem viel beachteten Urteil im Dezember 2018 die Käufe für rechtens erklärt und damit der EZB einen weitgehenden Freifahrtschein ausgestellt. Damit waren nun wieder die Karlsruher Richter gefragt, die Ende Juli 2019 zwei Tage über die Käufe mündlich verhandelten.

EuGH-Urteil für nicht bindend erklärt

Experten sehen die Anleihenkäufe durch den Richterspruch nicht gefährdet. "Im Kern hat das Verfassungsgericht der EZB grünes Licht gegeben", kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer die Entscheidung. Die Bundesbank dürfe sich zwar nur dann weiter an Anleihenkäufe beteiligen, wenn die EZB diese Verhältnismässigkeitsprüfung nachhole. "Aber mit ihrer Armada an Spezialisten wird es ihr ein Leichtes sein, eine solche Prüfung vorzunehmen. Die Anleihenkäufe der EZB werden weitergehen."

Dagegen sieht Uwe Burkert, Chefvolkswirt der LBBW durchaus Sprengstoff in dem Urteil. "Der Ausweg für die EZB könnte darin bestehen, dass sie ihre Beschlüsse gegenüber der Marktöffentlichkeit und den Richtern nochmals darlegt." Im Moment sei es nur schwer vorstellbar, dass der Bundesbank und womöglich sogar der EZB aus Karlsruhe tatsächlich derart gravierend ins Steuerrad gegriffen werde.

Mit der Entscheidung hatten mehrere Verfassungsbeschwerden teilweise Erfolg. Beschwerdeführer waren unter anderen der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler und AfD-Gründer Bernd Lucke. Das Urteil erging mit sieben zu eins Stimmen. Bereits im Sommer 2017 hatte das Bundesverfassungsgericht Bedenken geäussert, ob die Käufe noch in den Kompetenzbereich der Euro-Notenbank fallen.

Die Karlsruher Richter sahen "gewichtige Gründe", dass diese gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstossen, und hatten sich mit mehreren Fragen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewandt. Dieser hatte in einem viel beachteten Urteil im Dezember 2018 die Käufe für rechtens erklärt und damit der EZB einen weitgehenden Freifahrtschein ausgestellt. Das EuGH-Urteil wurde vom Verfassungsgericht jetzt für nicht mehr nachvollziehbar und deshalb für nicht bindend erklärt.

(Reuters/cash)