cash: Herr Stucki, der Franken erreichte zu Wochenbeginn mit 1,0545 zum Euro einen Stand, der seit Mai 2020 nicht mehr erreicht wurde. Auch gegen den Dollar hat sich der Franken aufgewertet. Am Markt geht man eher von einer Euro-Schwäche denn von einer Franken-Stärke aus. Sehen Sie das auch so?

Thomas Stucki: Der Euro hat seit dem Sommer sowohl zum Franken als auch zum Dollar an Wert verloren. Die Euphorie rund um Mario Draghi als Retter Italiens ist abgeflacht. Zudem hinterlässt die EZB angesichts der steigenden Inflationsraten einen unsicheren und hilflosen Eindruck.

Die SNB hat, wie den Sichtguthaben der Banken bei der Nationalbank entnehmbar ist, letzte Woche offenbar vermehrt interveniert, um den Franken abzuschwächen. Wird sie noch mehr Gegensteuer geben?

Die Strategie der SNB hat sich nicht geändert. Sie will keine Aufwertungsspekulation für den Franken aufkommen lassen. Darum wird sie weiterhin aktiv werden, wenn der Franken rasch teurer wird, wie dies letzte Woche der Fall war. Es muss mit Risiken verbunden sein, auf einen starken Franken zu wetten.

Mit 1,06 Franken zum Euro wurde eine offenbar wichtige SNB-Marke durchbrochen. Da und dort wird auch spekuliert, dass die SNB eine kontrollierte Aufwertung des Franken durchaus zulässt. Ihre Meinung?

Die SNB verteidigt keine Kurs-Marken, was richtig ist. Das Verhalten der SNB im Devisenmarkt muss flexibel und unberechenbar bleiben. Dazu zählt auch, dass sie eine Aufwertung des Frankens über die Zeit zulässt, solange diese im Ausmass begrenzt ist und nicht zu schnell abläuft.

Ein Analyst der US-Bank JPMorgan meint, höhere Inflationszahlen gäben der SNB weniger Anlass, an den Märkten zu intervenieren. Stimmt das?

Bei einer Inflationsrate von 1 Prozent ist die SNB sicher entspannter als bei einer solchen von 0 Prozent, da die Gefahr einer importierten Deflation durch einen starken Franken geringer ist. Zudem ist es schwieriger, die Interventionen mit den deflationären Gefahren zu begründen. Nur mit der Inflation das Verhalten der SNB zu beurteilen, greift aber zu kurz. Die negativen Auswirkungen eines zu starken Frankens auf die Wirtschaft ändern sich durch eine höhere Inflationsrate nicht. Daher wird die SNB weiterhin intervenieren, wenn der Franken zu stark wird.

Schweizer Unternehmen, die hauptsächlich in der Schweiz für den Export produzieren, leiden unter einem starken Franken. In der Regel melden sie sich bei einer Frankenstärke schnell zu Wort. Ein Aufschrei in den letzten Wochen blieb aber aus. Hat man sich an den stärkeren Franken gewöhnt?

Mit den aktuellen Bewegungen beim Franken können die Unternehmen mehrheitlich gut umgehen. Sie haben immer wieder gezeigt, wie flexibel sie sich an geänderte Rahmenbedingungen anpassen können. Zudem geht es vielen Branchen momentan gut und die Auftragsbestände sind hoch. Die Unternehmen bekommen dann Probleme, wenn die Aufwertung des Frankens so stark und so schnell ist, dass sie ihre Strukturen nicht mehr anpassen können. Dann werden sie sich wieder zu Wort melden.

Die Frankenstärke wird sich aber dennoch bei exportlastigen Unternehmen in der Jahresrechnung niederschlagen?

Viele Unternehmen sichern ihre Währungsrisiken ab. Der stärkere Franken wird sich erst mit einer Verzögerung in den Resultaten niederschlagen. Entscheidend wird daher sein, ob die Aufwertung des Frankens so weitergeht, was ich bezweifle.

Mit welchen Franken-Kursständen zum Euro und zum Dollar rechnen Sie in den nächsten Wochen?

Der Markt wird versuchen, die 1,05 zum Euro zu testen. Ein vorübergehender Fall unter diese Grenze ist möglich. Dennoch erwarte ich den Euro und den Dollar in den nächsten Wochen im Bereich der aktuellen Niveaus, den Euro bei 1,05 bis 1,07 und den Dollar bei 0,90 bis 0,92.

Thomas Stucki beantwortete die Fragen schriftlich.